Islamunterricht statt Volleyball

Wie Erdogan junge Zyperntürken in „Feriencamps“ indoktrinieren lässt

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hält eine Rede.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hält eine Rede.

Volleyball, Reiten, Theater und Kunsthandwerk: Das Programm der Ferienfreizeit, zu der jetzt 46 Schülerinnen aus Nordzypern in die Türkei reisten, schien abwechslungsreich. Doch stattdessen gab es Islamkunde. Die Schülerfreizeiten sind Teil eines größer angelegten Plans des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan zur Islamisierung Nordzyperns.

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Veranstaltet werden die Ferienlager vom türkischen Ministerium für Jugend und Sport in Zusammenarbeit mit der türkisch-zyprischen Erziehungsbehörde. Das Angebot richtet sich vor allem an einkommensschwache türkisch-zyprische Familien, die ihren Kindern aus eigenen Mitteln keine Ferien ermöglichen können. Aber schon nach dem ersten Tag flossen die Tränen. Viele Schülerinnen riefen weinend zu Hause an und wollten so schnell wie möglich heimreisen, berichtet die griechisch-zyprische Zeitung „Cyprus Mail“. Statt der im Programm versprochenen sportlichen Freizeitaktivitäten gab es Islamunterricht, Koranstudium, Gebete und andere religiöse Zeremonien.

Türkische Opposition: „Die Familien rufen um Hilfe, sie sind ernsthaft in Sorge um ihre Kinder“

Alarmierte Eltern wandten sich hilfesuchend an Devrim Barcin, einen Abgeordneten der oppositionellen Republikanisch Türkischen Partei (CTP). „Die Familien rufen um Hilfe, sie sind ernsthaft in Sorge um ihre Kinder“, postete Barcin in sozialen Netzwerken. Im offiziellen Programm der Freizeit werde mit keinem Wort erwähnt, dass die Kinder dort religiös unterwiesen würden, kritisierte der Abgeordnete. „Niemand hat das Recht, uns zu täuschen und unsere Kinder in religiöse Erziehungslager zu schicken“, schrieb Barcin. Die türkisch-zyprische Lehrergewerkschaft KTOEOS organisierte eine Protestversammlung vor dem Gebäude der Erziehungsbehörde.

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Niemand hat das Recht, uns zu täuschen und unsere Kinder in religiöse Erziehungslager zu schicken.

Devrim Barcin,

Abgeordneter der Republikanisch Türkischen Partei (CTP)

Zypern ist geteilt, seit die Türkei im Sommer 1974 den Nordteil der Insel militärisch besetzte. Mit der Invasion wollte Ankara die drohende Annektierung Zyperns durch die damals in Griechenland regierende Obristen­junta und die befürchtete Vertreibung der türkischen Volksgruppe von der Insel verhindern. Damals waren 80 Prozent der Inselbevölkerung ethnische Griechen und 18 Prozent ethnische Türken. Seit der Teilung hat die Türkei mehr als 100.000 Siedlerinnen und Siedler vom türkischen Festland nach Nordzypern gebracht. Ihnen wurden Häuser und Ländereien von Zyperngriechen zugewiesen, die wegen der Invasion aus dem Insel­norden fliehen mussten. 1983 wurde in der Besatzungszone die „Türkische Republik Nordzypern“ ausgerufen, die aber nur von der Türkei anerkannt wird. Wirtschaftlich und politisch ist Nordzypern völlig von der Türkei abhängig.

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Türkische Siedler machen schon die Hälfte der Bevölkerung Nordzyperns aus

Mit den türkischen Siedlern, die heute bereits etwa die Hälfte der Bevölkerung in Nordzypern ausmachen, veränderte sich nicht nur die Demografie. Auch die religiöse Prägung begann sich zu wandeln. Die türkischen Zyprer sind zwar zu 99 Prozent Muslime. Aber sie lebten traditionell einen liberalen, weltoffenen Islam. Im Alltagsleben spielte die Religion keine große Rolle. Auch das Bildungswesen in Nordzypern war säkular geprägt.

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Das änderte sich unter Erdogan, der die Türkei seit 20 Jahren regiert. Erdogans Bestreben, Staat und Gesellschaft der Türkei zu islamisieren, wird auch in Nordzypern spürbar. Sichtbarstes Zeichen sind die zahlreichen Moscheen, die Erdogan im Norden der geteilten Insel errichten lässt.

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Seit Jahren kritisiert die türkisch-zyprische Lehrergewerkschaft die von der Türkei forcierte Islamisierung des Bildungswesens in Nordzypern. Es verstoße gegen die säkulare Ordnung, Schulkinder in Camps zur Teilnahme an religiösen Zeremonien zu zwingen, stellte die Gewerkschaft jetzt anlässlich der Kontroverse um die Ferienfreizeit für die 46 Schülerinnen fest. Die türkisch-zyprische Journalistin Pinar Barut sagte der „Cyprus Mail“, solche Camps dienten dazu, „die Kinder zu indoktrinieren“.

Ziel sei es, wie in der Türkei in Nordzypern „eine Generation heranzuziehen, die konservativ ist, die gehorcht, die nationalistisch ist und sich der Welt verschließt“. Denn nur mit einer derart „kontrollierten Gesellschaft“ hätten politische Systeme wie Erdogans Regime eine Zukunft, meint Pinar Barut.

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