Grundsatzrede in Straßburg

„Europa muss sich der Welt zuwenden“: Scholz beschwört die globale Verantwortung der EU

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht im EU-Parlament in Straßburg.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht im EU-Parlament in Straßburg.

Straßburg. Bundeskanzler Olaf Scholz hat anlässlich des Europatags die globale Verantwortung der Europäischen Union hervorgehoben. Angesichts des Kriegs in der Ukraine betonte der SPD-Politiker, dass die Aufgabe des Staatenbündnisses weit über den innereuropäischen Frieden hinausreiche. „Europa muss sich der Welt zuwenden“, appellierte Scholz.

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„2200 Kilometer nordöstlich von hier, in Moskau, lässt Putin heute seine Soldaten, Panzer und Raketen aufmarschieren“, erklärte Scholz vor dem Europaparlament in Straßburg am Dienstag angesichts der Militärparade in der russischen Hauptstadt zum „Tag des Sieges“. Der Bundeskanzler forderte die Länder Europas dazu auf, sich davon nicht einschüchtern zu lassen. Stattdessen solle man standhaft bleiben in der Unterstützung der Ukraine – „so lange, wie das nötig ist“. Niemand wolle zurück in eine Zeit, „als in Europa das Recht des Stärkeren galt“.

Der Bundeskanzler forderte Partnerschaft mit den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas, „die den eurozentrischen Blick der vergangenen Jahrzehnte hinter sich lässt“. Auf jenen Kontinenten wüchsen „neue wirtschaftliche, demografische und politische Schwergewichte heran“, die sich „zu Recht nicht abfinden mit einer bi- oder tripolaren Weltordnung“, sagte der Bundeskanzler. „Deshalb bin ich fest überzeugt: Die Welt des 21. Jahrhunderts wird multipolar sein – sie ist es schon längst.“

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Scholz fordert „geopolitisches Europa“

Mit Blick darauf beschwor Scholz die „Wandlungs- und Handlungsfähigkeit“ Europas. „Wer nostalgisch dem Traum europäischer Weltmacht nachhängt, wer nationale Großmachtfantasien bedient, der steckt in der Vergangenheit.“ Die EU müsse künftig geeinter aufgestellt und offener für mehr Kooperationen werden. Wolle sich der Kontinent „einen guten Platz (...) sichern in der Welt von morgen“, müsse sich die EU verändern.

Olaf Scholz hält Grundsatzrede in Straßburg: „Europa muss sich der Welt zuwenden“
09.05.2023, Frankreich, Straßburg: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht im EU-Parlament zu den Abgeordneten. Im Anschluss ist eine Debatte mit den Abgeordneten des Parlaments vorgesehen. Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Anlässlich des Europatags hat Bundeskanzler Olaf Scholz die globale Verantwortung der Europäischen Union hervorgehoben.

Dazu forderte der Bundeskanzler die Schaffung eines „geopolitischen Europas“. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine habe einmal mehr gezeigt, „dass Europa nur dann gehört wird, wenn es mit einer Stimme spricht“. Selten habe der Kontinent enger zusammengestanden als angesichts der von Kremlchef Wladimir Putin angeordneten Invasion in das Nachbarland.

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„Auf diese Erfahrung lässt sich ein geopolitisches Europa gründen“, zeigte sich Scholz zuversichtlich. Bereits in seiner Grundsatzrede an der Prager Karlsuniversität im vergangenen Jahr habe er mit Blick darauf mehrere Maßnahmen gefordert: die engere innereuropäische Kooperation in Verteidigungsfragen, die Bereitstellung von Geldern für den Wiederaufbau der Ukraine sowie mehr Resilienz im Wettbewerb mit anderen großen Mächten.

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Der Bundeskanzler will ein „De-risking“ von China

„Die Vereinigten Staaten bleiben Europas wichtigster Verbündeter“, erklärte der Bundeskanzler. Mit Investitionen in die eigene Unabhängigkeit in Sachen Verteidigung, Technologie sowie der Versorgung mit kritischen Rohstoffen könne man diese Verbindung weiter stärken. Mit Blick auf die Beziehung zu China hingegen plädierte Scholz wie auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für ein „kluges De-risking“. Peking sei gleichzeitig „Partner, Wettbewerber, systemischer Rivale“, sagte der SPD-Politiker. Rivalität und Wettbewerb hätte seitens Chinas jedoch „ohne jeden Zweifel“ zugenommen.

Die Länder des Globalen Südens hingegen seien Partner, „deren Sorgen und berechtigte Interessen wir ernst nehmen“, so Scholz. Deshalb sei es wichtig, dass sich die EU für Nahrungsmittelsicherheit und Armutsbekämpfung in diesen Ländern einsetze sowie „dass wir die Versprechen einhalten, die wir beim internationalen Klima- und Umweltschutz gegeben haben“. Dazu forderte der Bundeskanzler mehr und faire Freihandelsabkommen mit Staaten in Lateinamerika, Asien, Afrika, aber auch mit Australien. Weitere, „ergebnislose“ Verhandlungen über neue Freihandelsabkommen würden dazu führen, dass „andere“ die Regeln diktierten, erklärte Scholz.

Zudem setzte sich Scholz abermals für eine Erweiterung der EU ein. Im vergangenen Jahr habe man sich „für ein großes Europa entschieden“, sagte der Bundeskanzler mit Blick auf die Beitrittsperspektiven für die Westbalkanstaaten, die Ukraine und Moldau. „Es geht um unsere Glaubwürdigkeit und um wirtschaftliche Vernunft. Und es geht darum, den Frieden in Europa nach der Zeitenwende, die Russlands Angriffskrieg bedeutet, dauerhaft abzusichern.“ Besonders den Westbalkanstaaten sei man eine „ehrliche Erweiterungspolitik“ schuldig, da man ihnen bereits vor 20 Jahren einen Beitritt in Aussicht gestellt habe.

Aber: „Eine erweiterte EU muss eine reformierte EU sein“, erklärte der Bundeskanzler. Entscheidungen des Europarats in der Außen- und Steuerpolitik müssten mit qualifizierter Mehrheit geschlossen werden, forderte Scholz. Zudem sollte die EU die Achtung demokratischer Prinzipien und der Rechtsstaatlichkeit innerhalb des Bündnisses durchsetzen. Und nicht zuletzt müsse die EU einen gemeinsamen Umgang mit Fluchtmigration finden, appellierte Scholz. „Natürlich muss am Ende eine Lösung stehen, die dem Anspruch europäischer Solidarität gerecht wird.“ Deshalb müssten die bereits auf den Weg gebrachten Reformen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems noch vor der Europawahl verabschiedet werden, forderte der Bundeskanzler.

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Bundeskanzler Scholz reist zum zweiten Mal in seiner Amtszeit nach Afrika
04.05.2023, Brandenburg, Schönefeld: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), steigt zu seiner Afrika-Reise ins Flugzeug. Bei der zweiten große Afrika-Reise des Kanzlers seit seinem Amtsantritt wird Äthiopien und Kenia besucht. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Mit der zweiten großen Reise nach Afrika will Kanzler Scholz in Äthiopien und Kenia zeigen, dass er den Nachbarkontinent nicht links liegen lässt.

Scholz: Botschaft des 9. Mai ist nicht das, „was aus Moskau tönt“

„Wir Europäerinnen und Europäer müssen uns der Zukunft öffnen“, erklärte Scholz. Dazu gehöre auch der Aufbruch hin zu einer klimaneutralen Zukunft. Es sei wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger Europas die Chancen dieses Aufbruchs „in ihrem Alltag spüren“, so der SPD-Politiker. Dazu müssten die Energieinfrastruktur, aber auch die Chipindustrie in Europa ausgebaut werden, so Scholz.

An diesem 9. Mai sei die Botschaft nicht das, „was aus Moskau tönt“, erklärte Scholz. „Sondern unsere Botschaft, und die lautet: Die Vergangenheit wird nicht über die Zukunft triumphieren.“ Und diese Zukunft sei die Europäische Union.


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