Großes Problem der Überkapazität

„Es muss bald etwas passieren“: Wie Chinas Dumpingpreise die europäische Industrie bedrohen

Pekings wettbewerbsverzerrende Industriepolitik verdrängt die Konkurrenz – und provoziert protektionistische Maßnahmen.

Pekings wettbewerbsverzerrende Industriepolitik verdrängt die Konkurrenz – und provoziert protektionistische Maßnahmen.

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Peking. Jens Eskelund ist ein besonnener Managertyp, doch wenn der Präsident der europäischen Handelskammer über die derzeitige Situation seiner Unternehmen spricht, dann kochen hinter der skandinavischen Fassade hitzige Emotionen hervor. „Ich denke nicht, dass Europa eine Deindustrialisierung akzeptieren wird, weil China seine Überkapazitäten exportiert“, sagt der Däne etwa. Und fügt an: „Es muss bald etwas passieren.“

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Wie ernst die Lage ist, zeigt sich derzeit eindrücklich innerhalb der Solarbranche. Sie zählte noch vor wenigen Jahren zu jenen Zukunftsindustrien, in denen das alte Europa weltweite Marktführer hervorgebracht hat. Mittlerweile jedoch stehen die Unternehmen kurz vor dem Bankrott, der Schweizer Konzern Meyer Burger hatte erst letzte Woche die Modulproduktion in seinem Werk im sächsischen Freiberg gestoppt. Ein ganz zentraler Grund für den Niedergang des Wirtschaftszweigs lag jedoch außerhalb der eigenen Kontrolle: Die chinesische Konkurrenz hat mit ihren Dumpingpreisen den Markt zerstört.

Tatsächlich hat das Problem eng mit Pekings Wirtschaftssystem zu tun. „Bei chinesischer Industriepolitik kommt es immer zu Überkapazitäten. Denn es gibt keine Marktkräfte hier“, sagt ein hochrangiger europäischer Wirtschaftsvertreter. Fakt ist: Chinas Wirtschaftswachstum hängt zu großen Teilen von Exportüberschüssen ab, die nicht zuletzt auf flächendeckenden, teils gegen die Bestimmungen der Welthandelsorganisation (WTO) verstoßenden Subventionen beruhen.

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China bei erneuerbaren Energien und der E‑Mobilität federführend

Aus chinesischer Regierungssicht ist die westliche Kritik unfair. Denn das eigene verarbeitende Gewerbe würde sowohl „die weltweite Energiewende unterstützen“, als auch „den Verbrauchern im globalen Süden zugutekommen“, argumentierte zuletzt Zhou Xiaoming von der staatsnahen Denkfabrik „Centre for China and Globalisation“ in Peking. Tatsächlich sind chinesische Unternehmen bei erneuerbaren Energien und der E‑Mobilität federführend.

Gleichzeitig jedoch sorgt die ungleiche Industriepolitik der Chinesen dafür, dass die Produktion in den USA und nun auch in Europa ausgehöhlt wird. Denn dort gelten andere Spielregeln: die Kräfte des freien Marktes.

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Brüssel prüft mögliche Strafzölle

Einfache Lösungen auf dieses Dilemma zu finden ist nicht leicht. Ex‑Präsident Donald Trump reagierte während seiner Amtszeit mit Strafzöllen, um den eigenen Markt vor chinesischen Überkapazitäten zu schützen. Sein Nachfolger Joe Biden hat die harsche Politik im Grunde beibehalten und im technologischen Bereich sogar noch deutlich verschärft.

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Die europäische Seite berief sich stets auf den freien Handel und appellierte an den guten Willen der chinesischen Regierung. Nun jedoch, nachdem auch die eigenen Unternehmen rasant an Marktanteilen verlieren, droht Brüssel ebenfalls in die Fußstapfen Washington zu treten: Derzeit hat die Europäische Kommission mehrere Untersuchungen initiiert, die darüber urteilen sollen, ob Chinas flächendeckende Subventionen der eigenen Wirtschaft schaden. Falls ja, hätte dies wohl ebenfalls Strafzölle zur Folge.

Ökonominnen und Ökonomen sehen zu geringe Nachfrage in China

„Eine der Hauptursachen ist, dass es in China eine zu geringe Nachfrage gibt. Es muss eine Umverteilung von der Angebotsseite auf die Nachfrageseite erfolgen“, sagt Kammerpräsident Jens Eskelund. Seine Analyse wird von den meisten Ökonomen, im Übrigen auch innerhalb Chinas, geteilt.

 Jens Eskelund, der Präsident der EU‑Handelskammer in China, spricht bei einer Pressekonferenz. Die EU‑Handelskammer hofft, dass China beim Problem von Überkapazitäten den Druck mindert.

Jens Eskelund, der Präsident der EU‑Handelskammer in China, spricht bei einer Pressekonferenz. Die EU‑Handelskammer hofft, dass China beim Problem von Überkapazitäten den Druck mindert.

Denn gemessen an der wirtschaftlichen Größe der Volksrepublik ist der Binnenkonsum historisch niedrig. Aus jenem Grund hängt das Wachstum derart stark von Exportüberschüssen ab, weil die Bevölkerung die Produkte nur zu einem geringen Teil selber kaufen kann. Die Regierung könnte dies ändern, indem sie dem Volk einen größeren Teil der Ressourcen abgeben würde – in Form von Löhnen oder mit einem Ausbau der Sozialsysteme. Bislang ist es jedoch nur bei leeren Ankündigungen der Parteiführung geblieben; offensichtlich auch, weil Xi Jinping aus ideologischen Gründen die Macht des Staates nicht beschneiden möchte.

Dabei wäre ein stärkerer Konsum auch als Wachstumsmotor für die angeschlagene Wirtschaft essenziell. Wer derzeit durch das Land reist, merkt schnell, dass die Boomjahre in China vorüber sind. „Das Gefühl von Verzweiflung und eines Vertrauensverlustes ist deutlich spürbar, egal, mit wem man spricht“, sagt etwa Scott Kennedy vom Washingtoner Center for Strategic and International Studies (CSIS). Der Politikwissenschaftler war einer der wenigen China-Experten aus den USA, die auch während der Pandemie das Land besuchen konnten.

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Das Gefühl von Verzweiflung und eines Vertrauensverlustes ist deutlich spürbar, egal, mit wem man spricht.

Scott Kennedy vom Washingtoner Center for Strategic and International Studies (CSIS)

Derzeit bereist er erneut das Reich der Mitte, um die Stimmung vor Ort zu erfassen. Diese sei weiterhin pessimistisch, sagt Kennedy: „Es ist mir ein Rätsel, warum die Führung hier nicht mehr tut, um auf die Bedenken der Menschen einzugehen, das Vertrauen zu stärken und die Probleme zu lösen“.

Ideologische bis paranoide Wirtschaftspolitik

Oft scheitert es bereits daran, die existierenden Probleme überhaupt einzugestehen. „Es ist aus globaler Perspektive normal, dass grenzüberschreitende Investitionen steigen und fallen. In den letzten Jahren ist die Welt chaotischer und verflochtener geworden“, sagt Wu Hao, Generalsekretär der Staatlichen Kommission für Entwicklung und Reform.

Die Pressekonferenz, die der hochrangige Parteikader am Mittwoch gegeben hat, ging um die Bemühungen der Regierung, wieder verstärkt Investitionen anzuziehen. Die ausländischen Direktinvestitionen sind im Vorjahr auf das niedrigste Niveau seit drei Dekaden gesunken, allein der Einbruch seit 2022 betrug über 80 Prozent.

Doch die wahren Sorgen, warum die insbesondere westlichen Unternehmen ihr Geld zurückhalten – etwa die ideologische bis paranoide Wirtschaftspolitik von Xi Jinping, der die nationale Sicherheit über Pragmatismus stellt –, sprach Wu Hao nicht an. Stattdessen färbte er ein überaus rosiges Bild vom Staus quo: „China verfügt über ein günstiges und stabiles politisches Umfeld und das umfassendste Industriesystem der Welt.“

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