Bruttoinlandsprodukt würde schrumpfen

Decoupling: der heikle Prozess des Entkoppelns

Die Entkoppelung von im Konfliktfall heiklen Handelsbeziehungen ist schwieriges Terrain.

Die Entkoppelung von im Konfliktfall heiklen Handelsbeziehungen ist schwieriges Terrain.

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München. Wie abhängig die deutsche Wirtschaft von russischem Gas ist, führen der Ukraine-Krieg und seine Folgen vor Augen. Gasmangellagen konnten zwar bislang vermieden werden, aber die Inflation bleibt hoch. Die Schockerlebnisse haben den Ruf nach vorausschauender Entkoppelung der heimischen Wirtschaft vor allem von China erklingen lassen. Würde das Land Taiwan angreifen, wäre dieses Thema schlagartig auf der politischen Agenda. Eine Studie des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung und dessen Leiter Gabriel Felbermayr, der auch Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft ist, hat für Deutschland diverse Entkoppelungsszenarien berechnet. Fazit: Es wird teuer, vor allem wenn man sich zu schnell loslöst.

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Eine Abkehr von China würde das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) demnach kurzfristig um 2 Prozent schmälern. Die Studie unterstellt dabei „nur“ ein Ende des Handels mit Zwischenprodukten wie Computerchips, während Endprodukte wie Autos oder Smartphones noch gehandelt würden. „Bei einem kompletten Entkoppeln auch von Endprodukten wären die Kosten etwa doppelt so hoch“, sagt Felbermayr. Um etwa 4 Prozent würde das heimische BIP dann im Fall China schlagartig schrumpfen.

BIP-Rückgang und schrumpfende Realeinkommen

Ähnlich wären die Effekte bei einer Abkehr von Großbritannien, was aktuell theoretisch erscheint. Aber als unwahrscheinlich galt einmal auch der Brexit. Eine Entkoppelung von Russland, die derzeit läuft, aber noch längst nicht ganz vollzogen ist, schlägt laut Studie mit einem BIP-Rückgang von 1,5 Prozent zu Buche. Ein Abkoppeln der EU vom Rest der Welt würde das Realeinkommen eines jeden Deutschen um ein Fünftel senken. Das ist zwar völlig unrealistisch, veranschaulicht aber, wie sehr Volkswirtschaften verflochten sind.

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Beim Ausbruch des Ukraine-Kriegs wurden Effekte hinsichtlich Russland überbewertet. Eine Prognos-Studie hatte zu Beginn des westlichen Sanktionsregimes gegen den Aggressor noch einen BIP-Rückgang in Deutschland von 12,7 Prozent unterstellt. „Es ist nicht zum Armageddon gekommen, die Effekte wurden zehnfach überschätzt“, stellt Felbermayr klar.

Entscheidend sei allgemein, wie lange die deutsche Wirtschaft Zeit habe, sich von einer anderen zu entkoppeln. „Langfristig sind die Effekte ein Viertel bis ein Drittel so groß wie in der kurzen Frist“, ist eine Kernaussage der Studie. Langfristig bedeutet Zeiträume von fünf bis zehn Jahren, stellt Felbermayr klar. Werde Entkoppelung politisch gewollt und unterstützt, könne sie zu drei Vierteln binnen fünf Jahren und zu 95 Prozent binnen eines Jahrzehnts vollzogen werden, sagt er.

China ist ein Sonderfall

Allgemein gilt auch, dass Entkoppelung von Wertschöpfungsketten in allen berechneten Szenarien importseitig Deutschland stets teurer kommt als exportseitig. Einzige, aber bedeutende Ausnahme ist eine Abkehr von China. Abgeschnittene Importe aus China würden das deutsche BIP kurzfristig um 22 Milliarden Euro schmälern, abgeschnittene Exporte nach China um 37 Milliarden Euro.

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Solche Effekte würden sich laut Studie nicht homogen auf alle Branchen verteilen. Hierzulande anfälliger für die Folgen von Abkoppelungen sind demnach die Bereiche Nahrungsmittel, Bau, Chemie und Automobil. Weniger stark treffen würde es Fischerei, Bergbau, Textil oder Holz. Die könnten eventuell sogar profitieren, wenn heimische Produktion fehlende Importe ausgleichen müsste. Je nach Ansiedelung dieser Industrien würde sich das auch regional entsprechend unterschiedlich niederschlagen. Beispiele großer Anfälligkeit sind Wolfsburg und Ingolstadt als Autostädte oder Bremen und Hamburg mit ihren vorgelagerten Häfen.

Rohstoffarmes Deutschland stärker betroffen als andere Wirtschaften

Allgemein wäre das rohstoffarme Deutschland wegen seines ausgeprägten Handels mit Zwischengütern stärker als andere Wirtschaften von Entkoppelungen betroffen, sagt Felbermayr. Vom völligen Loslösen von Handelspartnern rät er ohnehin ab. „Diversifizieren und möglichst viele finanziell darstellbare Lieferquellen auftun ist das Gebot der Stunde“, betont der Ökonom und hat Vorschläge zur Umsetzung.

„Man könnte Kurzarbeitergeld nur noch Firmen gewähren, die zuvor einen Stresstest für ihre Lieferketten absolviert haben“, sagt Felbermayr. Auch staatliche Hermes-Exportkredite könne man daran knüpfen und bald beginnen. „Jeder Monat Vorbereitung macht uns resilienter“, betont der Ökonom.

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