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„Napoleon“ kommt ins Kino

Panorama / Lesedauer: 4 min

Ridley Scott erzählt das Leben von Napoleon Bonaparte als intimes Stationendrama seiner Ehe mit Josephine Beauharnais.
Veröffentlicht:22.11.2023, 18:00

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iemlich früh in diesem Film werden wir Zeuge einer rasanten Kampfszene: Es ist die Belagerung von Toulon, deren Erfolg im Herbst 1793 dem jungen Artillerieoffizier Bonaparte frühen Ruhm und die Beförderung zum General eintrug, und ihn erstmals der französischen Öffentlichkeit bekannt machte. Regisseur Ridley Scott zeigt hier die Kampfhandlungen so komplex und chaotisch wie sie vermutlich tatsächlich gewesen sind und doch behält er für den Zuschauer den Überblick, sodass man immer weiß, was gerade passiert, und worum es geht. Umso überraschender und im besten Sinn schockierender ist der Moment, in dem das Chaos in die filmische Ordnung einbricht und dem Helden plötzlich mit einer Kanonenkugel der Schimmel unter dem Sattel weggeschossen wird. Um ein Haar wäre es hier mit der Karriere des jungen Offiziers vorbei gewesen.

Tatsächlich aber folgte der militärischen auch die politische Karriere und Bonaparte wurde bald als „Erster Konsul“ derjenige, der die Revolution beendete, ihre Errungenschaften auf Dauer stellte und das Gesicht Europas für immer veränderte.

Er prägte ein ganzes Zeitalter

Mit 86 Jahren ist Ridley Scott immer noch einer der produktivsten Filmemacher Hollywoods. Scotts Filme können auch dort immer visuell glänzen, wo es an einem guten Drehbuch oder einer richtigen Geschichte fehlte. Jetzt erzählt er die Geschichte des Kaisers der Franzosen, der ein ganzes Zeitalter prägte und bei manchen Völkern ‐ Polen, Ungarn, Sudetendeutschen ‐ bis heute als Freiheitsheld beliebt ist, und dessen Geschichte im Kino noch nie zufriedenstellend erzählt wurde. Berühmte Napoleon-Projekte von Charlie Chaplin und Stanley Kubrick erblickten nie das Licht der Welt, und der bisher berühmteste Kinofilm, Abel Gance' auf sechs Teile angelegter, filmisch revolutionärer Stummfilm „Napoleon“ wurde nach dem ersten Teil aus finanziellen Gründen eingestellt.

Ridley Scott zweieinhalbstündigem Werk geht es nun ähnlich wie seiner Hauptfigur im Leben: Die Hoffnungen des Anfangs und das Tempo und die Kraft der politischen Dynamisierung können im weiteren Verlauf nur selten erreicht werden. Die Intensität der Schlacht bei Toulon erreichen die Kampfszenen erst wieder am Ende bei Waterloo, wo paradoxerweise Scotts Napoleon auch seine allererste Rede an die Soldaten hält ‐ eine schwerverständliche Entscheidung, war doch Napoleons Erfolg nicht zuletzt Folge seiner charismatschen Wirkung und Rednergabe.

Blick auf den Privatmann Bonaparte

So ist das, was diesen Film interessant macht vor allem das Bild des Privatmanns Bonaparte und seiner ersten Frau, der großen Liebe Josephine. Dieser Film sollte „Josephine und Napoleion“ heißen, denn so leidenschaftlich und fesselnd Scott den Mensch hinter der Legende zu finden sucht, so sehr konzentriert er sich auf seine Beziehung zu Josephine und die Briefe, die sie sich im Laufe der Jahre geschrieben haben.

Das Ergebnis ist ein Film, der alles andere als rund ist, weil erkennbar zu viele Teile des Puzzles fehlen. Wovon der Film letztlich vor allem lebt sind seine zwei Hauptdarsteller: Joaquin Phoenix und Vanessa Kirby verkörpern ihre Charaktere mit großem Talent. Die Chemie zwischen den beiden ist unbestreitbar, aber der Film geht weit darüber hinaus, indem er Josephine fast zur Hauptfigur und zur Antriebsquelle eines spröden, undurchschaubaren und wenig charismatischen Napoleon macht, der unter der Fuchtel seiner Gattin und seiner Mutter steht und manchmal zu einem grotesken Zwerg schrumpft.

Ein wenig heldenhaftes Porträt

Das bricht nicht nur mit den Erwartungen des Kinos, es ist auch unhistorisch: Faktenwahrheit interessiere ihn nicht erklärte Scott dazu ‐ das ändert nichts daran, dass er die Möglichkeiten des Kinos, einer Figur und einer Epoche Bildgestalt zu geben, verschenkt.

Trotzdem ist Scotts Film gerade visuell gelungen ‐ ein unheroisches Porträt, das uns eine graue, kühle, regnerische Welt zeigt: Ohne Pathos und bunte Farben, dafür mit sanfter Barockmusik statt den Klängen des Napoleon-Fans Beethoven.

Wer sich darauf einlässt, wird viele kleine Überraschungen erleben. Der Rest muss auf kommendes Jahr warten: Dann wird Steven Spielberg endlich das berühmte unverfilmte Drehbuch Stanley Kubricks in Angriff nehmen.


Napoleon, Regie: Ridley Scott, Großbritannien/USA 2023, 158 Minuten, FSK ab 12. Mit Joaquin Phoenix, Vanessa Kirby.