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Theater in Leutkirch: „Jane Austen“ auf den Putz gehauen

Leutkirch / Lesedauer: 4 min

Von antiquiert kann keine Rede sein in der Komödie „Stolz und Vorurteil* (*oder so) des Landestheater Tübingen.
Veröffentlicht:26.02.2024, 13:59

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Die Romane von Jane Austen haben Literaturgeschichte geschrieben. Sie waren ihrer Zeit weit voraus, was das Gesellschaftsleben in England angeht. Insbesondere „Emma“ (1815) und „Stolz und Vorurteil“ (1813) gehören dazu. Letzteren hat die britische Schauspielerin und Autorin Isobel McArthur als Vorlage für ihr Theaterstück genommen, mit dem das Landestheater Tübingen (LTT) am Sonntag in der Leutkircher Festhalle gastierte. „Stolz und Vorurteil* (* oder so)“ ist ein enthemmtes Spiel um Leben und Tod, aber ganz anders als erwartet.

Eigentlich beginnt ihr Treiben recht harmlos. Fünf Frauen in unauffälligen schwarzen Hosenanzügen hantieren mit Gartengeräten auf einem Kunstrasen. Und sie singen sich förmlich die Seele aus dem Leib mit Bonnie Tylers „Turn around, bright eyes“. Was soll das werden, haben sich sicherlich Besucher im gut frequentierten Saal im Stillen gefragt. Auf jeden Fall anders als gewohnt in einem der Zeit des Regency um 1800 angepassten Ambiente.

Alles andere als antiquiert

Diese Erwartungshaltung hatte sich schnell erledigt, denn von biederem Mobiliar und eingeschnürten Taillen keine Spur. Alles andere als antiquiert. Regisseur Dominik Günther hat zusammen mit Jörg Wockenfuß als musikalischen Leiter und Sandra Fox für Bühne und Kostüme Austens Klassiker ordentlich aufgepeppt, doch ohne dabei den roten Faden zu verlieren. Den der damals herrschenden Verteilung der Geschlechterrollen.

Susanne Weckerle, Insa Jebens, Emma Schoepe, Franziska Beyer und Rosalba Salomon schlüpfen während rund drei Stunden in sage und schreibe 18 verschiedene Rollen. Männliche wie weibliche, denn von männlichen Darstellern fehlt auch jede Spur. Sie mimen alles und jeden. Das mag anfangs verwundern, denn wo bleibt die eine oder andere erwartete traditionelle Aufführungspraxis? Sie kann man getrost über Bord werfen und ab da nimmt einen dieses Ensemble gefangen. So sehr, dass die Zeit vergeht, ohne auf die Uhr schauen zu müssen.

Das Publikum war an diesem Abend mittendrin und spendete einigen Szenenapplaus. Wie macht dieses Ensemble das? Zum einen beherrschen alle fünf das Rollenspiel. So perfekt, dass man sie in den verschiedenen Charakteren kaum wiedererkennt. Weckerle als die ewig an ihren Töchtern herumnörgelnde Mrs. Bennet und im gleichen Moment ist sie Fitzwilliam Darcy. Der, den Elizabeth (Emma Schoepe) zutiefst verabscheut, ihn in einem heftigen Schlagabtausch als arrogant und langweilig abtut. Sie als die stolze, unbeugsame und widerspenstige zieht ihr Ding durch bis zum Schluss.

Fast im Stil eines Musicals

Beyer gibt die vergleichsweise brave Jane und glänzt in dem Auftritt als Lady Catherine de Bourgh und das in knallroter Staffage. Ihr affektiertes Getue ist das der Königin aus Alice im Wunderland, wenn sie Elizabeth beim Krocketspiel die Harke zeigt. Nichts Passenderes als Chris de Burghs „The Lady in Red“ erschall aus dem Off mit der Stimme von Beyer und den auf die Bühnenrückwand projizierten Lyrics für jedermann zum Mitlesen. Das ist bei weitem nicht der einzige sogenannter Karaoke-Songs, die vor allem die erste Hälfte des Stücks dominieren.

Fast im Stil eines Musicals brechen sie ein in die sittsame viktorianische Gesellschaft, die ein Aufmucken von Frauen nicht duldet. Ob verheiratet oder noch schlimmer unverheiratet. In letzterem Fall droht die Enterbung und genau das ist die größte Sorge von Mrs. Bennet. Würde doch wenigstens eine Tochter einen abbekommen, wäre die Familie vor dem Untergang gerettet, ist sie felsenfest überzeugt.

Popp-Rock-Klassiker wie „I should be so lucky, „You´re so vain“, den Elizabeth mit „Fuck you, Mr. Darcy“ enden lässt, „In the air tonight“ oder „How deep is your love“ widerspiegeln das Gefühlsleben beider Seiten. Der zweite Teil geht die Sache nicht weniger lustvoll an, wenn Jebens zwischen Dienstmädchen Tillie, Charles Bingley als Best of-Partie und der biestigen Miss Bingley pendelt, und Rosalba Salomon ihren Abklatsch von Heiratsanwärter Mister Collins inszeniert.

Wer steht da rangmäßig unter wem, könnte man sich bei dieser Verhunzung fragen. Das Ensemble spart nicht mit gepfefferten Dialogen, nähert sich aber zusehends gewogeneren Ausdrücken an. Schließlich soll ja die Liebe siegen, was sie denn auch tut. Stolz und Vorurteile adé, dafür eine enthemmte Performance auf Queens „Don´t stop me now“ und am Schluss sind sie alle wieder die fünf Dienstmädchen, die sich einen Riesenspaß auf ihre Herrschaften gemacht haben. „Having a good time“ und mit ihnen das Publikum.