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Nosferatuspinne

35-Jähriger entdeckt giftige Nosferatu-Spinne in seiner Küche

Spaichingen / Lesedauer: 6 min

Spinnenkenner Nils Reiser staunte nicht schlecht. Denn eigentlich kommt die giftige Spinne nur im Mittelmeerraum vor - doch diese ist wohl in Spaichingen geboren.
Veröffentlicht:19.08.2022, 18:00

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So weit hoch wie nach Spaichingen mit seinen zirka 650 Metern hat sich noch keine ihrer Art getraut. Aber die, die bei Nils Reiser eingezogen ist, muss sogar schon hier geboren sein: Zoropsis Spinimana, die Nosferatuspinne. Sie heißt so, weil sie am Kopf ein bisschen wie Nosferatu, der Vampir, aussieht und wenn sie bedroht wird, sich aufstellt und mit ihren Beißwerkzeugen und Vorderfüßen droht. Jetzt ist sie also eine Spaichingerin. Nils Reiser ist Spinnenkenner und hat das „subadulte“ Weibchen, also ein Jungtier, das wohl noch eine Häutung braucht, in seiner Küche gefangen.

Exemplar wohl in Spaichingen geboren

Weil es ein junges Tier ist, vermutet der 35-Jährige, dass sie hier geboren ist, obwohl sie eigentlich aus dem Mittelmeerraum stammt. Aber weil nur die wenigsten Zeitgenossen so genau hinschauen, und weil diese Spinne sehr scheu und nur nachtaktiv ist und zudem auf einen Radius von 20 Zentimetern sich beschränkt, dürfte sie halt einfach nicht aufgefallen sein.

Nosferatuspinnen sind schon länger bekannt in den wärmeren Gebieten wie in Freiburg, und sie breiten sich aus. Aber so hoch wie Spaichingen ist noch keine in den wissenschaftlichen Arachnologen(Spinnenkundler)-Foren dokumentiert, in denen Reiser aktiv ist.

Dass sie jetzt auch bei uns angekommen ist, hat natürlich mit dem Klimawandel zu tun, denn richtig kalte Winter übersteht diese Art nicht. Vielleicht mal sechs, sieben Minusgrade. Wie eben im Mittelmeerraum.

Giftig, aber nicht aggressiv

Die Spinne ist giftig und die Weibchen können bis zu acht Zentimeter groß werden, inklusive ausgestreckter Beine; der Körper bis zu zwei Zentimeter. Sie ist also alles, was Spinnenphobikern das Blut in den Adern gefrieren lassen könnte. Aber: Sie ist giftig wie eine Biene und beißt nur, wenn sie wirklich bedroht wird. „Wenn ich sie auf meine Hand setze und drücke, dann beißt sie“, sagt Reiser. Es sei auch aus dem Mittelmeerraum nichts über große Bissattacken bekannt. Und sie ist wirklich viel schöner als die schwarzen Hausspinnen, die unsere Keller und Schöpfe bevölkern und fast genauso groß sind.

 Eigentlich ist die Nosferatuspinne im Mittelmeerraum heimisch. Doch dieses Exemplar hat Nils Reiser in seiner Spaichinger Küche gefunden.

Nur: Sie ist anhänglich, sprich, sie lebt gern im Haus der Menschen, nicht im Keller. Wer sie nicht da haben will, der kann sie nach draußen tragen – wenn er sie erwischt –, aber möglichst ein Stück weg, weil sie ja wieder ins Haus will, sagt Nils Reiser.

Sie frisst alles, was sie überwältigen kann.

Nils Reiser

Ansonsten ist die Einwandererin eher unauffällig, meint er, denn sie frisst wie alle Spinnen, das, was ihr gerade unter die Beißwerkzeuge kommt, also „alles, was sie überwältigen kann“, so Reiser. Sie ist also weder spezialisiert auf eine bestimmte Beute, noch verdrängt sie, soweit man weiß, heimische Arten – nicht anders als die Zitterspinne, die oft mit heimischen Weberknechten verwechselt wird.

Jetzt lebt die Reiser’sche Nosferatuspinne in einer durchsichtigen Box mit Stein und Rinde, unter der sie sich versteckt. Wenn Reiser ihr eine Fliege reinwirft, wird das ansonsten reglos sitzende Tier munter und springt nach der Fliege. Das geht ganz fix.

Dass sich Tiere entlang derselben Klimazonen ausbreiten, das sei nichts Neues. Bei seinem Studienpraktikum in Equador habe er als erster eine Spinne entdeckt, die vorher nicht in diesem Land dokumentiert war. De stammt ursprünglich aus Madeira und es gibt sie auch in Deutschland.

Weltreisende mit achte Beinen

Durch den Waren- und Reiseverkehr würden immer wieder Arten auch auf andere Kontinente gebracht, und die meisten seien eben nicht die berühmten Bananenkistenspinnen. Nur ein befruchtetes Weibchen im Koffer, und schon kann sich eine Art woanders ausbreiten.

 Nils Reiser ist ein Fachmann in allen möglichen Fragen der Tier- und Pflanzenwelt. Sein besonderes Interesse gilt Insekten und Spinnen.

Reiser ist ein Fachmann in allen möglichen Fragen der Tier- und Pflanzenwelt. Er hat den Bachelor in Göttingen in Naturschutz und Landnutzungsplanung gemacht und den Master in International Nature Conservation, also internationalem Naturschutz. Heute ist er Naturschutzbeauftragter im Zollernabkreis.

Eigentlich, so sagt er, habe er Biologie studieren wollen. Aber da wäre erst einmal über weite Strecken alles andere als die Kenntnis von Tieren und Pflanzen gestanden, nämlich Bio, Chemie, Mathe, Physik.

Seine Frau, die er beim freiwilligen ökologischen Jahr in Ecuador kennengelernt hat, ist Biologin. Seine Forschungen hätten den wissenschaftlichen Weg nahe gelegt, sagt Reiser, der mit der Möglichkeit zu promovieren geliebäugelt hatte; aber die Berufsperspektiven wären nicht berauschend gewesen.

Ein ehrenamtlicher Wespenbeauftragter

Jetzt habe er einen Job, der sehr vielfältig und spannend sei. Und nebenher ist er auch ehrenamtlicher Wespen- und Hornissenbauftragter.

 Unter der Rinde ist die Nosferaturspinne auch durch ihre Körperfarbe gut getarnt.

Doch zurück zur wissenschaftlichen Arbeit mit Spinnen. Jeder kennt „Die Spinne in der Yucca-Palme“ beziehungsweise das gleichnamige Buch über kuriose Geschichten. Eigentlich müsste es heißen „Die Spinne im Baumarkt“. Das ist die Spezialität von Nils Reiser, der darüber seine Abschlussarbeit geschrieben hat.

Denn es weiß wohl kaum jemand, dass Baumärkte, beziehungsweise deren Pflanzen-Abteilung ein Refugium für Spinnen aller Art und aus allen Ländern sind. Denn die Pflanzen kommen ja von überall her. Licht, Temperatur, Nahrung – perfekt für ein Spinnenleben übers ganze Jahr. Die Bewohnerinnen der Baumärkte sind aber meist sehr klein und fielen den Marktbesuchern nicht auf. Es sind seltene und vor allem sehr, sehr viele Arten.

Spinnen in der Wilhelma

Ein ähnliches Klima haben auch große Gewächshäuser wie zum Beispiel in der Wilhelma. Da fühlen sich auch sehr große Spinnen wohl, sagt Reiser. Aber auch die sieht man meist nur, wenn man genau danach sucht.

400 Vogelspinnen zuhause

Reiser hatte bis vor einigen Monaten selbst bis zu 400 Vogelspinnen zuhause, darunter natürlich auch Jungtiere. Seit er eine kleine Tochter hat, hat er sie abgeschafft. Aber warum widmet jemand diesen Tieren das halbe Leben?

Spinnen seien faszinierend; sie lebten schon, als sich die ersten Dinosaurier entwickelten, sie könnten wochenlang ohne Nahrung auskommen, und „ohne Spinnen könnten wir nicht überleben“, sagt Reiser.

Auf einem Quadratmeter Wiese lebten 100 bis 200 Spinnen, die alles wegfangen, was da kreucht und fleucht. Ohne diese feine ökologische Balance würden sich diese Insekten explosionsartig vermehren. Man kann sich als Mensch wohl einfach nicht vorstellen, wie fein ökologische Systeme aufeinander abgestimmt sind.