Stürze treten in jedem Alter auf. Senioren fallen aber häufiger als jüngere Menschen, und die Folgen sind meist schwerwiegender. Umso wichtiger ist es, im Alter rechtzeitig zu lernen, wie man das Sturzrisiko mindern kann. Dabei helfen schon einfache Bewegungsübungen. Foto: dpa

Jeder dritte Senior über 70 stürzt regelmäßig– Übungen, Kurse und Tanzen beugen Unfällen vor.

Stuttgart - Luise Müller ist fit. Dass sie bald ihren 80. Geburtstag feiert, ist ihr nicht anzusehen. Die Seniorin, die ihren richtigen Namen nicht verraten möchte, ist noch viel unterwegs, neulich hat sie Paris besucht. Die Reise hätte allerdings im Krankenhaus enden können – wenn Luise Müller nicht regelmäßig ihren Gleichgewichtssinn schulen würde. „Ich bin dort auf einer Gurkenscheibe ausgerutscht. Aber irgendwie habe ich mich instinktiv mit einem halben Spagat abgefangen“, erzählt sie im Stuttgarter Treffpunkt Senior. Dorthin kommt sie bereits seit einigen Jahren, zum Balance- und Krafttraining für Senioren. „Seitdem kann ich meine Balance viel besser halten.“

Wie der Ausrutscher auch hätte ausgehen können, zeigt die Statistik der Uni Düsseldorf von 2010: Sie belegt zwar, dass Stürze in jedem Alter auftreten, Senioren aber häufiger stürzen als jüngere Menschen. Auch die Folgen sind in der Regel schwerwiegender. Von 1000 Senioren im Alter von über 65 Jahren stürzen im Jahr zwischen 300 und 400 Personen. Von diesen haben etwa 60 Personen behandlungsbedürftige Verletzungen durch den Sturz, etwa einen Oberschenkelbruch.

Solche Brüche sind insbesondere für Senioren folgenschwere Verletzungen, wie Clemens Becker, Chefarzt der Klinik für geriatrische Rehabilitation am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart bestätigt: Sie bedeuten enorme Kosten für das Gesundheitssystem, außerdem schafft es etwa die Hälfte der Betroffenen nicht mehr in ihren früheren gesundheitlichen Zustand zurück. „Man verliert während des Krankenhausaufenthaltes etwa 25 Prozent seiner Muskulatur. Für älterer Mensch ist es sehr schwer, sich diese wieder anzutrainieren“, sagt Becker. Viele werden dadurch hilfebedürftig.

Die Muskelkraft lässt nach, es fällt schwerer das Gleichgewicht zu halten

Warum gerade Stürze für ältere Menschen fast immer Folgen haben, erklärt der Mediziner mit dem zunehmenden Bewegungsmangel der Senioren: Die Muskelkraft lässt nach, es fällt schwerer das Gleichgewicht zu halten. Man sieht vielleicht auch nicht mehr so gut, reagiert nicht mehr so schnell wie früher. Auch Arzneimittel können das Risiko für Stürze erhöhen. Schlafmedikamente können die Reaktionsfähigkeit einschränken, Blutdruckmittel können – wenn sie zu stark eingestellt sind – beim Aufstehen Schwindel verursachen. „Viele fallen auch hin, weil sie taube Füße haben“, so Becker.

Doch das Sturzrisiko lässt sich mindern, etwa über Kurse zur Vorbeugung, die Krankenkassen, Sportgruppen, Wohlfahrtsverbände anbieten. Aber auch städtische Einrichtungen wie der Stuttgarter Treffpunkt Senior haben sie im Programm. Dabei werden einfache Bewegungsmuster trainiert, die im Gehirn der Teilnehmer abgespeichert werden und dann als Reflex abgerufen werden können, erklärt der Sportwissenschaftler Matthias Wengert. Er leitet beim Treffpunkt Senior die Sturz-Prävention .

So üben die Teilnehmer zum Beispiel auf einem geraden Strich zu laufen oder ihre Füße gezielt in vorgegebene Kästchen abzusetzen. Damit sie dabei nicht auf den Boden schauen, werden ihnen Zahlen angezeigt, die sie während der Übung zusammenzählen müssen. „So schulen wir auch die geistige Fitness“, sagt Wengert. Und die Senioren lernen, sicher zu laufen, auch wenn sie zwei Dinge gleichzeitig tun – denn gerade dabei passieren häufig Unfälle. Bei einer zweiten Übung werden den Teilnehmern Fußmanschetten mit Gewichten angelegt. Mit dieser Belastung sollen sie imaginäre Treppenstufen hinauf- und wieder hinabsteigen. Zuhause können diese Übungen wiederholt werden – was Sportwissenschaftler wie Matthias Wengert auch dringend raten.

„Sehr gut ist zum Beispiel jede Form des Tanzens, das verbessert die Leistungsfähigkeit deutlich“

Die Bewegungsfähigkeit im Alter kann aber auch durch andere Sportarten trainiert werden. „Sehr gut ist zum Beispiel jede Form des Tanzens, das verbessert die Leistungsfähigkeit deutlich“, sagt der Mediziner Clemens Becker. Auch die chinesische Form des Schattenboxens, Tai Chi Chuan genannt, ist sehr gut dafür geeignet.

Für betagte Menschen, die nicht mehr so mobil sind, empfiehlt Becker zum Beispiel die aktivierenden Hausbesuche des Deutschen Roten Kreuz (DRK). Dabei kommen ausgebildete Übungsleiter zu Senioren in die Wohnung, machen mit ihnen – je nach Möglichkeit – kleine gymnastische Übungen und nehmen sich auch Zeit für Gespräche.

Doch mit Bewegungsübungen ist es meist nicht getan: Um die Sicherheit zu erhöhen, wird empfohlen, auch die Wohnung nach Gefahrenquellen für Stürze abzusuchen. „Meist ist es so, dass ältere Menschen schon seit Jahrzehnten in ihrer Wohnung leben und die Gefahrenquellen so genau kennen, dass sie diese gut umschiffen“, sagt Becker. Dennoch passieren die meisten Stürze in den eigenen vier Wänden. Daher rät er, die Wohnung mit geschultem Auge absuchen zu lassen. Das DRK beispielsweise, aber auch viele Sanitätshäuser bietet solche Rundgänge an.

Wer herauszufinden will, ob er sturzgefährdet ist, kann im Netz einen Selbsttest machen: www.stn.de/sturztest