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Sozialphänomen: Erstgeborene werden Akademiker

Die Berufswahl eines Menschen hängt unter anderem davon ab, das wievielte Kind er in einer Familie ist. Dieses Sozialphänomen hat etwas mit dem Exklusivrecht auf Aufmerksamkeit durch die Eltern zu tun.

Das erste Kind in der Familie geht mit einem Startvorteil ins Leben.
Das erste Kind in der Familie geht mit einem Startvorteil ins Leben.

Zuerst geborene Kinder wählen für ihr Studium häufiger angesehenere Fächer wie Medizin oder Ingenieurwesen als ihre später geborenen Geschwister. Dieses Forschungsergebnis veröffentlichten die Bevölkerungsforscher Kieron Barclay und Mikko Myrskylä vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung zusammen mit Martin Hällsten von der Universität Stockholm jetzt im Wissenschaftsjournal "Social Forces".

Aus früheren Studien anderer Forscher war bereits bekannt, dass nachfolgende Geschwister eine schlechtere Ausbildung bekommen und langfristig weniger Geld verdienen als zuerst geborene Kinder. Die neue Veröffentlichung der Forscher belegt nun erstmals Unterschiede in den Vorlieben für bestimmte Studienfächer.

Die Forscher untersuchten für ihre Studie schwedische Familien. Sie fanden heraus, dass die Wahl des Fachs die Hälfte der langfristigen Einkommensunterschiede unter den Geschwistern ausmacht.

Mehr Zeit für das erstgeborene Kind

"Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Eltern mehr in ihre zuerst geborenen Kinder investieren als in die folgenden", sagt Kieron Barclay. "Dies scheint Unterschiede in den Fähigkeiten und Ambitionen der Kinder sogar innerhalb der Familie zu bewirken."

Dabei unterscheide sich nicht lediglich das erste Kind von allen darauffolgenden, sagt Barclay. Vielmehr nähmen die Verschiedenartigkeiten mit dem Rang in der Geburtenreihenfolge zu: "Zum Beispiel ist relativ gesehen die Wahrscheinlichkeit für ein zweites Kind, Medizin zu studieren, um 27 Prozent geringer als für das erste Kind. Und der Unterschied zwischen dem ersten und dem dritten Kind beträgt sogar 54 Prozent."

Entscheidende Rolle spielt Fürsorge der Eltern

Ebenso fanden die Forscher heraus, dass beispielsweise die Wahrscheinlichkeit zweiter Kinder, Kunst zu studieren, 27 Prozent höher ist als die des ersten Kindes, während der Unterschied zwischen dem drittgeborenen Kind und dem ältesten Geschwister schon 36 Prozent beträgt.

"Dass die Geschwister unterschiedliche Fächer wählen, liegt nicht einfach nur daran, dass erste Kinder bessere Noten in der Schule haben", sagt Kieron Barclay. Auch als die Forscher den Einfluss der Schulnoten herausrechneten, blieben die unterschiedlichen Neigungen bei der Studienfachwahl unter den Geschwistern bestehen. "Die häusliche Umgebung scheint die Einstellungen und Vorlieben der Kinder jenseits der schulischen Begabung zu prägen", sagt Barclay.

Warum die Vorlieben der Geschwister so verschieden sind, wenn es um das Studienfach geht, haben die Rostocker Forscher in ihrer Studie nicht untersucht. Eine entscheidende Rolle scheint allerdings die Fürsorge der Eltern zu spielen.

Volle Aufmerksamkeit als früher Vorsprung

"Zuerst Geborene profitieren exklusiv von der vollen Aufmerksamkeit der Eltern, solange sie noch das einzige Kind sind", sagt Mikko Myrskylä, Direktor am Rostocker Max-Planck-Institut. "Das gibt ihnen schon früh einen Vorsprung."

Für ihre Untersuchung nutzten die Forscher Daten aus schwedischen Verwaltungsregistern. Sie bezogen alle Familien mit ein, in denen sich mindestens zwei Geschwister für ein Fach an einer Hochschule eingeschrieben hatten.

Insgesamt untersuchte die Studie 146.000 Studenten, die zwischen 1982 und 1990 geboren wurden und sich zwischen 2001 und 2012 an einer Hochschule eingeschrieben hatten.

"Sandwich-Kinder" sind im Nachteil

Viele Kinder fühlen sich im Vergleich zu ihren Geschwistern benachteiligt. Oft sind es die "in der Mitte Geborenen". Obwohl die meisten Eltern beteuern, ihnen seien alle ihre Kinder gleich lieb, orten Psychologen aber etwas anderes. Gerade die gerechte Aufteilung von Aufmerksamkeit, Fürsorge und Förderung aller Kinder führt zu Nachteilen der "Sandwichkinder".

Dieses theoretische Modell von Ralph Hertwig vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin basiert auf einer einfachen Berechnung. Sie deckt sich mit Daten aus empirischen Studien zur Ungleichbehandlung der "Sandwichkinder". Rollen und Chancen der Kinder sind seit jeher je nach ihrem Geschlecht und der Geburtenfolge verschieden. In vielen Kulturen wurden die ältesten Söhne vor allen anderen ausgezeichnet. Und werden es bis heute.

Moderne Eltern versuchen nun gleich viel Zeit und Geld auf alle Kinder gleich aufzuteilen. Rein rechnerisch bekommen das erste Kind und das letzte Kind das meiste von diesem Zuwendungsbudget ab. Das erste, weil noch keine Geschwister da sind, das letzte, weil die anderen Geschwister schon aus dem Haus sind. Das Kind in der Mitte muss sich dieses Zuwendungsbudget aber stets teilen.

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