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Zuhören und Einordnen: Schulen sprechen Nahost-Konflikt bewusst im Unterricht an

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Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel sprechen die Werler Schulen den Nahost-Konflikt als Thema im Unterricht bewusst an (Symbolbild).
Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel sprechen die Werler Schulen den Nahost-Konflikt als Thema im Unterricht bewusst an (Symbolbild). © Ilia Yefimovich (dpa)

Die Bilder des Konfliktes im Nahen Osten sind seit Tagen allgegenwärtig und beschäftigen auch Kinder und Jugendliche in Werl. Die Schulen in der Wallfahrtsstadt haben sich deshalb bewusst dafür entschieden, das Thema im Unterricht mit den Schülern zu besprechen.

Werl – Das Marien-Gymnasium orientiere sich dabei an einer Mail des Schulministeriums, sagt Schulleiter Michael Prünte. Darin heißt es: „Unsere Schülerinnen und Schüler benötigen gerade in diesen Tagen eine offene Gesprächskultur sowie vertraute Strukturen des Alltags mit bekannten Abläufen und vertrauten Gesichtern, um ihre Ängste und Sorgen artikulieren und Sicherheit wiedergewinnen zu können.“

Immerhin: Kein Kind sei vom Unterricht abgemeldet worden, weil zu starke Ängste oder Sorgen bestanden, sagt Prünte. Er habe die Lehrkräfte am MG angehalten, das Thema anzusprechen. „Wir warten nicht darauf, bis uns ein Spruch dazu zwingt, sondern haben das Thema proaktiv auf den Lehrplan gesetzt“, sagt der Schulleiter. Aber auch die Schüler seien sehr aufgeschlossen und forderten diese Gespräche zum Teil auch von sich aus ein. Fehlverhalten, etwa antisemitische Äußerungen, würde die Schule im Fall der Fälle sanktionieren.

Parteien rufen zur Friedenswache auf

Nach dem Terror-Angriff auf Israel haben CDU, SPD, Grüne, BG, FDP und UWG gemeinsam eine Mahnwache organisiert. Unter Einbeziehung aller Glaubensgemeinschaften, Schulen und Verbände sind alle Bürger zu einer Friedenswache am Donnerstag, 19. Oktober, ab 18 Uhr auf den Marktplatz eingeladen. Es werden verschiedene Redner Gedanken und Gebete vortragen. Die Initiatoren hoffen auf eine große Teilnehmerschaft aus der Bevölkerung als Zeichen für den Frieden und gegen Antisemitismus. Kerzen dürften zur Mahnwache – in eigener Verantwortung – gerne mitgebracht werden.

Am MG gebe es keine Schüler mit jüdischen, aber etliche mit arabischen Wurzeln. „Und in einer solchen weltpolitischen Konfliktsituation treibt uns natürlich die Frage um, wie sich die Menschen am MG begegnen.“ Prünte zeigt sich zuversichtlich, dass am MG ein „konstruktiver Dialog“ zustande kommt. Schließlich pflege die Schule seit Jahrzehnten eine gute Pädagogik, um antisemitische Weltbilder aufzubrechen, ihnen zu begegnen und diese auf kein Fall zu tolerieren.

Eigene, „sehr konkrete“ Geschichte als Verpflichtung

Das MG habe etwa seine Aula bewusst nach dem letzten jüdischen Schüler Werner Halle benannt. Der musste einst das MG und das Land wegen der Verfolgung durch das Nazi-Regime verlassen. Sein Vater Max Halle war der letzte Vorsteher der Jüdischen Gemeinde Werl. Diese konkrete Geschichte sei für das MG auch eine Verpflichtung, sagt Prünte. Zu jedem Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz gebe es im MG eine Ausstellung und für den April bereite die Schule eine große Schau rund um Max Halle vor.

Dr. Hans-Jürgen Zacher sei regelmäßiger Besucher am MG und spreche zum Thema Judentum. Außerdem verweist Prünte darauf, dass die Schüler außerschulische Lernorte besuchten wie das KZ Buchenwald, die Steinwache Dortmund, die Wewelsburg oder die Ausstellung „Topographie des Terrors“ in Berlin. Nicht zuletzt sei das MG als „Schule ohne Rassismus“ zertifiziert, führe dazu einmal im Jahr ein Projekt durch.

Wichtig sei in der aktuellen Situation aber auch, „aufgeschlossen, besonnen und wohlwollend auf die Menschen zuzugehen, die eine Pro-Palästina-Haltung haben“, sagt Prünte.

 Ich glaube nicht, dass so schnell eine Versöhnung möglich ist, aber vielleicht eine Verständigung.

Michael Prünte, Leiter der Marien-Gymnasiums

Gesprächsanlässe gebe es immer wieder. Er selbst habe zum Beispiel im Latein-Unterricht ein solches Gespräch mit einem aus Syrien stammenden Schüler geführt. „Da gilt es, erstmal zuzuhören, zu informieren und zu kontextualisieren.“ Das sei zwar ohnehin tägliche Aufgabe von Pädagogen, falle aber im Zusammenhang mit der neuen Qualität des jüngsten Terroraktes nicht immer leicht. „Ich glaube nicht, dass so schnell eine Versöhnung möglich ist, aber vielleicht eine Verständigung.“

Ob die Schüler des MG an der von den Werler Parteien geplanten Friedenswache teilnehmen (Infokasten) bleibe ihnen selbst überlassen, sagt Prünte. Aber die Schule informiere per Aushang über die Veranstaltung.

Auch an den beiden Ursulinenschulen seien der Terrorangriff auf Israel und die Folgen in verschiedenen Klassen und Kursen thematisiert worden, sagt Konrad Beckmann, Leiter des Ursulinengymnasiums. Grundsätzlich sei dies auch fachunabhängig erfolgt.

Beckmann selbst habe das Thema zum Beispiel im Mathekurs angesprochen. „Unser Anspruch ist es, eine möglichst breite Bildung zu ermöglichen.“ Ansatz und Tiefe der Auseinandersetzung seien aber je nach Alter und Fach auch unterschiedlich. Im Intensivkurs Geschichte in der Oberstufe habe man die Ereignisse zum Beispiel in den langen historischen Kontext eingeordnet, der ja bis in die Römerzeit und die Zerstörung des Tempels in Jerusalem zurückreiche.

Vereinzelt habe es Solidaritätskundgebungen gegeben - auch undifferenzierte

Ein großes Konfliktfeld sieht Beckmann an Gymnasium und Realschule nicht, das sei sicher nicht mit der Situation im Ruhrgebiet oder in Berlin zu vergleichen. „Wir haben relativ wenig muslimische Schüler und auch niemanden jüdischen Glaubens.“ Vereinzelt habe es aber auch an den beiden Werler Schulen Solidaritätskundgebungen in die eine oder andere Richtung gegeben, auch undifferenzierte.

Als katholische Schulen sei es den Ursulinenschulen ein besonderes Anliegen, den jüdischen Mitbürgern gegenüber Solidarität zu demonstrieren. „Schließlich verbindet uns eine lange, gemeinsame Geschichte“, sagt Beckmann. Der Kundgebung der Parteien am Donnerstagabend stünden die Schulen deshalb auch positiv gegenüber: „Wir werden das auf jeden Fall bei uns bekannt machen.“

An der Sälzer-Sekundarschule werde der Nahost-Konflikt insbesondere im Fach Gesellschaftslehre angesprochen, sagt die stellvertretende Schulleiterin Martina Schmitz. Auch sie persönlich habe das aktuelle Geschehen zum Anlass genommen, die Unterrichtsreihe im Jahrgang 9 vorzuziehen. Die Sekundarschule hat sich dabei an der Mail des Schulministeriums orientiert und setze auch das „sehr gute Unterrichtsmaterial“ ein, auf das das Ministerium verwies.

Schüler haben Gesprächsbedarf

Doch die Schüler warteten nicht nur auf die Einordnung im Unterricht, sondern hätten auch von sich aus Gesprächsbedarf, sagt Schmitz. Vor allem ältere Schüler würden die Lehrer auch während der Pausenaufsicht oder in den Klassenräumen ansprechen und Fragen stellen: „Warum ist die Lage in der Region so?“ „Wie sehen Sie das?“ Die Diskussionen verliefen dabei durchaus emotional: „Man muss berücksichtigen, dass einige Schüler von uns Familienmitglieder in der Region haben“, erläutert Schmitz. „Diese Schüler müssen wir erst mal in ihrer Emotionalität auffangen. Da sind ja auch Ängste spürbar.“

Verständlicherweise seien Schüler mit syrischen und palästinensischen Wurzeln ihren Familien gegenüber loyal. „Und wir dürfen sie nicht in einen Loyalitätskonflikt bringen. Wir müssen sie da abholen.“ In einem nächsten Schritt gehe es aber natürlich auch um eine Einordnung der Situation anhand der historischen Hintergründe und der Fakten.

„Worauf wir achten, ist, dass wir über diesen Themenkomplex mit Respekt, Solidarität und Toleranz sprechen und sowohl die jüdische, als auch die palästinensische Seite wahrgenommen werden“, sagt Schmitz.

„Das Problem ist, dass wir letztlich keine Lösung anbieten können. Das ist für die Jugendlichen schwierig auszuhalten.“ 

Martin Schmitz, stellvertretende Leiterin der Sälzer-Sekundarschule

„Das Problem ist, dass wir letztlich keine Lösung anbieten können. Das ist für die Jugendlichen schwierig auszuhalten.“ Offene Konflikte an der Sekundarschule habe es in diesem Zusammenhang bislang aber nicht gegeben. „Die Erfahrungen der letzten Tage zeigt, dass die Schüler uns zuhören. Das ist sehr viel wert.“

Über die Friedenswache der Werler Parteien habe die Schulleitung die Lehrer und Schüler informiert, auch über den Hintergrund und Zweck gesprochen. Die Teilnahme bleibe allen aber selbst überlassen, sagt Schmitz. „Zum Mitmachen auffordern dürften wir auch gar nicht. Grundsätzlich sind wir zu einer politischen Neutralität verpflichtet.“

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