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EU-Parlament ratifiziert Brexit-Vertrag Zum Abschied ein bisschen Gänsehaut

Das EU-Parlament hat das Brexit-Abkommen ratifiziert - und die Briten fast schon geschäftsmäßig verabschiedet. Erst am Ende kommen doch noch einmal Emotionen hoch.
Von Markus Becker und Peter Müller, Brüssel
Abgeordnete singen und fassen sich an den Händen: emotionaler Abschied im Europaparlament

Abgeordnete singen und fassen sich an den Händen: emotionaler Abschied im Europaparlament

Foto: Michael Kappeler/ dpa

Erst mal gibt es ein Dankeschön. Guy Verhofstadt, ehemaliger Chef der Brexit-Steuerungsgruppe im Europaparlament, wendet sich an Michel Barnier. Er dankt dem Brexit-Chefunterhändler dafür, dass er die EU bei den Verhandlungen eng zusammengehalten hat. Dafür, dass er am Ende doch noch ein Austrittsabkommen zustande bekam, dem auch die Briten zustimmen konnten. Der hochgewachsene Franzose sitzt in der ersten Reihe des Brüsseler Plenarsaals neben Kommissionschefin Ursula von der Leyen und nimmt den Applaus gern entgegen.

Nach dem britischen Unterhaus ist am Mittwochabend das Europaparlament an der Reihe, über das Austrittsabkommen abzustimmen, und am Ende wird es erwartungsgemäß eine überwältigende Mehrheit geben. Doch es ist wie so oft in der EU: Der Moment mag historisch sein, das passende Gefühl dazu kommt erst einmal nicht auf.

Es liegt nicht an Verhofstadt, einem guten Redner und einer Reizfigur für die Brexiteers. Nach Barnier dankt er den Briten, die die Debatten in den vergangenen Jahrzehnten bereichert hätten. „Es ist traurig, ein Land gehen zu sehen, das Europa zweimal befreit hat“, sagt er. Dann spricht er eine Kernfrage an, die die Parlamentarier seit dem Brexit-Referendum verfolgt: „Wie konnte das passieren?“

Brüssel hat genug vom Brexit

Eine Antwort freilich, welche Gründe dazu führten, dass sich die Briten mehrheitlich von der EU abwandten, gibt es an diesem Nachmittag nicht. Wie auch? Jeder Parlamentarier hat nur ein paar Minuten Redezeit, das reicht für die plakativen Botschaften der Brexiteers, nicht aber für eine gründliche Auseinandersetzung mit den Ursachen des Brexits.

Allzu viel Interesse zeigen die Abgeordneten ohnehin nicht mehr. Während die Pressetribüne übervoll ist, sind die Reihen der Parlamentarier eher luftig besetzt. Das mag daran liegen, dass die Abgeordneten schon viel über die Briten und den Brexit diskutiert haben. Brüssel, auch das gehört bei all den Bekundungen der Wehmut an diesem Tag zur Wahrheit, hat das Thema Brexit ganz schön satt.

Doch als die Parlamentsvizechefin dann auch noch recht früh in der Debatte mahnt, sich strenger an die knappe Redezeit zu halten, platzt Philippe Lamberts, dem Fraktionschef der Grünen, der Kragen: „Das ist ein historischer Tag“, ruft er, „sagen Sie uns bitte nicht, dass wir um Punkt 18 Uhr wegen der Fernsehkameras abstimmen müssen.“

Zu Wort kommt Ursula von der Leyen, die Kommissionschefin. Sie zitiert die britische Schriftstellerin George Eliot, erinnert an die Tausenden britischen Beamten, die in Brüssel an der EU mitgearbeitet haben. „Sie werden immer zu unserer Familie gehören“, sagt sie von ihrem Platz in der ersten Reihe aus. „Ich möchte, dass die Europäische Union und das Vereinigte Königreich gute Partner bleiben.“

Von der Leyen: Warme Worte, klare Kante

Klar wird allerdings auch, dass die Verhandlungen über die künftigen Beziehungen noch hart werden dürften. Ja, sie wolle ein Handelsabkommen „ohne Zölle und ohne Quoten“, sagt von der Leyen. Dafür aber müssten sich die Briten auch weiterhin weitgehend an die Regeln der EU halten. Von den Brexiteers kommen „No“-Rufe, von der Leyen gibt sich unbeeindruckt. „Ganz sicher“, sagt die Kommissionschefin, „werden wir unsere Unternehmen nicht unfairem Wettbewerb aussetzen.“

Manfred Weber, der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, versucht mit einer persönlichen Anekdote etwas Schwung zu schaffen, er erzählt vom Pub-Besuch bei seiner Interrail-Reise nach England, „Guinness in der Hand“. Aber auch er macht klar, dass sich die Dinge jetzt ändern werden. Die EU werde sich nicht zu einem übereilten Abkommen drängen lassen, nur weil die britische Regierung sich per Gesetz festgelegt hat, die Übergangsphase nach dem Brexit nicht über das Jahresende hinaus zu verlängern.

„Am Ende wollen wir das beste Abkommen haben, nicht das schnellste“, sagt Weber. Außerdem werde es bei den nun beginnenden Verhandlungen „kein Rosinenpicken“ geben. Auch ein „Singapur an der Themse“ werde die EU nicht hinnehmen. Wer Zugang zum EU-Binnenmarkt wolle, müsse sich an die Regeln halten – das gelte für Großbritannien genauso wie für Norwegen.

Immerhin: Von den britischen Konservativen kommen versöhnliche Töne. „Sie verlieren einen schlechten Mieter und gewinnen einen guten Nachbarn“, sagt der Tory Daniel Hannan. Dieser Mittwoch, diese Abstimmung sei kein Grund zur Trauer, sondern zur Freude.

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"Auld Lang Syne" zum Abschied

Wenn man so will, ist Hannan an diesem Tag der freundliche Brexiteer. Der weniger freundliche ist gleich nach ihm an der Reihe, Nigel Farage von der Brexit-Partei. „Die Briten sind zu groß, um herumgestoßen zu werden“, schimpft er. „Wir brauchen keine EU-Kommission, kein EU-Gericht, diese Institutionen.“ Das alles bedeute nicht, dass er Europa ablehne. „Wir lieben Europa, aber wir hassen die EU“, sagt Farage.

Am Ende wedeln er und seine Parteikollegen mit britischen Flaggen, obwohl das im EU-Parlament verboten ist. Mairead McGuinness schaltet daraufhin Farages Mikrofon ab, seine letzten Worte verhallen ungehört. „Entfernen Sie ihre Flaggen“, sagt McGuinness. „Und wenn Sie jetzt gehen, dann nehmen Sie ihre Flaggen mit!“ Farage und seine Fraktion gehorchen ausnahmsweise prompt – und verlassen das Plenum vorzeitig. Empört wirkt darüber niemand mehr, nur genervt scheinen einige zu sein.

Einen emotionalen Moment gab es dann doch noch. Nachdem das Parlament das Austrittsabkommen mit 621 zu 49 Stimmen ratifiziert hat, stehen die Abgeordneten auf und singen „Auld Lang Syne“, die berühmte schottische Abschiedshymne. Viele fassen sich an den Händen oder stehen Arm in Arm. Und bei nicht wenigen, besonders unter den Briten, rollen Tränen.