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Chaos in Haiti Bandenchef ruft Bevölkerung zum Aufstand auf – und droht dem Westen

Jimmy Chérizier war einst Polizist und führt heute Haitis Straßenbanden an. Er sagt möglichen internationalen Eingreiftruppen den Kampf an. Derweil fliehen Tausende vor der eskalierenden Gewalt.
Bewohner von Port-au-Prince fliehen vor der Bandengewalt (Foto vom 15. August)

Bewohner von Port-au-Prince fliehen vor der Bandengewalt (Foto vom 15. August)

Foto: Odelyn Joseph / AP

Wegen der Bandengewalt in Haiti sind nach Uno-Angaben innerhalb von vier Tagen rund 5000 Bewohner aus zwei Vierteln der Hauptstadt Port-au-Prince geflüchtet. Insgesamt gebe es in der Stadt etwa 130.000 Vertriebene, teilte die Internationale Organisation für Migration (IOM) am Mittwoch mit.

Vom vergangenen Samstag bis Dienstag trieb Gewalt in den Stadtteilen Carrefour-Feuille und Savanes Pistaches der Uno-Organisation zufolge 4972 Menschen aus 1020 Haushalten in die Flucht. Davon seien 76 Prozent in Notunterkünften untergekommen.

Einer der mächtigsten Bosse der Bandenszene, wenn nicht sogar der mächtigste, ist Jimmy Chérizier. Er hat sich vom Polizisten zum kriminellen Anführer entwickelt und äußerte sich nun bei einer Pressekonferenz über eine mögliche Intervention aus dem Ausland.

»Wir werden sie bis zu unserem letzten Atemzug bekämpfen«, so Chérizier. Dies gelte für den Fall, dass mögliche Eingreiftruppen die Vergehen der vorherigen Uno-Friedenstruppen wiederholen würden. Diesen warf er unter anderem sexuelle Übergriffe und die Verseuchung von Trinkwasser vor. Chériziers Bande, G9 Family and Allies, werden schwerste Übergriffe auf die Zivilbevölkerung und brutales Vorgehen gegen rivalisierende Gangs vorgeworfen.

In der Pressekonferenz, in der er von bewaffneten Männern umgeben war, erklärte er außerdem, dass die Bevölkerung zum Aufstand gegen die bisherige Regierung aufgerufen sei. Deren Einfluss war zuletzt deutlich zurückgegangen, weite Teile des Landes werden praktisch von den kriminellen Banden kontrolliert.

Immer wieder auch sexuelle Übergriffe

Nach Uno-Schätzung beherrschen diese 80 Prozent der Hauptstadt und terrorisieren die Bevölkerung mit brutaler – auch sexueller – Gewalt. Auch die Zahl der Entführungen ist drastisch gestiegen. Zuletzt kam es zu einer Selbstjustiz-Bewegung der Bewohner gegen die Banden.

Die Gewalt verschärft auch die ohnehin schon prekäre Versorgungslage in Haiti. Fast die Hälfte der elf Millionen Bewohner des armen Karibikstaats leidet laut Vereinten Nationen unter akutem Hunger.

Nach IOM-Angaben lebt fast die Hälfte der Vertriebenen in Port-au-Prince inzwischen in behelfsmäßigen Unterkünften, wo die hygienischen Verhältnisse extrem schlecht sind. Viele hätten zunächst bei Freunden oder Familie Unterschlupf gesucht; die Fähigkeit der aufnehmenden Gemeinden, ihre knappen Mittel zu teilen, nehme mit Fortdauern der Krise jedoch ab. Landesweit gibt es laut IOM fast 200.000 Vertriebene. Hinzu kämen rund 100.000 Haitianer, die in diesem Jahr aus umliegenden Ländern abgeschoben worden seien.

jok/dpa