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Interview mit dem Verkehrsplaner Hans Mondermann Die Axt im Schilderwald

Sein Kahlschlag-Design befreit Straßen von Verkehrsschildern und -regeln. Wo Verkehrsplaner Hans Monderman am Werk war, kommunizieren Autofahrer, Fußgänger und Radler per Augenkontakt. Sie kommen so sicherer ans Ziel – und werden auch noch zu besseren Bürgern.

SPIEGEL ONLINE:

Als Verkehrsplaner haben Sie in Drachten in Nordholland Ampeln, Vorfahrtsschilder und Fahrbahnmarkierungen abgeschafft. Wie war die Reaktion?

Monderman: Zuerst haben sich die Leute ein bisschen geärgert. All die Instrumente, an die sie sich so gewöhnt hatten, waren nicht mehr da. Das fanden sie gefährlich. Inzwischen finden es viele besser so. Es gibt keine Staus mehr, sieht besser aus, und man fühlt sich sicherer. Heute passieren dort kaum noch Unfälle.

SPIEGEL ONLINE: Wie erklären Sie sich das?

Monderman: Das hat etwas mit dem Risiko zu tun. Die Leute wissen nicht mehr genau, was sie tun müssen, was ich auch beabsichtigt hatte. Denn nun suchen sie Augenkontakt. Und sobald der da ist, gibt es eigentlich keine Probleme mehr, weil Augenkontakt nur bei niedriger Geschwindigkeit möglich ist. Und wenn man einander in die Augen blickt, dann kann eigentlich nichts mehr schief gehen.

SPIEGEL ONLINE: Sie wollen wirklich alle Vorschriften kassieren?

Monderman: Was ich wichtig finde, sind zwei Verkehrsregeln. Erstens, dass man rechts fährt, sonst würde es ja ein riesiges Chaos geben wenn jeder auf einer anderen Seite die Straße benutzt. Und zweitens, dass der von rechts Kommende Vorfahrt hat. Mehr braucht man nicht zu wissen. Wenn man diese einfachen Grundregeln befolgt, braucht man keine Schilder mehr.

SPIEGEL ONLINE: Was läuft falsch in der Verkehrsplanung?

Monderman: Es ist eine verbreitete Ansicht, dass man Verkehr und Menschen besser trennen sollte als sie zu mischen. Doch grade in Städten, in denen das berücksichtigt wurde, gibt es große Probleme mit der Verkehrssicherheit, weil die Verkehrsteilnehmer, die einander eigentlich gar nicht mehr begegnen sollten, es doch immer wieder tun. Dann kommt es zu Unfällen, weil die Leute nicht damit rechnen, die anderen doch mal zu treffen.

SPIEGEL ONLINE: Sie gelten als der Erfinder des Verkehrskonzepts "Shared Space". Was hat es damit auf sich?

Monderman: Was Shared Space zeigt, ist, dass es viele Möglichkeiten zum Mischen der Verkehrsteilnehmer gibt. Jeder, der eine kleine Altstadt in Italien besucht, kann das sehen. Dort teilen sich Fußgänger, Rad- und Rollerfahrer und auch der Auto- und Lieferverkehr die Flächen zwischen den Häusern.

SPIEGEL ONLINE: Das ist ein recht unkonventionelles Konzept. Wie ist die Idee dazu entstanden?

Monderman: Entstanden ist die Idee vor etwa 25 Jahren. Da gab es ein Dorf, das große Probleme mit zu hoher Geschwindigkeit hatte. Ich wurde als Spezialist um Hilfe gebeten obwohl ich nicht viel Erfahrung hatte, aber das wussten die nicht. Und wenn man gefragt wird, muss man natürlich eine Antwort geben. Das Problem war, dass meine Instrumente, also die Schikanen, die ich bis dahin immer zur Verkehrsregulierung genutzt hatte, von meinem Arbeitgeber nicht mehr anerkannt wurden. Trotzdem erwartete man in dem Ort von mir, etwas zu bauen, was die Geschwindigkeit reduzierte. Gemeinsam mit Leuten vom Städte- und Landschaftsbau legte ich einen ganz einfachen Plan vor: Keine Extras mehr, die den Verkehr bremsen könnten. Ich hatte ja kaum eine andere Wahl.

SPIEGEL ONLINE: Und der Plan setzte sich durch?

Monderman: Es wurde so gebaut. Dann vergingen einige Monate, in denen ich nichts hörte. Eines Tages fuhr ich mit einem Geschwindigkeitsmesser hin, um das Tempo der Autos zu kontrollieren. Das Ergebnis erstaunte mich. Die Geschwindigkeit war um die Hälfte zurückgegangen. Die Autos fuhren nicht mal mehr 30.

SPIEGEL ONLINE: Also wird es sicherer, wenn es weniger Regeln gibt?

Monderman: Ja, aber es hat mehr als fünf Jahre gedauert, bis ich verstanden habe warum. Das war anders als alles, was ich je gelernt hatte. Was ich erfahren hatte war einfach, dass sich das Verhalten der Menschen ändert, wenn man ihnen einen anderen Kontext gibt, auf den sie sich bezogen fühlen. Früher zum Beispiel, da sah ein Dorf aus wie ein Dorf, es gab eine Kirche, einen Laden, eine Schule und so weiter, man konnte die Straße lesen wie ein Buch. Aber die Verkehrsingenieure haben unsere Straßen uniform ausgestattet, und so sieht ein Dorf aus Sicht eines Pkw-Fahrers aus wie das andere. Also muss man alles auf Schildern erklären. Das ist doch Wahnsinn.

SPIEGEL ONLINE: In einem EU-Projekt werden jetzt Shared Space-Konzepte in sieben europäischen Städten realisiert. In Deutschland wird der Ortskern von Bohmte in Niedersachsen neu gestaltet. Was soll dort verändert werden?

Monderman: Was wir dort verändern möchten ist eine Landstraße, die den Ort durchquert. Die ist viel befahren, und es ist nicht besonders angenehm, dort herumzuspazieren oder einkaufen zu gehen. Dabei könnte es ein ganz schöner Ort sein. Die Aufgabe ist also, das soziale Leben zusammen mit dem Verkehr besser funktionieren zu lassen, so dass die Straße wieder zum öffentlichen Raum wird und trotzdem der Verkehr besser fließt. Denn oft geht es langsamer viel schneller. An der Ampel zum Beispiel, dort muss man immer bremsen, warten und anfahren, das macht eigentlich nur Lärm und hat sonst überhaupt keinen Zweck.

SPIEGEL ONLINE: Das heißt, Sie wollen die Ampeln abschaffen?

Monderman: Ja genau, damit es wieder ein bisschen ruhiger wird in diesem Dorf und der Verkehr zwar fließt, aber nur mit 15 bis 20 Stundenkilometern. Dafür aber kann man an dieser Kreuzung durchfahren. Nächstes Jahr muss der Entwurf stehen, und im Jahr darauf soll das Projekt dann realisiert werden.

SPIEGEL ONLINE: Muss der "shared space" also erst wieder neu erfunden werden?

Monderman: Manchmal funktioniert es einfach, weil man es nie geändert hat, ohne zu wissen dass das "Shared Space" ist. In San Francisco zum Beispiel, wo das Streetcar, die Straßenbahn, einfach mitten auf der Straße hält und die Leute steigen aus. Und das funktioniert.

SPIEGEL ONLINE: Können Sie sich eigentlich noch als Privatmensch im Straßenverkehr bewegen, oder denkt da immer gleich der Verkehrsplaner über mögliche Verbesserungen nach?

Monderman: Das müssen Sie meine Frau fragen, die findet, dass ich mich eigentlich immer mit Verkehr beschäftige. Und sie hasst es, weil ich dann immer so still bin.

SPIEGEL ONLINE: Hat sie recht?

Monderman: Ja, ich kann kaum noch die Fahrt genießen, wie ein normaler Fahrer das macht, sondern analysiere alles um mich herum. Aber in einem Jahr werde ich 60, und dann gehe ich in Rente und kann mich mit anderen Dingen befassen. Meiner Frau zuliebe.

Das Interview führte Kati Borngräber