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Spionage im Kalten Krieg: High Noon auf der Brücke

Foto: Bernd_Heintze/ dpa

Agentenaustausch 1985 Die große Show auf der Glienicker Brücke

25 CIA-Freizeitagenten gegen vier Ost-Spione: Im Juni 1985 fand der größte Agentenaustausch im Kalten Krieg statt. Er war das Ergebnis von acht Jahren Verhandlung. Doch der Mann, dem die Verhandlungen ursprünglich galten, war auf der Brücke nicht dabei.

Auf der Glienicker Brücke zwischen Potsdam und West-Berlin, einer Sperrzone, die nur Mitarbeiter ausländischer Militärmissionen und Diplomaten passieren durften, herrschte an diesem Sommertag geschäftiges Treiben. Das DDR-Ministerium für Staatssicherheit zählte dort sonst im Monat rund 500 Armeefahrzeuge und 15 bis 20 Grenzgänger. Nun aber tummelten sich auf der 148 Meter langen Havelüberquerung Dutzende Geheimdienstler, Grenzer und Regierungsbeamte.

Auf der Potsdamer Seite stand ein Bus mit 25 Passagieren, die die letzten Tage im Stasi-Gefängnis in Karl-Marx-Stadt verbracht hatten. Es waren vor allem DDR-Bürger, aber auch sechs Polen und ein Österreicher. In der DDR und in Polen hätten sie langjährige, teils lebenslange Freiheitsstrafen verbüßen sollen, weil sie für die CIA spioniert hatten. Viele waren schon seit mehreren Jahren in Haft. Nun warteten sie auf ihre Freilassung in den Westen.

Punkt 12 Uhr brauste von West-Berliner Seite ein Konvoi amerikanischer Limousinen und Kleinbusse heran. In einem Chevrolet-Kastenwagen saßen vier ehemalige Spione aus Ostblockstaaten: Marian Zacharski, offiziell Direktor eines polnischen Exportunternehmens in Los Angeles, tatsächlich aber als Offizier des polnischen Geheimdienstes damit beauftragt, geheime Rüstungspläne der USA auszuspionieren und dort 1981 zu lebenslanger Haft verurteilt; Penju Kostadinov, ehemaliger Handelsattaché an der bulgarischen Botschaft in Washington und im September 1983 aufgeflogen, als er sich von einem V-Mann des FBI angeblich vertrauliche Regierungsdokumente hatte aushändigen lassen; Alfred Zehe, ein DDR-Physiker aus Dresden, der während einer Gastprofessur in Mexiko geheime Unterlagen der US-Marine nach Ost-Berlin geliefert hatte. Im November 1983 war er bei einer Tagung in Boston verhaftet und im April 1985 zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden. Und Alice Michelson, DDR-Bürgerin und KGB-Kurierin, im Oktober 1984 auf dem New Yorker Kennedy-Flughafen festgenommen.

Vogel im goldfarbenen Mercedes

Das Quartett war am frühen Morgen des 11. Juni 1985 mit einer US-Militärmaschine auf dem West-Berliner Flughafen Tempelhof gelandet. In einem Raum des Flughafengebäudes, mit Handschellen und in eigens dafür gezimmerten Einzelkabinen angekettet, waren die vier Ost.-Spione um 10 Uhr dem Ost-Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Vogel vorgeführt worden. Der DDR-Unterhändler, der die Austauschverhandlungen mit amerikanischen Regierungsvertretern geführt und die Spione in US-Gefängnissen besucht hatte, sollte sie identifizieren. Vogel war entsetzt über die Fesselung, die der US-Diplomat John Kornblum später in einem Fernseh-Interview damit rechtfertigte, dass man Kontakte zwischen den vieren, die immer noch Gefangene der USA gewesen seien, habe unterbinden wollen. Erst jetzt wurde der amerikanische Haftbefehl außer Vollzug gesetzt.

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Spionage im Kalten Krieg: High Noon auf der Brücke

Foto: Bernd_Heintze/ dpa

Zwei Stunden später auf der Brücke fieberten die Beteiligten dem Moment der Übergabe entgegen. Nervös lief Richard Burt, Unterstaatssekretär im Außenministerium und designierter US-Botschafter in der Bundesrepublik, auf und ab. Endlich kam Vogel, chauffiert im goldfarbenen Mercedes von seiner Ehefrau Helga. Burt und Vogel fuhren in ihren Autos auf die Potsdamer Seite der Brücke und betraten den Bus. Burt erklärte den Passagieren, dass es ihnen freistehe, in der DDR zu bleiben - zwei machten davon aus persönlichen Gründen Gebrauch. Die übrigen 23 fuhren über den weißen Grenzstrich auf der Brückenmitte und stiegen in einen westdeutschen Bus um.

Nun durften auch die vier Ost-Spione heimkehren. Vogel begrüßte sie; seinen DDR-Landsmann Zehe umarmte er, Alice Michelson drückte den Anwalt vor Freude fest an sich. Ein Kamerateam der ARD filmte den gesamten Vorgang - die TV-Journalistin Renate Bütow hatte, wohl von amerikanischer Seite, einen Tipp bekommen. Die Amerikaner, so hatte Vogel einige Tage zuvor in einem Geheimbericht notiert, wollten "offenkundig eine ziemliche Show mit viel Personen und Autos" inszenieren.

Um 13 Uhr an diesem 11. Juni 1985 war der Austausch abgeschlossen, auf der Glienicker Brücke kehrte wieder gespenstische Stille ein.

Ein unlösbarer Fall

Begonnen hatten die Verhandlungen, die nun glücklich endeten, fast acht Jahre zuvor - und galten ursprünglich einem Mann, der gar nicht unter den Freigelassenen war: dem Bürgerrechtler Anatoli Schtscharanski.

Der russische Jude Schtscharanski war im März 1977 in der Sowjetunion verhaftet und im Sommer desselben Jahres wegen angeblicher Spionage für die CIA angeklagt worden. Glaubensbrüder im Westen setzten sich umgehend für seine Freilassung an.

Im September 1977 suchte Schabtai Kalmanowitsch, Assistent des israelischen Knesset-Abgeordneten Samuel Flatto-Scharon, Vogel in dessen Ost-Berliner Kanzlei auf. Seit der Anwalt am 10. Februar 1962 am Austausch des in den USA verurteilten KGB-Top-Agenten Rudolf Abel und des über der Sowjetunion abgeschossenen CIA-Spionagefliegers Francis Gary Powers maßgeblich mitgewirkt hatte, galt er international als Spezialist für heikle Aktionen. Bis zum Untergang der DDR 1990 sollte Vogel den Austausch von rund 150 verurteilten Agenten aus 23 Ländern vermittelt und den Freikauf von mehr als 33.000 politischen DDR-Häftlingen durch die Bundesregierung organisiert haben.

Der Fall Schtscharanski schien jedoch unlösbar. Moskau verlangte von der US-Regierung ein Bekenntnis, dass der russische Dissident, der im Juli 1978 zu drei Jahren Gefängnis und zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde, für die CIA spioniert habe; Präsident Jimmy Carter weigerte sich indes, den Bürgerrechtler wie einen Spion auszutauschen. Weil die US-Regierung nicht mit dem DDR-Anwalt verhandeln mochte, sondierte Vogel mit ein paar Privatleuten, einem New Yorker Rabbiner und einem jüdischen Abgeordneten im US-Repräsentantenhaus. So gelang es ihm 1978 immerhin, einen in den USA inhaftierten KGB-Spion im Gegenzug für einen im kommunistischen Mosambik notgelandeten und dort festgehaltenen israelischen Piloten sowie einen in der DDR verurteilten US-Studenten freizubekommen.

Der Deal

Für Schtscharanski zeichnete sich keine Lösung ab, weil die US-Regierung weiter auf dessen bedingungsloser Freilassung beharrte. Deshalb versuchte Vogel, dem Westen alternative Tauschobjekte nahezulegen. Die DDR verfügte über eine ganze Reihe davon: In ihren Gefängnissen saßen rund 30 ehemalige CIA-Mitarbeiter, für die der US-Geheimdienst keinen Finger rührte, um sie aus ihrer Lage zu befreien, denn es handelte sich nicht um amerikanische Staatsbürger.

Im Sommer 1980 übergab Vogel dem westdeutschen TV-Journalisten Lothar Loewe eine Liste mit den Namen dieser teils naiven, teils abenteuerlustigen Freizeitagenten, die der US-Geheimdienst einst angeworben hatte. Ohne hinreichende Schulung über Tarnung und Konspiration hatten sie auftragsgemäß Militärobjekte in der DDR ausgespäht: Radaranlagen, Truppenbewegungen, Raketenstellungen. Vogel warnte, Angehörige der Häftlinge würden die Öffentlichkeit darüber informieren, wie die CIA ihre Leute im Stich lasse. Loewe übergab die Liste an hochrangige US-Regierungsvertreter, die nun zu Verhandlungen bereit waren. Sie machten aber sogleich klar, dass es sich trotz der drakonischen Strafen um kleine Fische handle. Es könne also keinen Tausch Mann gegen Mann geben. Dem FBI waren gerade einige Spione größeren Kalibers ins Netz gegangen, unter ihnen Zacharski, Kostadinov und Zehe.

Monatelang feilschte Vogel mit hohen Beamten des amerikanischen Außen- und Justizministeriums, bis man sich auf 25 Westagenten gegen vier Ost-Spione einigte. Das war freilich eine erhebliche Diskrepanz. Vogel hatte sich deshalb vor Stasi-Minister Erich Mielke rechtfertigen müssen, der das letzte Wort beim Austausch hatte. Vogel hatte beteuert, er habe, gemessen an der unterschiedlichen Bedeutung der Freizulassenden, ein ausgewogenes Verhältnis erreicht. Schließlich genehmigte Mielke die Liste.

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Pötzl, Norbert F.

Mission Freiheit – Wolfgang Vogel: Anwalt der deutsch-deutschen Geschichte

Verlag: Heyne Verlag
Seitenzahl: 512
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Es war, nach der Übergabe von Abel und Powers 1962, das zweite Mal, dass die Glienicker Brücke zum Schauplatz eines legendenumwobenen Agentenaustausches wurde. In der Regel wurden enttarnte Agenten unauffällig der jeweils anderen Seite überstellt, oft am innerdeutschen Grenzübergang Wartha/Herleshausen - so etwa 1969 Heinz Felfe, ein KGB-Maulwurf im Bundesnachrichtendienst, oder 1981 der Kanzleramtsspion Günter Guillaume.

Anatoli Schtscharanski, um dessen Freilassung eigentlich gerungen wurde, durfte 1985 noch nicht über die Glienicker Brücke gehen. Er kam erst am 11. Februar 1986 frei, nachdem in Moskau unter dem neuen KP-Generalsekretär Michail Gorbatschow ein Tauwetter im Kalten Krieg eingesetzt hatte. Ost und West schlossen einen kleinen Kompromiss: Dissident Schtscharanski - einer von vier Häftlingen aus dem Osten, die für fünf Gefangene im Westen hergegeben wurden - musste nicht in Gesellschaft ehemaliger Spione die Seite wechseln, sondern durfte allein den anderen vorausgehen.