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Apalachin-Treffen: Wenn das FBI zum Barbecue kommt

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Legendäre Mafia-Konferenz Grillfest mit Gangsterbossen

Im November 1957 trafen sich die mächtigsten Mafia-Familien der USA in New York zu einem Barbecue. Doch gegrillt wurde nicht: Die Polizei stürmte das Mobster-Meeting. Die Aktion erschütterte das organisierte Verbrechen - und blamierte den prominentesten Geheimdienstler des Landes bis auf die Knochen.

Sie kamen leise durch den Nieselregen. Die Reihe glänzender Limousinen rollte am 14. November 1957 durch das Örtchen Apalachin im US-Bundesstaat New York und hielt auf der weitläufigen Farm des Bierhändlers Joseph Barbara. Dutzende Männer in edlen Anzügen, viele mit ergrautem Haar und Bauchansatz, betraten das wuchtige Herrenhaus. Offiziell war ein Grillfest geplant, alles sah nach einem gemütlichen Abend aus.

Doch die gepflegte Zusammenkunft der Gentlemen endete, bevor sie richtig begonnen hatte: Plötzlich platzten Polizisten in die Versammlung. Die Gäste sprangen panisch aus Fenstern, flüchteten durch Hintertüren, einige rannten durch Blumenbeete und Sträucher, andere schafften es bis ins Auto oder den nahen Wald - und doch waren die meisten zu langsam. 58 Männer nahmen die Polizisten an diesem Tag fest, die laut "Pittsburgh Press" einem Hinweis ihres Ermittlers Edward Croswell in das verschlafene Nest gefolgt waren. Was die Beamten da noch nicht wussten: Ihnen war soeben ein Jahrhundert-Coup gelungen.

Schon die ersten Routinekontrollen waren auffällig. Die meisten Festgenommenen hatten italienische Wurzeln. Sie waren für dieses Treffen aus allen Ecken der USA angereist - aus Kalifornien und Florida, aus Ohio, New Jersey und Illinois. Außerdem hatte die Gruppe bei der Verhaftung insgesamt 300.000 Dollar bei sich. Und dann der Blick in die Polizeiakten: Zwei Drittel der Männer waren vorbestraft, 23 von ihnen hatten sogar schon Haftstrafen verbüßt - wegen Drogenmissbrauchs, illegalen Waffenbesitzes, Mordes.

Allmählich begriffen die Ermittler, dass die Party kein unscheinbares Grillfest war - sondern die bis dahin größte Mobster-Konferenz in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Und die Bedeutung des Barbecues wuchs immer weiter: Das "Apalachin-Meeting" sollte zum Wendepunkt in der amerikanischen Innenpolitik werden und leitete schließlich sogar das Ende einer einzigartigen Ära des organisierten Verbrechens in den USA ein.

Dabei war schon das Treffen selbst Resultat einer schwelenden Krise in der Unterwelt gewesen. Nach Mordanschlägen auf zwei Mobster hatte der New Yorker Top-Mafioso Vito Genovese die Unterredung anberaumt. Doch sein Vorhaben, sich von den in der "Kommission" zusammengeschlossenen höchsten Mafia-Führern des Landes als Pate bestätigen zu lassen, scheitert durch die Erstürmung. Warum, ist bis heute nicht zweifelsfrei geklärt: Hatte ein Mafioso das Geheimtreffen verraten, um den umstrittenen Genovese elegant loszuwerden? Solche Spekulationen tauchten schon bald in US-Zeitungen auf, Beweise gibt es dafür nicht. Klar ist jedoch, dass das geplatzte Apalachin-Treffen die zerstrittenen Familien nicht versöhnte. Stattdessen rief es deren stärksten Gegner auf den Plan.

Das FBI glaubt nicht an die Mafia

Die Nachricht von den Dutzenden Festnahmen schlug im Hauptquartier des FBI ein wie eine Bombe. Bis zu diesem 14. November hatte Behördenchef Edgar Hoover die Existenz einer amerikanischen Mafia und jeder Art organisierter Kriminalität in den USA kategorisch ausgeschlossen - und entsprechend nichts gegen die grassierende Kriminalität in der Unterwelt unternommen. Nun aber konnte jeder Amerikaner in der Zeitung lesen, dass das unheimliche Netzwerk sehr wohl existierte.

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Apalachin-Treffen: Wenn das FBI zum Barbecue kommt

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Das ruhmreiche FBI war bis auf die Knochen blamiert. Statt der Spezialtruppe hatte eine einfache New Yorker Polizeistaffel die Versammlung gesprengt, schlimmer noch: Während die Bundespolizisten vermeintliche Kommunisten überwacht hatten, hatte die Mafia-Krake Wirtschaft, Politik und Verwaltung der Weltmacht unterminiert - jahrzehntelang. Doch nun, als mit Hoovers Weltbild auch sein Ruf ins Wanken geriet, wechselte der Geheimdienstchef endlich die Strategie: Die US-Mafia sollte nun ausgerottet werden, mit Stumpf und Stiel. Und mit allen verfügbaren Mitteln.

Zwei Wochen nach dem Apalachin-Treffen rief Hoover das "Top-Hoodlum-Programm" zur Mafia-Bekämpfung aus. Zwei Jahre lang sammelten seine Leute alle verfügbaren Informationen über den noch weitgehend unbekannten Gegner. Abhöraktionen und verdeckte Überwachungen folgten, bis Hoover den neuen Staatsfeind eingegrenzt hatte. Das Netzwerk mit dem italienischen Namen "La Cosa Nostra" - unsere Sache - wurde jetzt in allen Bundesstaaten von Ermittlern ausgeforscht. Die fertigten bis 1960 ein 843 Seiten dickes Dossier mit Informationen über Hunderte Mafiosi an: ein gewaltiger Fahndungskatalog, der als Grundlage für Ermittlungserfolge dienen sollte. Und die ließen nicht lange auf sich warten.

Ein Mafioso vor dem US-Senat

Schon ein halbes Jahr nach dem Apalachin-Meeting wurden Cheforganisator Vito Genovese und 19 Komplizen wegen diverser Vergehen angeklagt und zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt. Genovese sollte das Gefängnis nicht mehr verlassen: 1959 trat er seine 15-jährige Haftstrafe an, zehn Jahre später starb er hinter Gittern. Doch schon bald sollte sich herausstellen, dass die FBI-Fahnder mit dem Bandenboss keineswegs das gesamte Netzwerk ausgeschaltet hatten.

Denn einige Teilnehmer des Apalachin-Treffens waren der Polizei entkommen, andere Mafia-Bosse waren gar nicht erst erschienen: Der einflussreiche Gangster Charles "Lucky" Luciano etwa hatte das Treffen ebenso gemieden wie die Drahtzieher Meyer Lansky, Frank Costello und Joseph Stacher. Noch ärgerlicher für die Polizei: Ein Berufungsgericht hob fast alle Urteile gegen die Teilnehmer des Apalachin-Treffens wieder auf, aus Mangel an Beweisen. Den US-Behörden reichte es nun.

1961 führte Justizminister Robert Kennedy in seinem Ressort eine eigene Abteilung "Organisiertes Verbrechen und Gangstertum" ein, und schon 1963 sagte mit Joseph Valachi der erste Top-Mafioso vor einem Ausschuss des US-Senats aus: eine Sensation. Zwar hatte der Mafia-Mob immer noch ganze Metropolen wie etwa Chicago fest in der Hand. Doch die Masse der FBI-Fahndungserfolge sollte bald ansteigen - und in den achtziger Jahren ihren Höhepunkt erreichen.

Der "Fall der Fälle"

1983 holten die Spezialfahnder der neugebildeten "Task Force on Organized Crime" zu ihrem großen Schlag aus. 19 Monate lang recherchierten, spitzelten und analysierten die Kriminalisten. Schließlich waren Abertausende Gesprächsmitschnitte und unzählige Akten zusammengekommen, außerdem hatten laut FBI rund 100 Mafia-Mitglieder den berüchtigten Schweige-Codex "Omertà" gebrochen. Etliche Gangster plauderten über die Tricks ihrer Bosse, der Ex-Mafioso Joseph Bonnano breitete in seinen Memoiren 1983 seitenweise Detailwissen über die US-Mafia aus. Einige Überläufer ließen sich sogar selbst mit Abhörgeräten in die Unterwelt einschleusen. Die Folgen waren gewaltig.

Bereits 1984 hatten die Fahnder die legendäre "Pizza-Connection" zerschlagen und stellten später 22 Drahtzieher des Heroin-Netzwerks vor Gericht. Weitere 100 Mafiosi standen 1985 vor diversen US-Tribunalen, die wichtigsten fünf von ihnen in New York: Dort mussten sich im "Fall der Fälle", wie das "Time"-Magazin den Prozess nannte, die Anführer der fünf mächtigsten Familien verantworten - und erhielten allesamt jahrzehntelange Haftstrafen. Die Mafia-Soldaten, laut FBI immerhin 20.000 Mann, standen nun ohne Führung da.

Drei Jahrzehnte nach dem Apalachin-Treffen hatte das Syndikat einen Großteil seiner einstigen Machtfülle verloren. Ein spektakulärer Erfolg des FBI. Aber auch ein sehr später.

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