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"Nation of Islam"-Führer Louis Farrakhan: "Ich verspreche, ein besserer Mensch zu werden"

Foto: DOUG MILLS/ ASSOCIATED PRESS

"Nation of Islam"-Führer Louis Farrakhan Die Stunde des Hasspredigers

Er bewunderte Hitler, hetzte gegen Juden und verbrüderte sich mit Diktator Gaddafi: Nur einmal in seinem Leben gelang es Schwarzenführer Louis Farrakhan, seine Kritiker positiv zu überraschen.

Gegensätzlichere Stimmungen kann man sich kaum vorstellen. Vor dem March for Our Lives im März 2018 herrschte in Washington freudige Erwartung. Viele Bürger hatten Jugendliche aufgenommen, die aus allen Landesteilen anreisten. Deren Kundgebung gegen die Waffenlobby war auch ihr Anliegen. Die Protestbewegung nach dem Schulmassaker in Parkland, Florida hatte das ganze Land erfasst. Am 24. März strömten 800.000 Menschen in Volksfestatmosphäre ins Zentrum.

Vor dem Million Man March 1995 herrschte dagegen Angst. Am Montag, dem 16. Oktober, hatten Firmen und Schulen in Washingtons Innenstadt geschlossen. Ladenbesitzer verrammelten ihre Geschäfte. Alle erinnerten sich an die Ereignisse nach der Ermordung von Martin Luther King 1968. Damals hatten aufgebrachte Schwarze ganze Straßenzüge niedergebrannt. Würde die öffentliche Ordnung wieder zusammenbrechen?

Viele Washingtoner fürchteten das, weil sie den Initiator der Massenkundgebung als Hetzer gegen Weiße, besonders Juden, kannten. Louis Farrakhan predigte als Führer der "Nation of Islam" einen kruden, umgekehrten Rassismus: Weiß ist schlecht, Schwarz ist gut. Wenige wussten, dass sich der damals 62-Jährige seit einiger Zeit auf die Probleme der schwarzen Community konzentrierte.

Größte Kundgebung in der Geschichte der Afroamerikaner

Zum 16. Oktober 1995 waren Massen von afroamerikanischen Männern per Auto, Bahn oder Flugzeug nach Washington gepilgert. An dem klaren Herbsttag bevölkerten dann mindestens 400.000, vielleicht auch eine Million, die Rasenflächen vor dem Capitol. Auf dem mit Bildschirmen ausgestatteten Gelände erlebten die Männer Gospelchöre, Hip-Hop-Gruppen und an die 60 Redner, unter ihnen Jesse Jackson, der damals bekannteste schwarze Politiker.

Es war die größte Kundgebung in der Geschichte der Afroamerikaner. Stevie Wonder begeisterte die Menschen mit einem Song; Mitglieder von Jugendbanden versprachen, ihre "Uzis und Tech-9-Pistolen abzulegen". Am Ende gelobten die Teilnehmer: "Ich verspreche, ein besserer Mensch zu werden - zum Wohl meiner Gemeinschaft, meiner Familie, für mich selbst."

Washington atmete auf. Präsident Clinton lobte das Auftreten der Afroamerikaner; doch er erinnerte auch an Farrakhans Vergangenheit und warnte, dass "eine Million Männer nicht eines Mannes Bösartigkeit und Säen von Zwietracht aufwiegen können".

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"Nation of Islam"-Führer Louis Farrakhan: "Ich verspreche, ein besserer Mensch zu werden"

Foto: DOUG MILLS/ ASSOCIATED PRESS

Louis Farrakhan wurde am 11. Mai 1933 in New York geboren. Sein leiblicher Vater wie auch sein Stiefvater Louis Eugene Walcott, dessen Namen das Kind erhielt, verließen seine Mutter. Sie erkannte das musikalische Talent ihres Louis und schickte ihn schon mit fünf Jahren zum Geigenunterricht. Im Bostoner Schwarzenviertel Roxbury sang Louis in einem Kirchenchor. Er wurde als Hochbegabter von der Boston Latin School aufgenommen. Als junger Geiger gewann er Wettbewerbe. In einer TV-Show spielte er mit 16 Mendelssohns Violinkonzert in e-Moll.

Vom Entertainer zum religiösen Fanatiker

Doch klassische Musik war damals kein Feld für Farbige. Louis Eugene Walcott erhielt 1951 ein Sportstipendium für die Lehrer-Bildungsanstalt von Winston-Salem. Dort trat der auch Gitarre und Ukulele spielende und wunderbar singende Student mit verschiedenen Bands auf. Der Erfolg ermutigte ihn, Musikprofi zu werden. Unter dem Namen "The Charmer" reiste Louis Walcott mit einer Calypso-Band durch US-Klubs.

Vor einem Auftritt in Chicago hörte er den Schwarzenführer sprechen, den seine Anhänger als "Boten Allahs" verehrten - Elijah Muhammad verkündete: Die schwarze "Rasse" sei das von Allah auserwählte Volk. Die Afroamerikaner müssten sich psychologisch, im Bildungsbereich und im Wirtschaftssektor auf die Autonomie vorbereiten. Louis Walcott war beeindruckt. Er schloss sich Elijahs "Nation of Islam" an, der radikalen muslimischen Sekte, die nicht mehr 30.000 bis 40.000 Mitglieder hatte, in deren 100 Moscheen aber zeitweilig 750.000 Afroamerikaner beteten.

Walcott legte seinen "Sklavennamen" ab. Als "Louis X" produzierte er noch einen Schallplattenhit mit dem Titel "A White Man's Heaven Is A Black Man's Hell". Dann gab er die Musik auf Bitten von Elijah Muhammad auf, um Prediger bei der "Nation of Islam" zu werden.

Farrakhan findet in Malcolm X seinen "Vater"

Elijah Muhammad ließ seinen neuen Jünger von seinem besten Mann betreuen. Malcolm X wurde "der Vater, den ich nie hatte" (so Louis X, der sich bald den Fantasienamen "Farrakhan" zulegte). Doch Farrakhans Bewunderung schlug in Hass um, als sich Malcolm X von Elijah Muhammad lossagte und sich zum alle "Rassen" tolerierenden Mainstream-Islam bekannte. "So ein Mann ist des Todes würdig", hetzte Farrakan. Im Februar 1965 wurde Malcolm X erschossen. Lange hielten sich Gerüchte, dass Farrakhan am Mordkomplott gegen den Abtrünnigen beteiligt war.

Nach Elijah Muhammads Tod 1975 wurde Farrakhan Führer der "Nation of Islam". Der Verstorbene hinterließ neben seiner Ideologie ein Wirtschaftsimperium im Wert von 80 bis 100 Millionen Dollar. Dazu gehörten eine Bank, ein Importunternehmen, Geschäfte und Mietshäuser. "Die Schwarzen in den USA stehen für 200 Milliarden der amerikanischen Volkswirtschaft", erklärte Farrakhan 1985 in einem SPIEGEL-Interview , "Die Frage ist, wie wir diese Ausgaben umdirigieren können."

Farrakhan gelang der Einstieg in den Markt für Schönheits- und Gesundheitsprodukte, der in den Achtzigerjahren unter den Schwarzen jährlich 2,5 Milliarden Dollar umsetzte.

Solche konstruktiven Aktivitäten der "Nation of Islam" wurden vom weißen Amerika kaum wahrgenommen - wohl aber die verbalen Ausfälle seiner Führer. So nannte Farrakhan Hitler einen "großen Mann". Er stellte Amerikas Milliardenausgaben für Israel den wenigen Millionen Entwicklungshilfe für ganz Afrika gegenüber und fragte: "Ist Ihnen bekannt, dass fast die Hälfte der US-Senatoren die Ehrenmitgliedschaft der Knesset besitzt?"

"Nation of Islam"-Sprecher Khalid Abdul Muhammad erklärte, in Amerika würden die Juden "der schwarzen Gemeinschaft das Blut aussaugen". Nelson Mandela sei "ein Narr", weil er mit den Weißen eine Koalitionsregierung bilde. Lieber solle er ihnen 24 Stunden Zeit geben, Südafrika zu verlassen. Dann müssten die Zurückgebliebenen umgebracht werden.

Freundschaften mit Amerikas Feinden

Angesichts solcher Ausfälle waren die Sorgen der Weißen vor dem Million Man March verständlich - und ihre Verwunderung über den vorbildlichen Ablauf. Weil er ihn organisierte, "mag sich Farrakhan einen dauerhaften Platz in der Geschichte der USA verdient haben", schrieb der afroamerikanische Journalistikprofessor Joe Ritchie. "Ob es ihm aber gleichermaßen gelingen wird, das Image des Extremisten abzubauen, bleibt abzuwarten."

Tatsächlich driftete Farrakhan wieder ab in Verschwörungstheorien. Beim Anschlag auf das New Yorker World Trade Center 2001 hätten Juden eine Rolle gespielt, behauptete er; beim Hurrikan Katrina 2005 seien Dämme absichtlich zerstört worden, um Bewohner von schwarzen Vierteln aus New Orleans zu vertreiben.

Und wie schon vor seinem Million Man March pflegte der "Nation of Islam"-Führer Freundschaften mit Staatsmännern, die Amerika als Feinde hasste. So reiste er in den Iran der Ajatollahs und in Assads Syrien. Von Libyens Muammar Gaddafi hatte er 1985 einen zinslosen Kredit von fünf Millionen Dollars bekommen.

Als die USA 2011 unter Präsident Obama die Militärinvasion gegen Libyen mit Luftangriffen unterstützte, ergriff er Partei für den "Bruder Gaddafi" und warnte: Gott könnte Amerika "für diese teuflische Tat mit einem verheerenden Erdbeben bestrafen". Farrakhan nannte Obama wegen dessen Libyen-Politik den "ersten jüdischen Präsidenten". 2008 hatte er die Kampagne des schwarzen Kandidaten unterstützt. Doch dessen Sprecher stellte sofort klar: Senator Obama lege keinen Wert auf Farrakhans Hilfe.

Der "Nation of Islam"-Führer kränkelt seit etlichen Jahren. Dennoch schafft er es immer wieder in die Nachrichten. So zitierte er in einer Rede im Februar den Präsidenten Richard Nixon: Er habe die Juden verantwortlich gemacht für "all den Schmutz, den Hollywood produziert". Mehrfach rief Farrakhan nach Washington zu Erinnerungsveranstaltungen an den Million Man March von 1995. Doch der ließ sich nicht wiederholen.

Tatsächlich sollte diese Kundgebung seine Lebensleistung bleiben. "So wie die Bibel und Jesus zusammengehören und Mohammed und der Koran", erklärte der widersprüchliche Mann, "so ist der Million Man March nicht von Farrakhan zu trennen."