Zum Inhalt springen
Fotostrecke

Swing-Boy Uwe Storjohann: Blazer statt Braunhemd, Goodman statt Goebbels

Foto:

Archiv Axel Waldhier

Swing-Kids contra Nazis Heil Hotler!

Sie huldigten Louis Armstrong und hassten die HJ: Die Swing-Kids tanzten aus der Reihe. Als die Nazis die Hatz auf sie eröffneten, kam Uwe Storjohann davon - obwohl er 1941 bei einem der kühnsten Coups mitmachte.

Roter Teppich, Blitzlichtgewitter, Blumenstrauß: Der junge Anzugträger, der da am Hamburger Hauptbahnhof aus dem Fernzug steigt, wird an diesem strahlenden Sonntagvormittag empfangen wie ein Star. "Swing Heil!"-Rufe erschallen, Hüte werden geschwenkt.

Verdutzt verharren Passanten. Wer wird hier mit solchem Pomp begrüßt? "Stand doch in der Zeitung: Das ist der Staatsrat von Möllendorf, der Reichsstatistenführer!", klären Eingeweihte die rätselnden Hamburger auf. Vor dem Bahnhof steigt der "Reichsstatistenführer" in eine mit Schimmeln bespannte Kutsche und rauscht davon, gefolgt von rund 60 Jugendlichen im Gänsemarsch. An der Alster ist Schluss. Die Gestapo taucht auf, blitzschnell zerstreut sich die Gruppe.

"Das war Subversion auf rotem Teppich, Kabarett im öffentlichen Raum", sagt Uwe Storjohann, schelmisch blitzen seine Augen. Der 91-Jährige ist einer der letzten noch lebenden Hamburger "Swing Kids". Im Spätsommer 1941 zogen die "Swings", wie sie sich selbst kurz nannten, am helllichten Tag den NS-Führerkult durch den Kakao: ein Husarenstreich, ausgeheckt hinter den Kulissen eines Hamburger Theaters.

"Der Musik hingegeben wie einer Droge"

"Viele Swings waren wie ich als Statisten tätig", erzählt Storjohann. Eines Tages kam den Spruch auf: "Beschwer dich doch beim Reichsstatistenführer!" Und schon war die Idee geboren, den mal hochleben zu lassen: "Reichsbeamtenführer, Reichsbauernführer - Führer existierten für alles und jeden. Warum also keinen Reichsstatistenführer?"

Fotostrecke

Swing-Boy Uwe Storjohann: Blazer statt Braunhemd, Goodman statt Goebbels

Foto:

Archiv Axel Waldhier

Storjohann war damals 15 Jahre alt - und glühender Fan des Swing: jenes von den Nazis verbotenen, "entarteten" Sounds. "Ich habe mich der Musik hingegeben wie einer Droge", sagt er. Vor allem aber fühlte er sich aufgehoben in der Gemeinschaft: "Bei den Swings habe ich gelernt, frei zu atmen, ohne in Angst zu leben."

Statt im Gleichschritt zu marschieren, "hotteten" sie - abgeleitet von "Hot Music", dem Synonym für Jazz. "Tiger Rag" war ihre Hymne, nicht das Horst-Wessel-Lied. Die vor allem im anglophilen Hamburg stark vertretenen Swings verachteten den Drill der Hitlerjugend, das Obrigkeitsdenken, die Unterwerfungsrituale. Sie huldigten Louis "Satchmo" Armstrong statt Hitler, die hässlichen Braunhemden waren ihnen verhasst.


"Wir haben gelottert, wir waren frei": Wie Storjohann zur Swing-Szene kam

SPIEGEL ONLINE


Seit er elf war, stellte Storjohann sich krank an Hitlers Geburtstag und anderen NS-Feiertagen, wenn in der Schule Uniformpflicht galt. Zwei Klassenkameraden, die dann ebenfalls fehlten, nahmen ihn mit zu einem Swing-Treffen - Storjohann war "sofort infiziert".

Mit Whiskey auf Churchill angestoßen

Beim Schneider opferte er fast alle Punkte seiner Kleiderkarte für das obligatorische Swing-Outfit: yorkshiregrauer Flanellanzug, zweireihig, an beiden Seiten geschlitzt. Dazu mussten eine Krawatte mit Windsorknoten, Ringelsöckchen, Schuhe mit heller Kreppsohle her. "Die dringend nötige neue Unterwäsche war leider nicht mehr drin", sagt Storjohann lachend.

Seine Haare ließ er wachsen und borgte sich Vaters Regenschirm, Must-have eines jeden Hamburger Swings. Der unsportliche, angsterfüllte Volksschullehrersohn mauserte sich zum dandyhaft-lässigen "Lord von Quickborn" - so Storjohanns Szene-Spitzname, weil seine Eltern ein Häuschen in der Stadt am Rande Hamburgs besaßen.


Very british: das Swing-Outfit

SPIEGEL ONLINE


Mit seinen neuen Freunden aus der Hamburger Upperclass sprach Storjohann feinstes Eton-Englisch, stromerte durch die Swing-Lokale, stieß an jedem 30. November mit Whiskey auf Winston Churchills Geburtstag an.

Vom Musik-Freak zum Regimegegner

Eines Abends im Februar 1942 hopste man, so Storjohann, "im Lotterschritt" durch die verdunkelte Innenstadt: den linken Fuß auf dem Kantstein, den rechten auf der Straße, den eingerollten Regenschirm mal als Gewehr geschultert, mal als Krückstock eingesetzt. "Höchste Zeit, dass euch Swing-Heinis mal die Hammelbeine langgezogen werden", schimpften Passanten, eine HJ-Streife rauschte heran - und alle stoben auseinander.

Storjohanns Lehrer, im Ersten Weltkrieg Hauptmann, schnitt dem "Lord" per Nagelschere die Haare ab, auch die linientreuen Eltern - der Vater war Blockwart - reagierten entsetzt. Vor allem, weil ihr Sohn als "Rundfunkverbrecher" den "Feindsender" BBC hörte. Worauf unter Hitler die Todesstrafe stand.

Kurz, kurz, kurz, lang: Vier Paukenschläge - im Morse-Alphabet stehen sie für V wie Victory - kündigten Storjohann an, dass er die richtige Frequenz auf dem "Volksempfänger" getroffen hatte. Spät abends saß er davor oder bei Luftangriffen, wenn alle längst in den Keller gerannt waren: "Ich rückte ganz dicht an den Lautsprecher heran und inhalierte jede Synkope."

Zunächst hörte er BBC nur der Swing-Musik wegen, im Laufe des Kriegs immer öfter auch wegen der auf Deutsch gesendeten Wortbeiträge: satirische Sendungen, die das "Dritte Reich" verulkten, Nachrichten über den Krieg, die KZs. Storjohann war geschockt - und wurde, wie viele Gleichgesinnte, vom unpolitischen, freiheitsliebenden Musikfreund zum Regimegegner.

Verhaftet, gefoltert, ins KZ deportiert

Auch weil die Nazis die "Heil Hotler"-feixende Subkultur immer drastischer unterdrückten: Mitte 1941 richtete die Hamburger Gestapo ein eigenes Dezernat zur Verfolgung der Swing-Jugend ein, Verhaftungen häuften sich. Stolz präsentierte Storjohann morgens in der Schule die Blessuren, die ihm SS-Schläger in der Nacht zuvor beigefügt hatten: Zweimal wurde der Teenager bei Razzien festgenommen, er landete im berüchtigten Gestapo-Hauptquartier im Hamburger Stadthaus und wurde windelweich geprügelt.

Doch gelang es dem Schauspielschüler stets, sich herauszuwinden und mit einer Ermahnung freigelassen zu werden. Anders erging es Gefährten wie den beiden Hauptakteuren des "Reichsstatistenführer"-Coups: Ernst Jürgensen und Günther Hoh wurden als Kanonenfutter direkt an die Ostfront geschickt. Den 17-jährigen Hamburger Schüler Dirk Dubber drangsalierte die Gestapo so lange, bis er sich das Leben nahm. Und Storjohanns Freund Günther Discher wurde ins Jugend-KZ Moringen deportiert.


Prügel als Ritterschlag: In den Klauen der SS

SPIEGEL ONLINE


"Das sind ja schöne Früchtchen, die sich da unsere reichen Reeder heranzüchten", wetterte Propagandaminister Joseph Goebbels am 21. August 1941 in seinem Tagebuch über die Hamburger Swings. Nötig sei es, "hier einmal energisch durchzugreifen, diese jungen verzogenen Muttersöhnchen und Muttertöchterchen in Arbeitslager zu sperren und sie zum Dienst am Vaterlande und an der Gemeinschaft zu zwingen".

Wutentbrannt forderte Heinrich Himmler, Reichsführer SS, am 26. Januar 1942: "Der Aufenthalt im Konzentrationslager für diese Jugend muss ein längerer, zwei bis drei Jahre sein." Von den rund 400 verhafteten Hamburger Jugendlichen wurden etwa 40 bis 70 in Konzentrationslager eingewiesen.

"Mit geballten Fäusten in den Taschen"

Ende 1942, sagt Storjohann, hatten die Nazis Hamburgs Swing-Szene zerstört. Und er selbst? War noch immer auf freiem Fuß. Noch immer nicht an der Front - vor der Musterung schluckte er Tabletten, die ein Freund besorgt hatte, damit sein Herz verrückt spielte. "Ich habe immer den Angepassten markiert, mich durchgemogelt", sagt er. "Mit geballten Fäusten in den Taschen, die Lippen fest zusammengepresst, dass ja kein Ton herauskommt."

Das sei sein Anteil, sagt der hochbetagte Mann: dass er nicht aufschrie, sich nicht wehrte. "Hauptsache: Überleben" lautet der Titel seiner Autobiografie. "Ich wollte dabei sein, wenn dieses Regime endlich untergeht", so Storjohann. Was ihm auch gelang.

Zwar wurde der Student der Literatur und Theaterwissenschaften im Dezember 1944 in eine blutbefleckte, notdürftig geflickte Uniform gesteckt und doch noch in den Krieg geschickt. Aber fünf Monate später war es vorbei.

"Here is Radio Hamburg, a Station of the Allied Military Government", tönte es am Abend des 4. Mai 1945 in Hamburg aus dem Radio. Ungeduldig lauschte Storjohann den vielen von den Briten verlesenen Verordnungen. Dann endlich wurde sie gespielt, seine Musik: Glenn Miller intonierte "Sentimental journey".

Der "Lord von Quickborn" drehte auf, so laut er nur konnte.