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Musik hören mit Kopfhörern: Nicht über 100 Dezibel (Symbolbild)
Musik hören mit Kopfhörern: Nicht über 100 Dezibel (Symbolbild)
Foto: Getty Images

Warnung vor Hörverlust Was zu lautes Musikhören bei Teenagern anrichten kann

Wissenschaftler warnen vor einer Schwerhörigkeitsepidemie: Einer Studie zufolge droht rund einer Milliarde junger Menschen später im Leben ein Hörverlust. Worauf Kinder und Eltern achten sollten.

Die Außenwelt ausblenden und sich voll und ganz auf die Musik konzentrieren: Mit guten Kopfhörern geht das hervorragend – und auch die benannte Außenwelt wird nicht belästigt. Doch so angenehm es für Eltern sein mag, nicht mehr die hundertste Wiederholung des Lieblingshörspiels oder die Musikauswahl des jugendlichen Nachwuchses mithören zu müssen, so gefährlich kann die Beschallung für Kinder sein. In einer Metaanalyse im Fachblatt »BMJ Global Health«  kommen Expertinnen und Experten zu dem Ergebnis, dass besonders Teenager gern pausenlos Musik im Ohr haben – und das oft viel zu laut. Sie schätzen, dass zwischen 0,67 und 1,35 Milliarden junge Menschen ein hohes Risiko haben, später unter Hörverlust zu leiden.

Die Autorinnen um Lauren Dillard von der Medical University of South Carolina haben 35 Studien mit insgesamt mehr als 19.000 Menschen zwischen 12 und 34 Jahren untersucht. Rund 24 Prozent von ihnen sind demnach regelmäßig zu lauter Musik ausgesetzt. Die Wissenschaftlerinnen warnen, dass mehr als eine Milliarde junge Menschen potenziell von Hörverlust bedroht sind, wobei neben der Nutzung von Kopfhörern auch der Besuch lauter Musikveranstaltungen als Risikofaktoren genannt werden. Umso dringender sei es, Maßnahmen zum Schutz des Gehörs in den Vordergrund zu stellen.

Beachtung von Grenzwerten wichtig

Schon im vergangenen Jahr schlug die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Alarm: In ihrem »World Report on Hearing«  wies sie darauf hin, dass weltweit 1,6 Milliarden Menschen in ihrem Hören eingeschränkt seien (davon 430 Millionen in schwerem Ausmaß). Bis zum Jahr 2050 könnte diese Zahl auf rund 2,5 Milliarden steigen, wenn der Prävention von Hörverlust keine Priorität eingeräumt werde.

Auch im »Journal of the Acoustical Society of America« warnten Forschende im Juni 2021 , dass viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene täglich mehrere Stunden Musik in einer Lautstärke hören, die empfohlene Grenzwerte deutlich überschreitet.

Laut dem Bundesverband der Hörsysteme-Industrie (BVHI)  geben in Deutschland rund zehn Millionen Menschen an, mit einer Schwerhörigkeit zu leben. Der Verband erklärt zudem, dass eine unversorgte Hörminderung in jeder Lebensphase schwerwiegende Konsequenzen habe: von verzögerter Sprachentwicklung in Kindheit und Jugend über soziale Isolation bis hin zu einem höheren Risiko für Arbeitslosigkeit im Erwerbsalter. Darüber hinaus sei Schwerhörigkeit im mittleren Lebensalter der größte modifizierbare Risikofaktor für eine Demenzerkrankung.

Die frühzeitige Versorgung einer Hörminderung sei eine wichtige Voraussetzung, um auch im fortgeschrittenen Alter gesund und unabhängig zu bleiben. Auch seien hohe gesamtgesellschaftliche Folgekosten durch eine frühe Hörvorsorge mit Hörsystemen vermeidbar. Dafür seien regelmäßige Hörtests elementar.

Was im Ohr passiert

Wie die Autorinnen der BMJ-Studie betonen, umfasste ihre Analyse keine Studien aus einkommensschwachen Ländern. Gerade dort sei die Gefahr aufgrund begrenzter Vorschriften vermutlich hoch. Doch auch in anderen Ländern würden Richtlinien für Wiedergabegeräte und Vergnügungsstätten häufig kaum durchgesetzt. So solle die Lärmbelastung den Großteil der Zeit nur etwa 80 Dezibel und weniger betragen – tatsächlich aber ließen sich die Nutzerinnen und Nutzer von Kopfhörern im Durchschnitt mit 105 Dezibel beschallen. Der durchschnittliche Schallpegel bei Vergnügungsstätten liege zwischen 104 und 112 Dezibel. Zum Vergleich: 100 Dezibel entsprechen dem Kreischen einer Kreissäge.

Was passiert, wenn ein hoher Schallpegel aufs Gehör trifft? Schall wird im Ohr als Impulswelle über das Trommelfell und die Gehörknöchelchen zur Hörschnecke (Cochlea) geleitet. Dort liegt das sogenannte Corti-Organ mit rund 15.000 Haarzellen. Der Schall streicht wie eine Wasserwelle über die Haarzellen, welche den Reiz in bioelektrische Impulse umwandeln und als Hörinformation ans Gehirn leiten.

Werden die Haarzellen Lärm ausgesetzt, können sie ermüden – das erklärt, warum man nach einem Konzert oft zunächst nur noch dumpf hört oder gar einen Tinnitus erleidet. Bei anhaltend hoher Schallbelastung oder kurzen, sehr hohen Schallpegelspitzen drohen Dauerfolgen: So wie bei einem Getreidefeld leichte Windböen keinen Schaden anrichten, heftige Windstöße aber Halme abknicken lassen, können einzelne Härchen im Innenohr dauerhaft umgeknickt bleiben und damit ihre Funktion verlieren.

Kaputte Härchen wachsen nicht nach, auch im Jugendalter verlorene nicht. Lärmbedingte Hörschäden können daher lebenslang nicht mehr geheilt werden.

Um Musikhören sicher zu gestalten, rät die WHO :

  • Musik über 100 Dezibel nicht länger als eine Viertelstunde am Tag zu hören.

  • Beim Besuch von Veranstaltungen und lauten Orten sollten Ohrstöpsel getragen werden.

  • Bei Kopfhörern sollten aufliegende den In-Ear-Modellen vorgezogen werden, die zudem idealerweise in der Lage sein sollten, Umgebungsgeräusche zu reduzieren. Das Noise-Cancelling erlaube, eine niedrigere Lautstärke einzustellen. Außerdem seien die meisten Smartphones mittlerweile in der Lage, bei bestimmten Kopfhörermodellen die Lautstärke einzuschätzen und zu warnen, wenn die Musik zu laut sei.

  • Hörpausen: Im Klub oder bei Konzerten sollten die Besucherinnen und Besucher bewusst Ruhepausen machen, um nicht stundenlang der lauten Beschallung ausgesetzt zu sein.

  • Auch Abstand zu Lautsprechern oder Musikboxen kann den Ohren ein wenig Entspannung verschaffen.

  • Regelmäßige Hörtests können einen Hörverlust bereits in einem frühen Stadium erkennen.

Den Ohren sollten nach großen Lärmbelästigungen, aber auch grundsätzlich Pausen gegönnt werden, empfiehlt der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte: »Von Zeit zu Zeit sollte man dem Lärm der Umwelt gezielt entgehen. Hierzu ist ein Leseabend genauso geeignet wie ein Spaziergang in der Natur«, schreibt der Verband auf seiner Website .

kry/dpa