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Sabine Votteler

Tipps von der Karriereberaterin Ich kann mich nicht aufraffen, Bewerbungen zu schreiben

Sabine Votteler
Ein Gastbeitrag von Sabine Votteler
Maria wurde bereits vor Monaten gekündigt. Bald ist die Zeit der Freistellung abgelaufen, doch sie schafft es einfach nicht, sich um einen neuen Job zu kümmern. Wie überwindet sie ihre Blockade?
Decke über den Kopf – und die Bewerbung kommt später

Decke über den Kopf – und die Bewerbung kommt später

Foto: Niels Blaesi / DER SPIEGEL

Maria, 37 Jahre, fragt: »Ich habe schon vor Monaten meine Kündigung erhalten. Das hat mich so mitgenommen, dass ich mich bis heute nicht aufraffen kann, mich um etwas Neues zu kümmern. Ich schäme mich so, dass ich mich noch nicht mal beim Arbeitsamt gemeldet habe, obwohl ich weiß, dass ich dadurch Ansprüche verliere. Allmählich steigt mein innerer Druck, und mit wird klar, dass ich wertvolle Zeit vertrödle. Aber mir fehlt immer noch jegliche Motivation. Langsam bekomme ich es mit der Angst zu tun, denn ich brauche ein Einkommen. Wie überwinde ich endlich dieses Tief und gehe selbstbewusst meine Zukunft an?«

Zur Autorin

Sabine Votteler war mehr als 20 Jahre lang Führungskraft, bevor sie sich 2014 selbstständig machte. Sie berät und unterstützt Menschen, die sich aus einer langjährigen Karriere heraus selbstständig machen wollen, und bloggt  und podcastet  auch über dieses Thema.

Liebe Maria,

Ihr Motivationstief ist nachvollziehbar – vor allem, wenn Sie nicht mit der Kündigung gerechnet haben und diese Ihren Selbstwert erschüttert hat. In dieser Gefühlslage fällt der Gedanke, sich neu zu bewerben, schwer. Man fühlt sich unzulänglich und geht davon aus, dass man sowieso keine Chance hat. Aber machen Sie sich bitte dennoch klar: Eine Kündigung ist in den seltensten Fällen in der Person begründet, auch wenn wir sie meist sehr persönlich nehmen.

Zunächst sollten Sie Ihre Sichtweise ändern. Dadurch schaffen Sie die Grundvoraussetzung, die Sie für Ihre Motivation benötigen.

Denken Sie nicht schlecht über sich selbst

Wer gekündigt wurde, schlussfolgert oft, dass er oder sie »nicht gut genug« ist oder redet sich ein, er habe versagt und bezieht dies auf seine Person. Doch diese Kündigung hat nichts mit Ihrem Wert als Mensch und Mitarbeiterin zu tun. Sehen Sie es besser so: Keine der beiden Seiten – weder Sie noch Ihr Arbeitgeber – hat Schuld. Sie passen einfach nicht mehr zusammen.

Hören Sie auf, die Situation zu bewerten

Oft empfinden Menschen eine Kündigung als tiefe Kränkung. Da hat man viele Jahre für die Firma gearbeitet und sich engagiert, und was ist der Dank? Man wird einfach fallen gelassen. Ja, schimpfen Sie ruhig auf Ihren Arbeitgeber. Aber wechseln Sie mal die Seite: Auch Ihr Gegenüber muss Anforderungen genügen und hat die Kündigung mit Sicherheit nicht gern ausgesprochen.

Gehen Sie offensiv mit der Situation um

Eine Kündigung ist ein Tabuthema. Viele Betroffene verstecken sich. Sie schämen sich so sehr, dass sie niemandem davon erzählen wollen. Scham ist eines der negativsten Gefühle. Sie lähmt und nagt enorm am Selbstwert. Womöglich hindert Sie genau dieses Gefühl, aktiv zu werden.

Ich versichere Ihnen: Sie sind in bester Gesellschaft, denn weder sind Sie die Erste noch die Einzige, der das passiert. Das, was Sie als Blamage betrachten, ist für Dritte nicht der Rede wert.

Denken Sie in Chancen

Auch wenn es schwerfällt: Sehen Sie die Kündigung als Glücksfall. Vermutlich haben Sie sich selbst nicht mehr wohlgefühlt. Sie haben nun die Chance, etwas Neues zu beginnen. Verfallen Sie jetzt nicht in Aktionismus, weil Sie sich endlich bewerben müssen. Das führt eher zu Misserfolgen, die Ihrem Selbstwert nicht dienen. Nutzen Sie die Gelegenheit und gönnen Sie sich noch die Zeit, um sich zu hinterfragen.

Stärken entdecken und 50er-Liste

Überlegen Sie, was Ihnen in den letzten Jahren gut gelungen ist – und welche Fähigkeiten und Stärken dazu führten. Schreiben Sie jede einzelne Geschichte auf. Dadurch werden Sie schnell feststellen, dass Sie tatsächlich ganz schön viel können.

Eine weitere hilfreiche Übung: Schreiben Sie 50 Dinge auf, die Sie erfolgreich in Ihrem Leben gemeistert haben. Beruflich, privat, kleine und große Erfolge: Das kann vom Führerschein übers Kinder-Bekommen bis zu einem erfolgreichen Projekt gehen. Ihr Unterbewusstsein wird auch dadurch erkennen, dass Sie schon viele Erfolge eingefahren haben.

Gehen Sie spielerisch an die Neuorientierung heran

Leichter gesagt als getan, wenn einem die Zeit davonrennt? Verstehe ich. Doch mit Druck werden Sie den Prozess eher verlangsamen.

Bewerben Sie sich so, als wäre es nur zum Spaß. Gehen Sie in ein Bewerbungsverfahren mit Neugierde: Was Sie dabei wohl erwarten wird? Wen werden Sie dabei kennenlernen, was werden Sie lernen und wie wird es sich anfühlen? Seien Sie ganz ergebnisoffen. Sie MÜSSEN den Job nicht nehmen.

Damit bauen Sie die mentalen Hürden ab und kommen leichter ins Tun.

Erlauben Sie sich eine Vision und eigene Bedingungen

Motivation entsteht, wenn Sie ein sehr attraktives, unwiderstehliches Ziel vor Augen haben. Eine Vision oder einen Traum, wie Sie sich Ihr Leben wünschen.

Oft wissen wir aufgrund unserer alltäglichen Pflichten gar nicht mehr, was uns tatsächlich wichtig ist. Finden Sie das heraus, damit Sie diese Kriterien beim künftigen Job berücksichtigen können. Es wird nicht nur Ihre Motivation beflügeln, sondern auch Ihre Wahl und damit Ihre Zufriedenheit verbessern.

Gönnen Sie sich Hilfe

In Ihrer Situation ist es eine gute Idee, sich Hilfe zu suchen. Und auch das ist keine Schande, sondern ziemlich clever.

Hören Sie in jedem Fall auf, sich Vorwürfe zu machen und ein schlechtes Gewissen einzureden. Wir können und müssen nicht immer nur funktionieren. Herz und Seele sind nicht so schnell wie der Verstand. Sie müssen das Ereignis erst mal verarbeiten. Mit Selbstvorwürfen demotivieren Sie sich nur noch mehr.