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Neue Comics Lebensbilder und kreative Kater

Wussten Sie, dass Van Goghs Bilder von dessen Kater Vincent gemalt wurden? Dass es auch nach dem Kalten Krieg für Agenten ganz schön frostig zugeht? Dass Hiroshima zwischen zwei Buchdeckeln liegt? Und dass sich Autobiografen ein Bild vom eigenen Leben machen? Wichtige Comic-Neuerscheinungen - rezensiert von SPIEGEL ONLINE.

Gradimir Smudja - "Vincent & Van Gogh"

Jener gelegentlich ins Hysterische abgleitende Katzenkult ist bei aller Vorliebe für das pelzige Kleinviech eigentlich ziemlich nervig. Seit Akif Pirincis "Felidae" hat sich eine eigene Samtpfoten-Kulturindustrie entwickelt, die vor allem in Büchern der Katze als alleskönnendem Wesen huldigt. Man ist also grundsätzlich skeptisch angesichts eines Comics, der erzählt, wie sämtliche Werke van Goghs von dessen Kater Vincent gemalt wurden.

Das Misstrauen ist unberechtigt - der Jugoslawe Smudja tappt nicht in die Falle der schwärmerischen Verniedlichung. Im Gegenteil: Sein Vincent ist ein selbstgerechter Großkotz, der säuft, stiehlt und hurt. Und die Geschichte selbst, erzählt von einem Baum, verdient eher das Prädikat surreal. Da gibt es rosa Elefanten und Hasen-Anarchisten, Gauguins Papagei taucht auf und eine vierbenige Katzen-Bardot. Vincent malt hunderte von Gemälden und stiehlt den wertvollsten Diamanten der Welt. Van Gogh verliert sein Ohr nicht durch die eigene Hand, es wird von einem Kontrolleur abgeknipst.

"Vincent & Van Gogh" ist ein großartiger, gleichzeitig zutiefst romantischer Spaß. Ein hemmungsloses Spiel mit der Kunstgeschichte, dargeboten in opulenten Farben, voller Zitate und buchstäblicher Verdrehungen der Realität. Gekonnt hält Smudja diese flirrende Komödie 70 Seiten lang in der Schwebe, ehe er sie mit einem bittersüssen Finale zu Ende bringt. (Stefan Pannor)

Carlsen Comics; 72 Seiten, 16 Euro

Mawil - "Die Band"

Autobiografische Comics sind trickreich: Anders als bei Büchern kann der Erzähler nicht allzuviel erklären, er muss sich auf die Überzeugungskraft der Bilder verlassen, vor allem dann, wenn er sich in bestimmte Subkulturen begibt, wo spezifische, nur einem Kreis von Eingeweihten verständliche Zeichen den Background der Geschichte bilden. Diese Abhängigkeit vom Kontext ist auch ein Problem, mit dem "Die Band" vom Berliner Comic-Wunderkind Mawil ("Wir können ja Freunde bleiben") zu kämpfen hat.

Es geht tief hinein in die frühen neunziger Jahre und in die Musikszene. Mawil berichtet vom Versuch, mit diversen Bandprojekten groß rauszukommen. Proberaumsuche, permanente Besetzungswechsel, verrauschte Livetapes und kaum besuchte Gigs gehören zu den Malaisen dieses Szenedaseins ebenso wie Mädchen, die nicht auf einen stehen - obwohl man der Bassist ist. Das ist zum einen alles wahr, zum andern voller Querverweise. Man muss wohl Tocotronic kennen und die Euro Boys und ausgiebig im kulturellen Terrain der Neunziger gewildert haben, um hier wirklich durchzublicken.

"Die Band" hat zudem keinen klar definierten Spannungsbogen. Das ist Schwäche und Stärke des Bands zugleich. Mawil hangelt sich von Ereignis zu Ereignis. Nicht die Dramaturgie einer Geschichte steht im Vordergrund, sondern die episodische Wiedergabe von Ereignissen. Stärker noch als bei "Wir können ja Freunde bleiben" hat Mawil damit seinen dokumentarischen Blick geschärft. Hier geht es nicht (mehr) ums Witzigsein - Authentizität steht auf dem Programm. Leider wirkt das Ergebnis manchmal zu steril, der emotionale Zugang, der Mawils vorherige Comics auszeichnete, geht in der Akkuratesse der Beobachtung teilweise verloren. Dennoch verbirgt sich hinter dem unprätentiösen Erzählstil von "Die Band" einer der klarsten und direktesten autobiographischen Comics der letzten Jahre. Stefan Pannor

Reprodukt; 100 Seiten, 10 Euro

Greg Rucka/Steve Rolston - "Queen & Country - Operation: Broken Ground"

Schon seit einigen Jahren gibt es die Tendenz, dass anerkannte Schriftsteller Comics schreiben. Max Allan Collins war in den Achtzigern der Vorreiter, das jüngste Beispiel ist der Pulitzerpreisträger Michael Chabon. Auch Greg Rucka hatte bereits einige sehr erfolgreiche Krimis (für die sich erstaunlicherweise kein deutscher Verlag interessiert) verfasst, als ihm vor fünf Jahren "Batman" angeboten wurde. Ruckas Fledermausmann startete großartig, wurde im Lauf der Zeit jedoch zu einem Versprechen, dass er nie einlösen konnte: Immer wieder fuhrwerkten ihm die zuständigen Redakteure in seinen Geschichten herum, zerschnitten die Handlungslinien und trieben die Serie in sinnlose Crossover-Spektakel.

So führte Rucka seinen Vertrag eher lustlos zu Ende. In seine eigene Kreation "Queen & Country" quatscht ihm nun kein Verlagsvertreter hinein, und prompt entwickelt Rucka aus der Agentenserie eine Geschichte, die man durchaus mit John Le Carrés Circus-Romanen vergleichen kann. Ruckas Agentenwelt ist nach dem Ende des Kalten Kriegs noch undurchsichtiger geworden, Menschen werden auf dem Altar der Staatsräson bedenkenlos geopfert. Mitten in dieser Welt bewährt sich Tara Chace als Agentin, die für ihr erstes Abenteuer während des Kosovokonflikts auf die russische Mafia angesetzt wird. Wer die US-Ausgaben kennt, der weiß: Dies ist nur der Anfang. "Queen & Country" wird mit der Zeit immer besser und aktueller. Lutz Göllner

Eidalon; 128 Seiten, 9,90 Euro

Keiji Nakazawa - "Barfuß durch Hiroshima"

Mangas gelten hierzulande immer noch als niveaulos - teilweise zu Recht: Laut und letztlich formal stereotypisiert kommt das meiste auf dem deutschen Markt daher. Ausnahmen von der Regel lassen sich hierzulande fast an einer Hand abzählen. Keiji Nakazawas "Barfuß durch Hiroshima" ist eine davon. Bereits in den siebziger Jahren entstanden, ist dies die nur geringfügig verfremdete Autobiographie des Zeichners, der selbst den Abwurf der Atombombe erlebt hat.

Zeichnerisch wirkt das oft ungeschickt. Zu gering ist Nakazawas grafische Bandbreite; aus heutiger Sicht wirkt der cartoonhafte Stil zudem leicht veraltet. "Barfuß durch Hiroshima" beeindruckt fast ausschließlich durch die Geschichte. Mit quälender Detailgenauigkeit schildert Nakazawa die letzten Wochen von Hiroshima vor der atomaren Zerstörung. Der Zeichner erzählt von allgegenwärtiger staatlicher Gewalt, von Rassismus und Paranoia, von Hunger und Ausbeutung. Betrachtet aus den Augen eines Kindes, portraitiert Nakazawa die japanische Gesellschaft während des Krieges als durch und durch verrottet, von permanenter Propaganda mühsam zusammengehalten.

Härter ging selten ein Manga mit der Geschichte des Landes ins Gericht. Nicht zuletzt deshalb hatte "Barfuß durch Hiroshima" in Japan eine ähnlich große Wirkung wie hierzulande Art Spiegelmans "Maus". Wer einmal Nakazawas in der Atomglut schmelzende Gesichter gesehen hat, vergisst diese nicht so schnell. Ein Klassiker. Stefan Pannor

Carlsen Comics; 300 Seiten, 12,00 Euro

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