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Arno Frank

Regierungsflieger und der ganze Rest Es funktioniert gar nichts mehr

Arno Frank
Eine Glosse von Arno Frank
Im Gemecker über beklagenswerte deutsche Fehlentwicklungen und Versäumnisse verbinden sich Großmannssucht und Kleinlichkeit auf unschöne Weise. Zeit, uns von chauvinistischer Breitbeinigkeit zu verabschieden.
Außenministerin Annalena Baerbock, hier nach einem erfolgreichen Flug nach China (Archiv)

Außenministerin Annalena Baerbock, hier nach einem erfolgreichen Flug nach China (Archiv)

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Soeren Stache / picture alliance / dpa

Wer noch vor wenigen Jahren mit Fremden ein Gespräch beginnen wollte in Deutschland, der musste nur über die Bahn klagen. Das gemeinsame Lamento verbindet. Jeder konnte Erfahrungen beisteuern, jeder hatte bereits erlebt, dass der ICE auf offener Strecke oder gar nicht, dass der Anschluss in Hannover, dass die Klimaanlage undsoweiter. Und die Bahnhöfe erst!

Heute ist der bürgerliche Grollfunken von der Schiene übergesprungen auf die übrige Infrastruktur. Es entspinnen sich einvernehmlichste Konversationen, tippt man Themen wie die Energieversorgung, die zivile Luftfahrt, den Zustand der Straßen und Brücken, das Gesundheitswesen, die Schulen oder die Digitalisierung nur ganz zart an. Und die Fußballnationalmannschaft erst! Sogar die Frauen!

Jüngstes Beispiel, dass »in diesem Land gar nichts mehr funktioniert«, ist eine an technischen Problemen gescheiterte Auslandsreise der Außenministerin. Da schafft es ein Regierungsflieger nicht, ein Mitglied der Regierung zu fliegen. Eine hübschere Metapher für den Niedergang unserer Nation, ach was, unserer ganzen effizienzverliebten Zivilisation lässt sich kaum finden.

Die Behauptung, es funktioniere »nichts mehr«, unterstellt, dass es mal eine Zeit gegeben haben muss, in der alles funktionierte.

Gefühlt hängt die komplette Bevölkerung in einer sinnbildlichen Telefonwarteschleife, wo sie sich von einem Automaten vertrösten lässt: »Leider sind alle unsere Mitarbeiter im Gespräch, das zu Qualitätszwecken aufgezeichnet wird. Halten Sie bitte Ihre Steuernummer, IBAN sowie Blutgruppe bereit und warten Sie auf den Sankt-Nimmerleins-Tag, während wir ihnen »Eine kleine Nachtmusik« von Mozart vorspielen. Dingedingelding…«

Es stimmt schon. Wer von Wiesbaden nach Stuttgart muss, ob mit dem Auto oder der Bahn, kann sich auf ein Abenteuer gefasst machen. Wer in den Urlaub fliegen will, könnte ihn auf dem Flughafen verbringen. Wer sein Kind in die Schule bringt, liefert es einem maroden System aus. Wer ins Krankenhaus muss, der lasse alle Hoffnung fahren.

Allerdings unterstellt die Behauptung, es funktioniere »nichts mehr«, dass es mal eine Zeit gegeben haben muss, in der alles funktionierte, also wie am Schnürchen exakt so abschnurrte, wie es das eigentlich soll. Was mich betrifft, so kann ich mich an eine solche Zeit nicht erinnern. Von paradiesischer Zuverlässigkeit muss dieses Land demnach bis ungefähr 1971 gewesen sein – bevor dann allmählich die zersetzend leistungsfeindlichen Einflüsse der Achtundsechziger spürbar wurden. Das ist eine Erzählung, wie sie gern von den Rechten gepflegt wird.

Eine eher linke Erklärung für den spürbaren Niedergang von allem sucht die Gründe dafür in der Verschleuderung staatlichen oder kommunalen Tafelsilbers – Energie, Verkehr, Gesundheit, Bildung, Wohnen – im »alternativlosen« neoliberalen Privatisierungsauktionswahn späterer Jahrzehnte. Kritische Unken unkten schon damals, das werde uns in Zukunft noch wehtun. Jetzt ist Zukunft und tut es eben weh.

Wo Effizienz nationaler Fetisch ist, kippt sie auch schneller in Hysterie. Dann verbinden sich im Gemecker über Beklagenswertes kurioserweise Großmannssucht und Kleinlichkeit auf unschöne Weise. Großmannssucht, weil doch Deutschland weltweit Vorbild, mindestens aber Vorreiter sein sollte – und es augenscheinlich nicht ist. Kleinlichkeit, weil der Seitenblick aufs Ausland und »was man da über uns denkt« vom Gedanken an die Nachbarin und »was die denn nun wieder über uns denken könnte« kaum zu unterscheiden ist.

Der Punkt ist nicht, dass irgendwelche Belgier, Tschechen oder Italiener sich »über uns wundern«. Der Punkt ist, dass der Deutsche sich wohnlich eingerichtet hat in der Überzeugung, zu ihm und seinem sauberen Land werde bewundernd aufgeschaut – und zwar im gleichen Maße, wie er selbst auf Belgier, Tschechen oder Italiener herabschaut. Der Punkt wäre, uns als ersten Schritt zur Besserung von unserer chauvinistischen Breitbeinigkeit zu verabschieden.

Dafür müssten wir Deutschen uns zunächst vom verkniffenen Perfektionsstolz verabschieden, den wir stets im Reisegepäck mit uns führen. Auch in Spanien fahren Züge, auch in Frankreich gibt es Brücken. Womöglich wird in Rumänien mehr improvisiert und in Litauen mehr reformiert. Aber die Menschen dort machen, auf mich zumindest, prinzipiell keinen unglücklicheren Eindruck. Weshalb man, einvernehmlichen Konversationen lauschend, in Deutschland bisweilen den Eindruck gewinnen könnte, in einem »failed state« zu leben – nur weil gerade klemmt, was flutschen müsste. Einreden lassen sollten wir uns das nicht.

Es gälte, versuchsweise über das Gejammer hinauszukommen – so berechtigt es bisweilen sein mag. Es käme darauf an, mal zu gucken und zu lernen, wie die anderen das so gemacht haben mit dem Gucken und dem Lernen. Scheint ja offensichtlich hier und da geklappt zu haben. Und könnte auch hierzulande funktionieren.

Um den Preis allerdings, dass wir dann nicht mehr so zwanglos mit Fremden draufloslamentieren könnten. Es sei denn, wir verpassen doch wieder einen Anschluss. Und die Bahnhöfe erst!