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Psychothriller "Abgeschnitten": Dem Populärem verpflichtet

Foto: Warner Bros.

Fitzek-Verfilmung "Abgeschnitten" Wir schlachten einen Bestseller

"Abgeschnitten" ist die Kino-Adaption eines Bestsellers von Sebastian Fitzek - doch die Ermittlertheorien werden hier allenfalls nachgesprochen, nicht nachgespielt. Ein seltsam blutleerer Thriller.

Zu Beginn eine wilde Helikopterfahrt um den Leuchtturm von Helgoland: Jedes Mal, wenn dabei die grellen Lichtstreifen an der Kamera vorbeihuschen, erdröhnt auf der Tonspur ein kraftvolles Rauschen, als hätte das masselose Licht eine tonnenschwere Wucht.

Dieser Moment der gestalterischen Überhöhung ist jedoch nur ein kurzes Aufbäumen, bevor "Abgeschnitten" von "Tschiller"-Regisseur Christian Alvart seine Thriller-Handlung in Gang setzen muss: Die Tochter des Gerichtsmediziners Paul Herzfeld (Moritz Bleibtreu) ist verschwunden, die Spur führt nach Helgoland. Doch weil die Insel aufgrund eines Schneesturms vom Festland nicht zu erreichen ist, muss Herzfeld einen Großteil der Ermittlungsarbeit an die auf Helgoland gestrandete Comiczeichnerin Linda (Jasna Fritzi Bauer) delegieren - bis sich schließlich das psychopathische Grinsen Lars Eidingers in den Film schiebt, um der Bedrohung einen Fokus zu geben.

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Psychothriller "Abgeschnitten": Dem Populärem verpflichtet

Foto: Warner Bros.

"Abgeschnitten" basiert, wie gleich im Vorspann postuliert wird, auf dem "Bestseller" von Sebastian Fitzek. Mit der Betonung dieses Wortes macht der Film klar, dass er sich allein den Zielen des Populären verpflichtet fühlt: Er will kein Kunstwerk sein, er will vor allem funktionieren. Doch dieses Bekenntnis blendet aus, dass gerade das Populäre in jedem Medium eine andere Ausprägung annehmen muss.

So funktioniert ein Thriller in Romanform vor allem, indem er immer neue Theorien zu dem Hergang einer bestimmten Tat entwickelt - seine emblematische Szene ist der schockartige Enthüllungsmoment. Als Film jedoch wirkt der Thriller vor allem über eine unmittelbar aus Sinnesreizen entwickelte Anspannung - seine emblematische Szene ist die Verfolgungsjagd.

In diesem Widerspruch zwischen dem romanhaften Prinzip der eskalierenden Theoriebildung und dem filmischen Prinzip der sinnlichen Intensität wird Alvarts Film zunehmend aufgerieben: "Abgeschnitten" fühlt sich dem Erfolg seiner Bestseller-Vorlage derart verpflichtet, dass er sich eine Struktur aufzwängt, die den eigenen Zielen als Film direkt zuwiderläuft.


"Abgeschnitten"
Deutschland 2018
Regie und Drehbuch: Christian Alvart
Darsteller: Jasna Fritzi Bauer, Moritz Bleibtreu, Fahri Yardim, Lars Eidinger, Barbara Prakopenka
Produktion: Regina Ziegler Filmproduktion, Syrreal Entertainment, Warner Bros.
Verleih: Warner Bros. GmbH
Länge: 132 Minuten
FSK: ab 16 Jahren
Start: 11. Oktober 2018


Zusammen mit dem Rechtsmediziner Herzfeld hechtet die Handlung von einem verlassenen Haus zum nächsten und lässt dabei immer brutalere Einzelheiten zu den Hintergründen der Entführung zu Tage treten. Diese Dynamik versandet auf der Leinwand jedoch auch dadurch, dass sie sich primär in verbalen Äußerungen vollzieht, für deren Abfolge das Wort "Dialog" bereits ein viel zu dramatischer Begriff wäre. Denn es werden in diesen Szenen keinerlei Konflikte ausgetragen, sondern vor allem Informationen abgeladen.

Wortreich werden traumatische Ereignisse aus der Vergangenheit nacherzählt oder erläutert, wie die letzte unerwartete Entdeckung die zuvor geformten Theorien in neuem Licht erscheinen lässt. Die Lust am Abstrakten, die diesen Passagen in ihrer Romanform anhaften mag, kann sich im Film jedoch nicht einstellen - zu wenig kleinteilig sind die Berichte, zu sehr sind sie den Zwängen einer menschlichen Äußerung unterworfen.

Aber auch in der zunehmend gleichförmigen Abfolge von Enthüllungen ist immer wieder Alvarts Bemühen erkennbar, Momente affektiver Intensität herzustellen. Das gelingt ihm vor allem in der Ausgestaltung des Schneesturms, dessen wildes Treiben apokalyptische Ausmaße annimmt. Und es gelingt ihm in der Inszenierung der glibbernden und schwulstigen Körpermassen, die mit dem Seziermesser zerlegt und wie Gummihandschuhe von innen nach außen gestülpt werden. Diese Momente - und eine knappe, fast schnöde Kampfszene gegen Ende des Films - lassen eine Lust am Visuellen erkennen, die im Rest von "Abgeschnitten" durch das aus der Literatur übernommene Krimiformat fast gänzlich verdeckt wird.

So wünscht man sich irgendwann, dass sich Alvart den Blick des Gerichtsmediziners etwas mehr zu eigen gemacht und emotionslos von dem üppigen Leib der Bestseller-Vorlage alles visuell Unergiebige weggeschnitten hätte.