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Fernsehgeschäft Aufstand der Autoren

TV-Meisterwerke wie "Babylon Berlin" und "Bad Banks" beweisen: Deutschland kann Serie. TV-Autorinnen und -Autoren haben aber noch immer wenig Mitspracherecht. Jetzt gehen sie auf die Barrikaden.
Szene aus "Babylon Berlin"

Szene aus "Babylon Berlin"

Foto: X Filme/ Degeto/ Beta Film/ Sky

2017 war das Jahr, in dem das Format Serie endlich auch im großen Stil das deutsche Fernsehen erreichte. Produktionen wie "Babylon Berlin", "Dark", "Hindafing" und zuletzt "Bad Banks" zeigten, dass auch hierzulande horizontales Erzählen, also das Entwickeln und Verketten von Charakteren und Ereignissen über viele Episoden, in Perfektion betrieben werden kann. Offensichtlich müssen nur den richtigen Leuten künstlerische Freiheiten und handwerkliche Möglichkeiten gewährt werden.

Ob die prestigeträchtigen, auch im Ausland gefeierten Produktionen Vorboten eines neuen, aufregenden Fernsehzeitalters in Deutschland sind oder ob sie Einzelstücke bleiben, das wird auch von den Weichenstellungen der Politik und der Sender in den nächsten Monaten abhängen.

Zurzeit arbeiten hochrangige Landespolitiker an einem neuen Beauftragungskonzept für ARD und ZDF, das den Anstalten unter anderem auch Freiheiten bei der Finanzierung außergewöhnlicher TV-Formate gewähren soll. Debatte garantiert, das wird ein heißer Sommer.

Szene aus "Bad Banks"

Szene aus "Bad Banks"

Foto: ZDF/ Sammy Hart

Ein guter Zeitpunkt für eine Revolte. Denn mitten in die schwierige, bislang eher branchenintern geführte Diskussion über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks schlägt nun ein vollmundig und öffentlich formulierter Forderungskatalog von jenen Kreativen, ohne die es mit dem Goldenen Fernsehzeitalter für Deutschland nichts wird: den Drehbuchautorinnen und -autoren.

Die Revolte kann kommen

92 von ihnen fordern in einem Schriftstück mit dem Titel "Kontrakt '18" ein weitgehendes Mitspracherecht am Entstehungsprozess der Produktionen. Unter den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern finden sich einige, die schon früh starke, vereinzelte Beispiele für serielles Erzählen abgeliefert haben, etwa Rolf Basedow ("Im Angesicht des Verbrechens"), Annette Hess ("Ku'damm '59" ) oder Orkun Ertener ("KDD - Kriminaldauerdienst").

Szene aus "Ku'damm '59"

Szene aus "Ku'damm '59"

Foto: ZDF/ Stefan Erhard

Dabei verweisen sie auf die industriellen Strukturen von Fernsehnationen wie den USA, Großbritannien oder Dänemark, wo Drehbuchautorinnen und -autoren nicht nur das Buch liefern, sondern, wie es in einer Erklärung heißt, "den gesamten Prozess der Film- und Serienentstehung von der ersten Idee bis zur Endmontage begleiten, kontrollieren und mitverantworten".

Dies durchgesetzt zu bekommen, wäre ein massiver Bruch mit den Herstellungsgepflogenheiten im deutschen Fernsehbetrieb. Tatsächlich wird das fertige Drehbuch hier inoffiziell oft eher als eine Art Vorschlag angesehen, an den dann noch mal Redaktion, Regie oder sogar die Drehbuchkonkurrenz Hand anlegt, meist ohne Absprache mit der ursprünglichen Schöpfungsinstanz. Am Ende steht ein Werk, mit dem niemand zufrieden ist.

Schluss mit der Kannibalisierung

Die Sender können momentan auch deshalb auf diese Weise verfahren, weil Drehbuchautorinnen und -autoren bislang meist als Einzelkämpfer agierten; gelegentlich kannibalisierten sie sich sogar, indem sie im Auftrag unzufriedener Produzenten die Arbeit des anderen ausweideten. Damit soll jetzt Schluss sein. Der "Kontrakt '18" ist auch ein Katalog der Selbstverpflichtungen, durch die das Auftreten als Interessengemeinschaft möglich sein soll. Die Punkte im Einzelnen:

1: Die Autorin/der Autor verantwortet das Buch bis zur endgültigen Drehfassung. Sämtliche Bearbeitungen des Buchs müssen von der Autorin/vom Autor autorisiert werden.

2: Die Autorin/der Autor hat Mitspracherecht bei der Auswahl der Regisseurin oder des Regisseurs. Die Entscheidung über die Besetzung der Regie wird einvernehmlich getroffen.

3: Die Autorin/der Autor wird zu den Leseproben eingeladen.

4: Der Autorin/dem Autor wird das Recht eingeräumt, die Muster und den Rohschnitt zum frühestmöglichen Zeitpunkt sehen und kommentieren zu können. Der Autor/die Autorin wird zur Rohschnittabnahme eingeladen.

5: Die Autorin/der Autor wird bei allen Veröffentlichungen in Zusammenhang mit dem Filmprojekt (Pressemitteilungen, Programmhinweise, Plakate etc.) namentlich genannt und zu allen projektbezogenen öffentlichen Terminen eingeladen.

6: Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner verpflichten sich dazu, Aufträge zu Buch-Überarbeitungen (Rewrites, Polishing u. ä.) nur anzunehmen, wenn sie sich zuvor mit den aus dem Projekt ausscheidenden Kolleginnen und Kollegen verständigt haben.

Ob es gelingen wird, diese Forderungen durchzusetzen, hängt neben dem Einlenken und Umdenken seitens der sehr, sehr langsamen öffentlich-rechtlichen Sender auch davon ab, ob alle Beteiligten ihre Egos in den Griff kriegen.

Die Instanz des Auteurs

In Deutschland ist ja immer noch das Ideal des Autorenfilms weit verbreitet, wonach die Instanz des Auteurs mit Herz, Handschrift und authentischem Erfahrungshintergrund für die künstlerische Integrität des Werkes steht und es gegen alle Widerstände durchsetzt. Das befördert Egos, das beschränkt Teamplayer.

Es gilt nun, das Potenzial des Autorenfilms (wofür Deutschland übrigens immer noch von anderen Fernsehländern beneidet wird) und die eigene Handschrift (die nicht verloren gehen soll) in neuen Abläufen zu entfalten. Es ist unumgänglich, dass die Autorinnen und Autoren zukünftig in den gesamten schöpferischen Akt einer Produktion eingebunden werden, um einer Serie Charakter und Tiefe zu verleihen. Es ist aber auch genauso unumgänglich, dass sie sich, gerade im Serienbereich mit seinen komplexen Erzählkonstruktionen, in einen kleinteiligeren, abstimmungsintensiveren Gestaltungsprozess begeben, um ihre Visionen durchzusetzen.

Schon ab dem 1. Juli wollen die 92 Aufbegehrenden nur noch dann in Vertragsverhandlungen für neue TV-Projekte eintreten, wenn ihnen die geforderten Kontroll- und Mitbestimmungsrechte zugestanden werden. ARD, ZDF und die von ihnen beauftragten Produktionsfirmen müssen nun blitzschnell reagieren, wenn ihr Programm nicht ins Schlingern geraten soll. Wie gesagt, heißer Sommer.