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Krisen-Talks mit Genscher und Gauck Aus Erfahrung klug

Der Ukraine-Konflikt schürt Kriegsfurcht und weckt schlimme Erinnerungen. Bei Illner und Beckmann taten Ex-Außenminister Genscher und Bundespräsident Gauck ihr Möglichstes, um die Sorgen der Zuschauer zu dämpfen.
Bundespräsident Joachim Gauck: Militärisches Eingreifen nur allerletztes Mittel

Bundespräsident Joachim Gauck: Militärisches Eingreifen nur allerletztes Mittel

Foto: Wolfgang Kumm/ dpa

Dies sind schwere Zeiten in einem geschichtsbeladenen Jahr - Tage, in denen das junge, eben noch einigungsfrohe Europa sich in höchst bedenklicher Verfassung zeigt. Es ist die Stunde, da vermehrt auf diejenigen gehört wird, von deren Urteil man sich dank ihrer erfahrungssatten Vita Rat und Weisung erhofft. Und wenn dann die Talkshow-Planung es fügt, dass gleich zwei solcher Männer an einem Abend zu Wort kommen, kann es tatsächlich passieren, dass die eine oder andere bedenkenswerte Erkenntnis abfällt.

Bei Maybrit Illner ging es, wieder einmal, um die Krim-Krise samt all den aktuellen Fragen und Sorgen, in denen ja stets auch die Erinnerung an jenen Krieg mitschwingt, der vor 100 Jahren begann. Einer aber ragte heraus aus der mehr oder minder konventionell besetzten Runde: Hans-Dietrich Genscher, der 87-jährige frühere Bundesaußenminister, mittlerweile ein leibhaftiges Kapitel Zeitgeschichte und gelebter Außenpolitik. Ihm war zu verdanken, dass der Blick ein Stück hinaus ging über die oftmals hilflos anmutenden Streitrituale, in denen die Debatten zu diesem Thema meist steckenbleiben. Später dann, im Solo bei Reinhold Beckmann, lieferte Bundespräsident Joachim Gauck, 74, sozusagen die großen gedanklichen Linien nach, gezogen anhand der Daten 1914, 1939 und 1989, wobei sich mancher Bezug und manche Einsicht erst vom Ende her offenbarte. Und aus beidem zusammen entstand so etwas wie eine recht lehrreiche politisch-historische Lektion.

Genscher, der beseelte Überzeugungseuropäer

Genscher präsentierte sich nicht nur als wahrer Elder Statesman, als nach wie vor wacher Altmeister der Diplomatie, wie sie einst unter noch wesentlich komplexeren Zeitverhältnissen zur hohen Kunst erwuchs - er war es auch, der den Anwesenden als ebenso realistischer wie beseelter Überzeugungseuropäer die Leviten las, und das mit einem Temperament, das vielen Jüngeren zur Ehre gereichen würde. Ja, die Europäer hätten nach dem Ende des Kalten Krieges einiges falsch gemacht, indem sie zu wenig bedacht hätten, dass Europa eben mehr sei als die EU. Was nun nämlich fehle, seien Strukturen für den gesamten Kontinent, das Soziale wie den Handel betreffend und Russland natürlich eingeschlossen. Kriegsverhütung mit allen Mitteln sei aber zunächst einmal das Gebot der Stunde, und gewiss sei sie möglich, denn - anders als 1914 - wollten heute "alle Völker Europas nichts weniger als Krieg."

Gemessen an solch pragmatischem Pathos nahmen sich die Dispute der übrigen Gäste teilweise etwas kleinlich aus. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz verteidigte trotzig das Brüsseler Krisenmanagement und legte sich mit Russlands Botschafter Wladimir Grinin an, der, wie bereits vor drei Wochen bei Illner, rhetorische Abrüstung forderte. Schriftstellerin Katja Petrowskaja äußerte erneut Trauer und Unverständnis, speziell auch angesichts einer kleinen, aber bezeichnenden Szene. Es gab einen Einspieler, in dem Michail Gorbatschow seine Genugtuung über die Annexion der Krim bekundete, und Genscher erklärte prompt, er könne durchaus nachempfinden, dass sein alter Freund so spreche.

Was er selber hingegen gar nicht verstand, war ein Vorschlag, zu dem sich der ansonsten vorzugsweise von gefährlichem Säbelrasseln raunende Historiker Michael Wolffsohn verstieg: Man soll doch bitte zwecks Abschreckung die Wehrpflicht wieder einführen. Da fror Genschers Miene förmlich ein. Von derlei Überlegungen könne er nur dringend abraten, befand er knapp.

Gauck lobt Regierung für ihre Diplomatie

Lässt sich über die schicksalsschweren Fragen von Krieg und Frieden auch ganz anders reden - locker, im Plauderton, bisweilen sehr persönlich-emotional, fast burschikos? Doch, das geht durchaus, wie anhand des präsidialen Auftritts bei Beckmann zu erleben war. Kriegsängste, gar in Parallele zum Ersten Weltkrieg, wischte Gauck geradezu souverän vom Tisch. Nirgendwo gebe es 2014 diesen nationalistischen Eifer, den Bedarf an "Heldengeschichten" wie seinerzeit.

Es war ein Zwiegespräch, das seinen Reiz und Gewinn vor allem aus der Vielfalt der Aspekte und den großen Gedankenbögen bezog, vom Grundsätzlichen der Natur des Menschen über die Kultur und eigenes Erleben von Sprachlosigkeit und Anpassung bis hin zum bekannten Lieblingsthema des eloquenten Befragten, der Freiheit.

Auch seine strittige Rede, in der er Anfang des Jahres mehr deutsches Engagement in auswärtigen Konflikten gefordert hatte, wurde noch einmal erörtert. Und es schien ihm wichtig zu sein, hier wohl doch einige Modifikationen vorzunehmen. Militärisches Eingreifen könne selbstverständlich stets nur allerletztes Mittel sein, wenn sämtliche anderen Möglichkeiten ausgeschöpft seien, um Schlächtern das Handwerk zu legen. Ansonsten komme nur "aktives diplomatisches Handeln" in Betracht. Genau das bescheinigte er lobend denn auch der Bundesregierung in der derzeitigen Krise. Mehr wollte und konnte er dazu aber auch nicht sagen, schon aufgrund der von Amts wegen gebotenen Zurückhaltung in Fragen der operativen Politik.