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TV-Debakel "Wer schläft, verliert" Schlimm und Schlummer

Eine Show mit Promis, die 60 Stunden nicht geschlafen haben: "Wer schläft, verliert" entpuppte sich als spektakuläres Debakel, das dieses TV-Jahr nicht mehr zu toppen sein wird. Faszinierend!
"Wer schläft, verliert": Langweilig und faszinierend zugleich

"Wer schläft, verliert": Langweilig und faszinierend zugleich

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ProSieben/ Claudius Pflug

Manchmal hilft es in absurden Situationen, sich in die Vorstellung zu retten, man sei gerade nur ein gedungener Akteur in der überkandidelten Fantasie eines Superreichen. Eines Menschen mit so sinnlos viel Geld, dass er es zum Beispiel dafür rausprasst, eine Samstagabendshow nur für sich alleine inszenieren zu lassen, um sich an dem Elend der Teilnehmer zu laben. So fühlt es sich an, als die Kandidatinnen und Kandidaten von "Wer schläft, verliert" ins stille, coronabedingt publikumslose Studio kommen. Die Lichtkulisse flackert, ohne Applaudeure wirkt es tatsächlich nah am lost place.

Das Ziel dieser Show: Darauf zu warten, bis einer oder mehrere der Promi-Teilnehmer (Wayne Carpendale, David Odonkor, Natascha und Cheyenne Ochsenknecht und ähnliches ProSieben-Personal) live in der Primetime einschlafen. "Ist das geil oder was?", fragte Moderator Thore Schölermann. Es wird nicht die einzige Frage sein, auf die man an diesem Abend beim Zuschauen keine Antwort findet. 

Wie ein abgenagtes Kleintierskelett

Schon in den vergangenen Tagen konnte man in einem Online-Livestream den Promis dabei zuschauen, wie sie in Vorbereitung auf die Show 60 Stunden ohne Schlaf beisammensaßen, eine gruslig vorweggenommene Quarantänesituation.

Eigentlich als Konzept denkbar konstruiert, nun bizarr realistisch, konnte man sich dabei auf die Banalität der uns bevorstehenden Zeit des Wegsperrens einstimmen: Sie spielten Mau-Mau, machten Kopfstand im Tiger-Schlafstrampler und fragten sich, wer denn schon wieder alle Himbeeren aufgefressen hat. In der Livesendung sollen die Schlafbestohlenen nun zu diversen Prüfungen antreten.

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"Wer schläft, verliert"

Foto: ProSieben/ Claudius Pflug

Am Anfang hält man das alles noch für ein penn-buddhistisches Meisterwerk. Ohne das Publikum wirken die Spielchen überwältigend trist, beinahe rührend in ihrer unambitionierten Läppischkeit. Das isolierte Setting ist faszinierend entlarvend, ja entbeinend: Ohne inszenierte Begeisterung und Verspektakelung durch augenscheinlich mitgerissene Menschen liegen die Ideen hinter der Show da wie ein abgenagtes Kleintierskelett:

Wir sehen Menschen dabei zu, wie sie in aller Stille erst Sand schaufeln, dann Kartenhäuser aus Bierdeckeln bauen. Wie sie zwei Minuten lang nicht blinzeln dürfen und zählen müssen, wie oft in einer vorgelesenen Geschichte das Wort "und" vorkommt. Es ist in seiner nackten Trostlosigkeit wahnsinnig langweilig und faszinierend zugleich.

Als die Promis schließlich um die Wette Slushies trinken müssen - 1,7 Kilo fassen ihre Becher -, glitscht das simple Geschehen ins Absurd-Theatralische.

Manuel Cortez hält sich mit Schauspielgrandezza die flache Hand an die Stirn, um seinen Schädel zu erwärmen und den Hirnfrost zu tauen. Sie trinken den Kaltschlonz unter Schmerzen, man sieht es in ihren verzerrten Gesichtern, sie nuckeln um die Wette am knallpinken Eisgranulat, es tut auch beim Zusehen weh, aber sie hören eben auch nicht auf. Man könnte das genau so auf einer Bühne aufführen, als in seiner Metaphorik etwas zu offensichtliches Kammerspiel über die Käuflichkeit des Menschen und über seine Gafflust.

Interessanter als das Geschehen ist das eigene Empfinden dabei. Man schaut tatsächlich ganz neu fern, wenn einem niemand vorklatscht, was toll, niemand anlacht, was lustig ist. Die neue Stille ist angenehm, weil man sich nicht ständig fragt, was mit einem falsch ist, dass man das alles nicht ebenso gut finden kann wie die puppenlustigen Menschen im Studio. Man fühlt sich nicht mehr wie der Piesepampel, der knauserhumorige Geisterfahrer, während alle anderen offensichtlich so viel Spaß haben.

Bei "Wer schläft, verliert" hat niemand Spaß, es ist wohltuend offensichtlich. Sexexpertin Paula Lambert versucht das nicht einmal zu verhehlen, als sie bei einem Spiel erst 500 Meter auf einem Ergometer strampeln, dann eine flaumige Feder durchs Studio pusten soll: "Ich dachte, dass wir an einem wissenschaftlichen Experiment teilnehmen, und jetzt DAS."

Moderator Thore Schölermann: die Angst des Thorewarts vorm Gezeter

Moderator Thore Schölermann: die Angst des Thorewarts vorm Gezeter

Foto: Britta Pedersen/ dpa

Tragische Figur des Abends: Moderator Thore Schölermann. Je länger die Sendung dauert, desto unverhohlener wird sie zu seinem traurigen Kammerstück: die Angst des Thorewarts vorm Gezeter. Immer spürbarer wird die schwelende Renitenz der Promis, gegen die er verloren anschwadroniert. "Das nächste Spiel wurde nach dem Ehemann meiner Frau benannt", sagt er zum Beispiel, "es heißt: Ein guter Fang".

Man kann die lähmende Stille auf diesen Gagversuch eigentlich nur trocken abperlen lassen, Schölermann aber wühlt noch herum im Elend: "Normalerweise wären die Leute jetzt ausgerastet, die würden jetzt noch lachen." Er funktioniert nicht ohne den Applaus, die ständige self-fulfilling Rechtfertigung, dass das schon gut und sinnhaft sei, was er da gerade tut. Irgendwann tippt er dann vollends ins Stammelige, als die Kandidaten Münzen in einen Flaschenhals schnipsen müssen: "Wayne, du hier, Geld, äh".

Zwischendurch schaltet sich immer wieder mal ein Schlafexperte ein, der kompetent referiert, dass nicht schlafen müde macht. Er ist die einzige Bestätigung, dass man sich gerade nicht wirklich in einer inszenierten Groteske namens "Schlimm und Schlummer" befindet, denn wenn das alles ausgedacht wäre, würde die Figur des Professors zwischendurch auch immer wieder einschlafen und dann komisch gemeint hochschrecken.

Die Sendung ist ein Debakel, aber man kann nicht ausschalten, zu schön sind ihre vielen Feinheiten. Die Verzweiflung in den Promigesichtern, das ratternde Überdenken ihrer Lebensentscheidungen. Die Art, wie die komplett zugedeckte Tochter Ochsenknecht sicher nur rein zufällig das Bein ihrer rabattcodierten Influencerinnenhose genau so unter dem Laken hervorstreckt, dass man bequem den im Wadenbereich aufgedruckten Markennamen lesen kann. Und natürlich sind irgendwann auch die Buzzer kaputt.

Richtig toll wird die Show, als auch nach sehr langer Zeit einfach niemand einschlafen will. Als würden die Kandidaten aus blanker Bosheit für immer wach bleiben, damit die Show niemals enden kann. Wayne Carpendale fasst sich schließlich ein Herz: "Hase, ich geh nach Hause!", bescheidet er Schölermann, und statt "Hase, du bleibst hier" antwortet der leider nur: "Wie, du gehst nach Hause?" Auch Dragqueen Candy Crush geht lieber heim, als das Showende abzuwarten. Sag alles ab, geh einfach weg, plötzlich ist das eine Option: Entertainment distancing.

Irgendwann beendet Schölermann die Show mit einer Verzweiflungstat: Wer bei den Klängen des Schlaflieds "LaLeLu" einen Buzzer drückt, gewinnt. Und zwar, es ist nicht schöner ausdenkbar: ein goldenes Sofakissen. Die schon vor Stunden zur Ruhe gebettete und mit klassischer Säuselmusik beschallte Natascha Ochsenknecht ersteht plötzlich auf, buzzert und siegt. Die Show ist vorbei, und man weiß: In Wahrheit hat es gerade erst angefangen.

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