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Abschiebungen nach Afghanistan So geht es aus Europa zurückgekehrten Kindern

Keine Dokumente, kein Schulplatz, kein Kontakt zu Angehörigen: Kinder und Jugendliche, die aus Europa nach Afghanistan zurückkehren, haben es dort schwer. Und die Sicherheitslage in dem Land bleibt prekär.
Afghanische Kinder in Kabul (Archivbild)

Afghanische Kinder in Kabul (Archivbild)

Foto: Musadeq Sadeq/ ASSOCIATED PRESS

"Mein Vater dachte, ich hätte etwas falsch gemacht und sei deswegen deportiert worden. Er war wütend auf mich", erzählt ein junger Mann, der mit 17 Jahren aus Norwegen nach Afghanistan abgeschoben wurde.

Die Kinderrechtsorganisation Save the Children ließ ihn für ihren Bericht "Rückkehr ins Ungewisse"  befragen - wie auch 56 weitere aus europäischen Staaten zurückgekehrte Kinder und Jugendliche.

Die Studie, die am Dienstag vorgestellt wurde, zeichnet ein tristes Bild des Lebens, das die Befragten in den Städten Kabul und Herat führen, seit sie aus Europa abgeschoben wurden oder freiwillig zurückkamen.

So hatte der junge Mann, der nach Norwegen geflohen war, zuvor in Iran gelebt. In Afghanistan war er noch nie gewesen. "Meine Familie war noch in Iran. In Kabul kannte ich nur jemanden von einer Hilfsorganisation und einen Freund."

Alle Kinder, die Save the Children befragen ließ, waren zwischen acht und 18 Jahre alt, als sie nach Europa migrierten. Die meisten flohen nach Norwegen (17), Schweden (12) und Deutschland (9).

Die Mitarbeiter des internationalen Thinktanks Samuel Hall, den die Organisation mit der Umfrage beauftragte, ließen die Mehrheit der Kinder Fragebogen ausfüllen, mit zwölf von ihnen führten sie persönliche Gespräche. Die Ergebnisse im Überblick:

  • 39 von 57 Kinder und Jugendliche fühlten sich nach ihrer Rückkehr nicht sicher.
  • Zehn Jugendliche wurden allein nach Afghanistan zurückgeschickt. Nur einer davon sagte, die europäischen Behörden hätten vor der Abschiebung seine Angehörigen dort kontaktiert.
  • Zehn Kinder sagten, jemand habe nach ihrer Rückkehr versucht, sie für den bewaffneten Kampf, Gewalttaten oder ein anderweitiges Engagement in militanten Gruppen zu gewinnen.
  • Vor der Abschiebung gingen 45 der Kinder zur Schule, zurück in Afghanistan waren es nur noch 16.
  • Fünf der Befragten hatten keinerlei Ausweise und Dokumente, was den Schulbesuch oder die Suche nach einem Arbeitsplatz problematisch machen könne.
  • Viele kehrten entweder zu enttäuschten Verwandten in ihrer Heimatgemeinde zurück, wo sie sich nicht willkommen fühlten - oder in einen fremden Ort, in dem sie keine sozialen Netzwerke hätten.
  • Acht der befragten Kinder und Jugendliche waren noch nie in Afghanistan, weil sie in Iran oder Pakistan geboren wurden.
  • Drei Viertel der Minderjährigen erklärten, aus Angst und aus Mangel an Perspektiven erneut flüchten zu wollen.

Die befragten Kinder und Jugendlichen lebten seit ihrer Rückkehr in den Städten Kabul und Herat - in der Regel seit mehreren Monaten und in manchen Fällen seit einigen Jahren. Einige kehrten kurz nach ihrem 18. Geburtstag aus Europa zurück, die meisten waren noch minderjährig.

Taliban verschärfen Angriffe

Für die Studie wurden auch 24 Eltern oder Erziehungsberechtigte und 30 Vertreter von der afghanischen und von europäischen Regierungen sowie von NGOs interviewt.

Das Leben ist in Afghanistan nicht nur für Kinder oft schwierig und gefährlich, Abschiebungen dorthin sind politisch umstritten. In den vergangenen Monaten haben die radikalislamischen Taliban Friedens- und Waffenstillstandsangebote abgelehnt und ihre Angriffe auf Regierung, Sicherheitskräfte, Bezirks- und Provinzzentren verschärft. Zudem verübt die Terrormiliz "Islamischer Staat" schwere Anschläge.

Keine Behörde sammle Zahlen darüber, wie viele abgeschobenen oder zurückgekehrten Kinder und Jugendliche in Afghanistan lebten, schreibt Save the Children. Aus Angst, das Stigma der in Europa Gescheiterten zu tragen, machten auch nicht alle Familien ihre Fluchtgeschichte publik.

Die Ergebnisse seien wegen der vergleichsweise kleinen Zahl der Teilnehmer keinesfalls repräsentativ, heißt es. Sie eigneten sich aber, um die Situation vieler afghanischer Kinder zu illustrieren.

"Die Rückkehr von Kindern nach Afghanistan muss gestoppt werden. Das Land ist eines der gefährlichsten Länder der Welt", warnte Meike Riebau, Rechtsexpertin bei Save the Children. Die Rechte der Kinder auf Schutz, Bildung und eine Gesundheitsversorgung seien nicht gewährleistet.

Es müsse für Rückkehrer einen Plan zur Reintegration geben, fordert die Organisation. Ein europaweit einheitlich geregeltes Rückkehrverfahren, eine bessere Begleitung und eine Koordination mit den afghanischen Behörden seien nötig. EU-Behörden fühlten sich mit deren Ankunft in Afghanistan jedoch nicht mehr verantwortlich für die Kinder, die sie zurückgeschickt hätten.

lov