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Analphabetismus Viele Europäer können nicht richtig lesen

Bildungsexperten schlagen Alarm. Viele Europäer können nicht ausreichend lesen, um ihren Alltag zu bewältigen. Das zeigt ein neuer Bericht der EU-Kommission. Darunter leiden nicht nur die Betroffenen - der Mangel hemmt auch die Wirtschaftskraft Europas.
Übungsheft eines Analphabeten: Wer nicht lesen kann, hat es besonders schwer

Übungsheft eines Analphabeten: Wer nicht lesen kann, hat es besonders schwer

Foto: A3250 Oliver Berg/ dpa

Brüssel - Es ist die zentrale Fähigkeit für den Erfolg in Schule, Ausbildung, Job, Alltag: das Lesen. Jetzt zeigt ein neuer Bericht der EU-Kommission, dass gerade diese Kompetenz etwa einem Fünftel der Europäer entweder ganz fehlen soll oder dass sie das Lesen und Schreiben zumindest nicht ausreichend beherrschten, um ihren Alltag zu bewältigen.

Die Autoren der Studie bezeichneten diesen hohen Anteil als "Alarmsignal" angesichts der in Europa herrschenden Wirtschaftskrise. Nur gut ausgebildete Schulabsolventen könnten einen Job finden und zum Wachstum der Wirtschaft beitragen.

Nach Berechnung der Experten würde sich die Unterstützung von Schülern direkt auszahlen: Würde der Staat die Kompetenz von Schülern im Lesen, Schreiben, der Mathematik und den Naturwissenschaften besser fördern, könnte das Bruttoinlandsprodukt Europas um mehrere Billionen Euro steigen.

Nicht für alle Länder lagen den Experten präzise Zahlen vor, heißt es auf den Internetseiten der EU-Kommission, aber für Deutschland, Frankreich und Großbritannien liege der Anteil derer, die nicht ausreichend lesen können, bei 20 Prozent.

Merkwürdig daran ist allerdings, dass die Studien, auf die sich der Kommissionsbericht bezieht, weitaus niedrigere Zahlen liefern. So wird als Quelle für Deutschland unter anderem die sogenannte Leo-Studie genannt, in der die Lesefähigkeit Erwachsener untersucht wurde. Und die wiederum gibt den Anteil funktionaler Analphabeten für Deutschland nur mit 14,5 Prozent an. Auch die Zahlen für Frankreich und Großbritannien sind in den angegebenen Quellen weitaus niedriger.

Weltweit gibt es 775 Millionen Analphabeten

Die Sachverständigen schlugen mehrere Konzepte vor, um Kinder wie Erwachsene zu fördern. Dazu gehören etwa mehr Lehrer, attraktivere Bibliotheken mit digitalen Medien, mehr Aufklärung über Analphabetismus und die Förderung von Kindern mit ausländischen Wurzeln. Nicht nur in den Schulen, sondern auch in der Familie, am Arbeitsplatz und in den Medien müsse das Thema diskutiert werden.

Die 27 EU-Staaten haben im Schulsektor bereits Ziele vereinbart: So soll bis zum Jahr 2020 der Anteil leseschwacher 15-Jähriger von 20 auf 15 Prozent sinken. Für Deutschland zeigte bereits der letzte Bundesbildungsbericht: Noch immer gelingt es nicht, diejenigen ausreichend zu fördern, die es ohnehin schon schwer haben - die Zahl der Bildungsverlierer sinkt nur langsam. Eine Schicht von 15 bis 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen bleibt bislang abgehängt. Sie können nicht richtig lesen oder Texte verstehen, brechen die Schule oder die Lehre ab und nehmen auch nicht an Weiterbildungskursen teil.

Weltweit können rund 775 Millionen Jugendliche und Erwachsene nach Angaben der Unesco nicht lesen und schreiben. Die Bildungsorganisation der Vereinten Nationen wies erneut darauf hin, weil der Welttag der Alphabetisierung an diesem Samstag bevorsteht. Fast zwei Drittel der Analphabeten seien nach wie vor Mädchen und Frauen. Die Mehrheit der Analphabeten lebe in Asien und Afrika.

"Die Regierungen geben weltweit zu wenig Geld für die Alphabetisierung aus, obwohl Bildung ein Menschenrecht ist", kritisierte der Generalsekretär der Deutschen Unesco-Kommission, Roland Bernecker. Er erinnerte daran, dass sich die Weltgemeinschaft im Jahr 2000 verpflichtet habe, die Situation global zu verbessern.

Der Welttag steht in diesem Jahr unter dem Thema "Alphabetisierung und Frieden". Bewaffnete Konflikte seien ein Grund für die weltweit hohe Zahl an Analphabeten. "Sie binden nicht nur Geld für Militär statt für Bildung, sie verringern auch ökonomisches Wachstum, führen zu größerer Armut und zerstören Infrastruktur", heißt es in der Unesco-Mitteilung.

Anmerkung: In einer früheren Version dieses Textes standen lediglich die Angaben der EU-Kommission. Nach Leserhinweisen haben wir die Widersprüchlichkeiten, die der EU-Bericht aufwirft, ergänzt.

otr/dpa