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Verweis wegen linker Gesinnung: Protest unerwünscht

Foto: VVN-BdA Bamberg

Unhaltbarer Verweis an Bamberger Schule "Zweifelhaft linksorientierte Gesinnung"

Simon, 17, redet gern über seine linken Ansichten, auch in seiner Bamberger Schule. Dafür ermahnte ihn das Rektorat schriftlich wegen "extremistischer politischer Meinung". Am Ende landete der Fall bei einem pikierten CSU-Bürgermeister.
Von Sebastian Gubernator

Auf dem Papier, das ihm seine Schule überreicht hat, ist Simon ein Extremist. Ein Linker, der Lehrer und Mitschüler bedrängte und seine Meinung so beharrlich vertrat, dass die Polizei gerufen werden musste.

Das Dokument kommt direkt von der Schulleitung, in Bayern nennt man eine solche schriftliche Ermahnung einen "verschärften Verweis". Er wirft Simon auf 25 Zeilen eine Menge vor: Seit Anfang des Schuljahrs falle er durch respektloses Verhalten auf, "vor allem im Zusammenhang mit seiner politischen, zweifelhaft linksorientierten Gesinnung". Eine Schule bestraft einen Jugendlichen, weil er links ist?

Bamberg, 70.000 Einwohner, Fachwerk und Holztore. Simon, 17, Pullover, Brille, sitzt am Küchentisch in der Wohnung eines Freundes. Seine Mutter will nicht, dass er mit Journalisten spricht. Deshalb hat er diesen Treffpunkt für das Interview gewählt. Seinen Namen will er nicht mehr veröffentlicht sehen.

Er ist ein Linker, sagt Simon. Er engagiere sich in einer antifaschistischen Jugendgruppe, alle paar Wochen demonstriere er, etwa gegen Atomkraft oder Neonazis. Die parlamentarische Demokratie sei zwar "nicht perfekt", aber "so schnell wird sie nicht abgeschafft, also muss man sie gegen rechts verteidigen".

Simons Vergehen? "Dies, das, Ananas"

Geht es um seine politische Haltung, gibt er ausführliche und durchdachte Antworten. Beim Thema Schule weicht er aus: Er sei kein Unschuldsschüler, habe mehrere Verweise bekommen, zwei davon in den vergangenen sechs Wochen. Wofür? "Dies, das, Ananas", sagt Simon. Einmal habe er sein Handy angelassen. Ein andermal sagte er seinem Lehrer, er habe nicht gewusst, dass Sportunterricht sei und darum keine Sportsachen dabei gehabt. Beide Vorfälle wurden schriftlich mit einem Verweis geahndet, den die Eltern unterschreiben mussten.

Simon geht in die 10. Klasse einer Bamberger Wirtschaftsschule, einem Betonklotz aus den Siebzigern. Ende Januar findet ein Berufswahlseminar statt, Firmen stellen sich vor, auch die Bundeswehr. Eine Karriere als Panzerfahrer oder Fallschirmjäger? Kommt für Simon nicht infrage. Trotzdem sitzt er in der ersten Reihe, als ein Soldat im Klassenzimmer spricht. Simon sagt, er habe Fragen gestellt: nach der Ausrüstung der Bundeswehr, ob das meiste nicht ziemlich schrottreif sei; nach den Bomben, die in Afghanistan auf entführte Tanklaster fielen und mindestens 91 Menschen töteten.

In einer Vortragspause geht er zu seinen Freunden, die vor der Schule gegen die Armee demonstrieren, "kein Werben fürs Sterben", fordert ein Banner. Als Simon zurück in die Schule will, halten ihn zwei Hausmeister auf. Sie wollen seinen Rucksack nach politischen Aufklebern durchsuchen, er weigert sich. Minuten später steht die Polizei vor der Schule, erteilt die Schulleitung ihm Hausverbot. Aufkleber finden die Polizisten nicht.

Sechs Tage danach gibt seine Klassenlehrerin ihm den verschärften Verweis, der ihm seine linke Einstellung vorwirft. Der letzte Absatz ist eine Drohung: "Um einen erfolgreichen Abschluss (...) zu erhalten, muss er zukünftig darauf achten, Äußerungen bezüglich seiner extremistischen politischen Meinung zu unterlassen."

Simon ist empört und wendet sich an die linke Tageszeitung "Junge Welt" und an die Berliner "tageszeitung",  gibt Interviews. Die Schule reagiert mit einer Pressemitteilung und gibt bekannt, Simon sei trotz Krankschreibung zu dem Berufswahlseminar gekommen und habe es dann "unentschuldigt" verlassen. Auch Direktor Martin Mattausch wird zitiert: "Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Es ist mein Verständnis von Demokratie, dass jeder seine begründete Meinung sagen darf und darüber auch diskutiert werden darf."

Simon kennt seinen Direktor anders: Mattausch habe ihm mehrmals gedroht, ihn von der Schule zu schmeißen. Und er habe angeboten, den Verweis unter der Hand zu zerreißen, wenn Simon nicht mehr mit der Presse spräche. Ob das stimmt? Am Telefon will Mattausch nichts sagen. Über eine Pressesprecherin der Stadt Bamberg lässt er mitteilen, Simons Vorwürfe träfen nicht zu.

Verweis war "falsch begründet"

Simon sagt, er wolle keinen medialen Krieg gegen die Schule führen, sondern in Ruhe seinen Abschluss machen. "Aber ich glaube, ich brauche Öffentlichkeit. Um eine Garantie zu haben, dass ich auf der Schule bleiben kann." Sein Handy klingelt, er meldet sich mit "Ahoi" und wechselt ein paar Worte. Jemand vom Bayerischen Rundfunk. Genießt er eigentlich die Aufmerksamkeit? "Auf keinen Fall", sagt Simon.

Das Bamberger Rathaus ziert ein Schild, das die Stadt als "Ort der Vielfalt" ausweist, verliehen hat den Preis die Bundesregierung. Bamberg engagiere sich für Toleranz und Demokratie, steht darauf. Es hängt in einem Flur im ersten Stock, gleich neben dem Büro von CSU-Bürgermeister Christian Lange. An Langes Wand hängt ein Kruzifix, er zwingt sich zu einem Lächeln. "Die politische Meinungsäußerung einer Schülerin oder eines Schülers ist kein Grund für eine Disziplinarmaßnahme", sagt er knapp.

Simons Schule ist städtisch, der Verweis ein Kommunalpolitikum: Die Stadt muss prüfen, ob er korrekt begründet wurde. Lange ist das Thema unangenehm. Er erzählt lieber, dass Simons Schule eine "Schule mit Courage" sei, sich also gegen Rassismus stark macht: "Wir freuen uns über jeden Schüler, der sich politisch engagiert und seine eigene Meinung vertritt."

Wenige Tage später zieht die Schule den Verweis auf Druck aus dem Rathaus zurück. Er sei falsch begründet gewesen, gibt Direktor Mattausch in einer Pressemitteilung zu, und er sagt: "Es bleibt dennoch Fakt, dass der Schüler sich nicht an die Regeln des Schulbetriebs gehalten hat."

Simon sagt, das stimme nicht. Trotzdem ist er erleichtert, dass der Direktoratsverweis jetzt aufgehoben ist, er sieht das als Erfolg. Nächstes Jahr will er die Schule abschließen. Und dann will er wegziehen aus Bamberg.

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