Zum Inhalt springen

Computerfirmen auf dem Bildungsmarkt Kampf ums Klassenzimmer

Apple hat seine interaktiven Lehrbücher vorgestellt - der Konzern drängt auf den Bildungsmarkt, ebenso wie seine Konkurrenten. Das Kalkül: Wer seine Produkte im Klassenzimmer platziert, dem gehört die Zukunft. Doch nutzt die Digitalisierung den Schülern wirklich? Und überfordert sie die Lehrer?
Privatschüler in Bayern: Digitalisierung des Klassenzimmers

Privatschüler in Bayern: Digitalisierung des Klassenzimmers

Foto: Andreas Gebert/ picture alliance / dpa

Als Anne Bamford die Wirkung von 3D-Brillen im Klassenzimmer untersuchte, machte die Londoner Professorin eine verblüffende Entdeckung. In einer praktischen Übung in Biologie hatten Schüler das Herz eines Schafes untersucht. Danach betrachteten sie die Projektion des Herzens durch eine 3D-Brille. Auf die Frage, was ihnen besser gefallen habe, das Modell oder die Natur, antwortete ein Schüler: "Die Projektion - denn sie ist realistischer."

Die Kunstherz-ist-realer-als-Echtherz-Anekdote passt Bamford und ihren Auftraggebern gut in den Kram. Denn sie trauen den 3D-Brillen beim Lernen wahre Wunderdinge zu. Doch ist beim Thema Technik und Schule die Frage angebracht: Was ist real - und was nur schöner Schein?

Weltweit drängen die Hersteller von intelligenten Tafeln und Stiften, von Tablet- und Mini-Computern sowie Lernsoftware auf den Bildungsmarkt. Aber die Folgen der IT-Revolution im Klassenzimmer sind so ungewiss wie die Fähigkeit der Lehrer, mit der neuen Technik umzugehen.

Die Möglichkeit, den Unterricht mit Computern zu verändern, stehe und falle mit der Kollegenschaft, sagt der IT-Beauftragte einer Schule. "Die Neugier der Lehrer auf Tablet-PCs oder Kleincomputer ist aber eng begrenzt - die haben Angst, ihre ganzen Unterrichtsvorbereitungen wegwerfen zu müssen." Seinen Namen will der Kollege auf keinen Fall nennen - "sonst geht an meiner Schule gar nichts mehr".

Zwangsverpflichtete Lehrer scharen sich um wenige IT-Cracks

In IT-Lehrerfortbildungen ist stets das gleiche Bild zu beobachten: Die Zwangsverpflichteten bilden eine Traube um die wenigen Cracks. Ein simples Lern-System wie Moodle erweist sich oft als unüberwindliche Hürde. "Ich wollte nur mal gucken, wie das geht", sagen die Lehrer am Rande der Traube - und weigern sich, auch nur eine Tastenkombination auszuführen.

Ihre alten Unterrichts-Choreografien dürften die Lehrer freilich nicht mehr lange verwenden können. Denn die vielen Bildschirme, Touchscreens und Whiteboards verändern das Klassenzimmer nicht nur optisch. Der Tablet-Lehrer André Spang sagt: "Bald kann sich niemand mehr am Schulbuch festhalten". Er weiß, wovon er spricht. In der Kölner Kaiserin-Augusta-Schule kombiniert der Musiker traditionelles Instrumentenlernen mit den Möglichkeiten des Tablet-Computers. Die Schüler haben bei ihm über die verschiedenen Apps eigene Stücke komponiert, arrangiert und produziert.

Sein Braunschweiger Kollege Ulf Blanke sagt, die digitale Technik sei kein Selbstzweck. "Für mich sind die IT-Lerngeräte interessant, weil ich damit das traditionelle Lernen verändern kann. Man kommt weg davon, dass man als Lehrer in 30 Leute hineinspricht. Künftig sollen die Schüler mehr untereinander kommunizieren." Das heißt nicht, dass sich Lehrer und Schüler nicht mehr von Angesicht zu Angesicht im Unterricht begegnen. Aber die Möglichkeiten der Schüler, über Wikis und Blogs gemeinsam zu lernen - und dabei trotzdem individuell zu arbeiten, wird erst durch Computer und Cloud möglich. Das virtuelle Klassenzimmer ist groß.

Wie die Industrie auf den Bildungsmarkt drängt

Die Industrie hat das Potential erkannt. Sie drängt mit Macht auf den Bildungsmarkt, der als Wagenburg gilt, die sich gegen die Eroberung durch IT wehrt. Das dürfte bald Geschichte sein. Korea digitalisiert bis 2015 alle Bildungsinhalte und lässt es sich 1,4 Milliarden Dollar kosten. Die Türkei will gar 15 Millionen Tablets kaufen - für jeden Schüler einen. Schnell haben sich die US-Firmen Apple, Intel und Microsoft für den Riesenauftrag beworben.

Jetzt hat Apple iBooks 2 für das iPad und eine Software namens iBook Author für Mac-Rechner vorgestellt - zunächst nur für den englischsprachigen Markt. Die neuen interaktiven und multimedialen Lehrbücher sollen Text, 3-D-Grafiken und Filme kombinieren.

Schon zuvor ließ sich aus den Apple-Seminaren und den Kooperationen des kalifornischen Herstellers die Strategie ablesen, den Schulmarkt zu erobern. Die Vorstellung, das Schulbuch zu digitalisieren, ist nur ein Zwischenhalt. Jeder Schüler wird sich sein Lerngerät selbst zusammenbauen können. "Man wird schnell wegkommen von den Plattformen", prophezeit André Spang. "Wenn die Schüler erst die weite Welt der Lernapps erobern, gibt es kein Halten mehr."

Doch die schöne neue Lernwelt hat einen Haken: Firmen wie Apple sind eher nicht getrieben von pädagogischen Idealen. Wer seine Lernwelt als Standard in den Schulen etabliert, zieht sich eine neue Kundengeneration heran. In den USA arbeiten bereits über 2300 Schulen mit iPads, rund 1000 Schulen haben eine Art geschlossene Apple-Lernwelt aufgebaut.

Was die Digitalisierung der Schulen jenseits der Technikbegeisterung bringen wird, ist ohnehin offen. Empirische Evidenz, wie sie die Pisa-Studien alle drei Jahre beanspruchen, können IT- und E-Learning-Studien kaum vorweisen. Anne Bamford etwa behauptet, dass ihre 3D-Brille bei allen befragten Lehrern die Überzeugung hinterlassen hätte, "dass die Schüler durch den Einsatz von 3D-Animationen im Klassenzimmer Sachverhalte besser verstehen". Es gab aber nur 47 Lehrer, die teilnahmen - eine kümmerliche Zahl bei einer Studie, die das 3D-Lernen in sieben Staaten erforschen wollte.

Kritiker befürchten sogar, dass es beim IT-Lernen genau in die andere Richtung geht. Das Internet hebe in der Schule die Chancenungleichheit nicht auf, sondern verstärke sie womöglich. Der unbequemste Kritiker ist der Kriminologe Christian Pfeiffer, der in seinen Erhebungen eine Gruppe von knapp 16 Prozent Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren entdeckt hat, "die mehr Zeit vor dem Bildschirm als in der Schule verbringt". Pfeiffer warnt daher ganz ähnlich wie der Computer-Guru David Gelernter davor, die verführerische Kraft des Bildschirms zu früh einzusetzen.

Ute Andresen, eine renommierte Schreiblehrerin aus München, warnt vor etwas anderem: dem Verlust der Handschrift. "Wenn die Schüler vor lauter Tippen und Wischen nicht mehr lernen, wie man verbunden schreibt, dann geht ihnen der erste fundamentale Lernprozess verloren", sagt Andresen. Und warnt: "Das ist ein Schritt zurück Richtung Analphabetismus."