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Stotternde Studenten "Als ob dir jemand die Luft abschnürt"

Wer stottert und sich trotzdem an die Uni wagt, muss viel aushalten. Jedes Referat wird zur Tortur, manche Dozenten raten sogar, den Campus zu verlassen. Drei Stotterer erzählen, mit welchen Tricks sie sich überlisten - und warum das Studium sie selbstbewusster gemacht hat.

Die meisten Studenten ängstigen sich vor dem ersten Referat, dabei können sie ihren Namen sagen, ohne zu stocken. Doch was ist mit denen, die zwei Minuten brauchen, um sich vorzustellen? Denen danach kaum Zeit bleibt, den Stoff zu referieren? Die jedes Referat 25 Mal üben und dann doch versagen?

Menschen, die stottern, sind sprechbehindert, nicht psychisch gestört. Marilyn Monroe soll gestottert haben, Winston Churchill und Charles Darwin ebenfalls, wie auch Rowan Atkinson alias Mr. Bean. Bruce Willis wäre wohl ohne Stottern nie zum Film gekommen. Denn nur auf der Bühne konnte er reden, ohne zu stocken.

Etwa jeder hundertste Mensch stottert, mehr Männer als Frauen. Über die Ursachen wissen Forscher noch relativ wenig. Stotternde Menschen haben im Vergleich zu Menschen, die nicht stottern, etwa dreimal so oft stotternde Verwandte. Vermutlich geben also Eltern die Veranlagung an ihre Kinder weiter. Während kleine Kinder bis zu Pubertät häufig wieder völlig flüssig reden, können Erwachsene zwar phasenweise ihr Stottern überwinden, müssen aber immer wieder mit Rückfällen rechnen.

Einige Stotterer meiden die Öffentlichkeit, meiden Worte, die sie nicht aussprechen können. Andere zieht es trotz Handicap an den Ort, wo gutes Ausdrucksvermögen besonders geschätzt wird: an die Universität.

"Dann hängt es. Das dauert. Das dauert ewig" - Josephine, Matthias und Eva erzählen über ihre Nöte im Studium

Josephine Wolters, 21: "Mein erstes Referat war der Horror"

Josephine Wolters studiert in Halle Körper- und Geistigbehindertenpädagogik

Josephine Wolters studiert in Halle Körper- und Geistigbehindertenpädagogik

Foto: Pia-Sophie  Pfingsten

"In der Schule hat mir schon so manch ein Lehrer gesagt, dass ich das Abitur nicht schaffe. Das ist typisch, viele denken: Wer stottert, ist dumm. Ich habe das Abi trotzdem geschafft und auch sofort einen Studienplatz an der Universität bekommen.

Ich stottere, seit ich sprechen kann. Beim Stottern stehe ich ständig körperlich unter Druck. Es ist, als ob dir jemand die Luft abschnürt. Auch der Brustkorb steht unter Druck. Das strengt sehr an.

Lehrerin wollte ich schon als Kind werden. Mit fünf Jahren stand ich zu Hause vor meiner eigenen Tafel und habe Lehrerin gespielt. Letztlich haben meine Eltern mich ermutigt zu studieren. Früher hätte ich es mir eigentlich nicht zugetraut. Ich weiß, dass man von einer zukünftigen Lehrerin auf keinen Fall erwartet, dass sie stottert.

Früher bin ich nach der Schule oft zu Hause zusammengebrochen und habe gesagt: 'Ich schaff' das nicht! Ich kann das nicht!' Heute habe ich mein Stottern akzeptiert und bin viel selbstbewusster, auch wenn mein erstes Referat der Horror war.

Viele Studierende wirkten total geschockt

Ich habe vorher meiner Dozentin gesagt, dass ich stottere, aber ich glaube, sie hatte nicht realisiert, was es bedeutet. Ich stand dann im Seminar und gesagt habe: 'Hi, ich bin Josephine Wolters, und ich stottere.' Viele Studierende, auch die Dozentin, wirkten total geschockt. Das war hart für mich. Am Anfang wäre ich am liebsten heulend aus dem Raum gerannt, mittlerweile macht es mir sogar Spaß, mich dorthin zu stellen und los zu sprechen. Vielleicht kann ich meine Kommilitonen auch etwas sensibilisieren, schließlich können sie später auch solche Schülerinnen und Schüler wie mich haben.

Einmal hat eine Dozentin zu mir gesagt: 'Aha, sie wollen Lehrerin werden. Das klappt nicht.' Als ich ihr sagte, dass ich Lehrerin für körperlich und geistig beeinträchtige Schülerinnen und Schüler werden möchte, sagte sie: 'Ach so, na dann ist es ja ausreichend.'

Was soll das heißen? Dass ich minderwertig bin, weil ich stottere? Dass ich aber für Schülerinnen und Schüler ausreiche, die wohl eh weniger Zukunftschancen haben? Mit dieser Aussage hat sie nicht nur mich verletzt, sondern auch alle Schülerinnen und Schüler an der Förderschule. Das fand ich so schlimm. Umso mehr freue ich mich, dass es auch ganz andere Dozenten gibt, die mich unterstützen.

Mein Schulpraktikum war toll. Ich hatte natürlich Angst, dass ich versage. Aber ich hatte das Gefühl, einen guten Draht zu den Schülern zu bekommen. Und ich habe kaum gestottert, das haben auch andere bemerkt. Das hat mich total ermutigt weiterzumachen. Ich denke, gerade für benachteiligte Schülerinnen und Schüler ist es gut, wenn sie eine Lehrerin erleben, die auch ein Handicap hat. Sie denken dann vielleicht: Boah, die hat es auch zu was gebracht."

Matthias, 26: "Referate habe ich 25 Mal geübt"

Matthias hat Chemie studiert und arbeitet jetzt in einer kleinen Firma als Diplom-Ingenieur

Matthias hat Chemie studiert und arbeitet jetzt in einer kleinen Firma als Diplom-Ingenieur

"Ich stehe heute noch nicht richtig dazu, dass ich stottere. In meiner Firma weiß es nur mein Chef. Wenn jemand weiß, dass ich stottere, dann falle ich eher in die Symptomatik zurück. In der Firma arbeite ich jetzt seit einem Jahr, und ich habe seitdem kaum noch gestottert. Vielleicht liegt es daran, dass ich viel Selbstvertrauen gewonnen habe, weil ich das Studium abgeschlossen habe und weil ich mich in der Firma sehr wohl fühle. Ich leide aber heute noch mit, wenn ich einen Stotterer höre, weil ich weiß, wie schwierig es ist.

Früher haben die negativen Phasen überwogen. In der Realschule ist mir das Stottern erst richtig bewusst geworden. In der Schule habe ich mich nie zum Klassensprecher wählen lassen, ich habe nie irgendetwas gemacht, wo ich öffentlich reden musste.

Ganz schlimm war es im Englischunterricht. Es gibt Stotterer, die stottern in der Fremdsprache gar nicht. Bei mir verstärkt es sich noch. Ich hatte immer Schiss, dass ich etwas vorlesen muss. Ich saß da und hatte ständig Angst, von der Lehrerin drangenommen zu werden. Immer habe ich irgendwas gemacht, beschäftigt getan. Irgendwann erwischte sie mich doch. Und dann hing ich da.

Mein Körper macht, was er will

Ich wollte mich immer verstecken. Ich habe einen Hang zum Perfektionismus, das Stottern passt da nicht rein. Stottern sehe ich heute noch als eine Art Behinderung. Jeder, egal wie blöd oder intelligent er ist, kann etwas vorlesen und normal reden. Aber ich kann nichts dagegen machen. Ich kann mich so gut wie möglich konzentrieren, aber eigentlich macht mein Körper, was er will. Ich bin ihm ausgeliefert.

Viele Leute wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Negative Erfahrungen habe ich aber noch nie so richtig gemacht, ich war auch nie ein Außenseiter. Manchmal bin ich froh, wenn die Leute mir helfen. Manchmal ist es aber auch blöd, wenn sie reinreden, weil sie denken, sie wissen, was ich sagen will. Ich will aber etwas ganz anderes sagen, dann muss ich sie unterbrechen und wieder von vorn anfangen. Am meisten stört es mich, wenn mich die Leute so mitleidig anglotzen. So: Ach, der kleine Stotterer.

Referate und Vorträge habe ich immer so 25 Mal geübt. Danach habe ich sie Kollegen vorgetragen, und es hat immer wunderbar geklappt. Nur wenn es drauf ankam, hat es nicht funktioniert. Das untergräbt einem ein bisschen das Selbstbewusstsein. Manchmal habe ich bei einem Referat zwei Minuten gebraucht, um meinen eigenen Namen rauszubekommen. Danach hatte ich nur noch wenig Zeit für den ganzen Stoff.

Bei Referaten ist es so, als würde ich mich aus einer anderen Perspektive sehen. Ich nehme die Leute gar nicht mehr wahr. Ich fühle mich wie außerhalb meines Körpers. Vielleicht ziehe ich mich zurück, damit ich mich nicht so wahrnehme. Manchmal waren es auch einfache Meldungen im Seminar, die ich nicht rausbekommen habe. Meist habe ich es trotzdem durchgezogen. Sonst hätte ich ja komplett verloren.

Ich habe im Gefühl, ob ich stottern werde oder nicht. Das ist ein inneres Gefühl, das ich mit der Zeit entwickelt habe. Aber ich versuche, mir nicht mehr so viele Gedanken zu machen. Das hilft."

Eva, 25, Architekturstudentin: "Ich stottere nicht, wenn ich auf dem Kopf stehe"

"Na, dir zeig ich's jetzt" - Eva packte der Ehrgeiz

"Na, dir zeig ich's jetzt" - Eva packte der Ehrgeiz

Foto: Corbis

"Das Problem begann in der Pubertät. Da habe ich bemerkt, wie manche komisch gucken, wenn ich rede. Andere hingegen haben weggeschaut, weil es ihnen unangenehm war. Ich habe mich immer mehr zurückgezogen. Erst im Studium bin ich wieder selbstbewusster geworden. Und dabei wollte ich eigentlich nie studieren.

Doch der Typ in der Berufsberatung war der unsympathischste Mensch, der mir je begegnet ist. Er sagte mir, ich sei nicht vermittelbar und sollte einen Behindertenausweis beantragen. Nur weil ich stottere. Damit hat er mich heimgeschickt, und mich hat der Ehrgeiz gepackt. 'Na, dir zeig ich's jetzt', habe ich gedacht und schließlich angefangen, Architektur zu studieren.

Im Architekturstudium haben wir zum Glück nur sehr wenig mündliche Prüfungen. Stattdessen müssen wir alle paar Wochen einen Entwurf präsentieren. Meine eigenen Entwürfe kenne ich natürlich in- und auswendig. Irgendwann bekam ich einfach Übung und Routine, wobei es zu Beginn schon schwer war. Heute überlege ich mir vorher nicht einmal mehr genau, was ich sage, sondern erläutere meinen Entwurf aus dem Stegreif, sobald ich dran bin. Es klappt heute viel besser, wodurch ich natürlich selbstbewusster werde. Ich fühle mich sicherer und stottere deswegen weniger.

Dann hängt es. Das dauert. Das dauert ewig.

Wenn ich aber ein Referat halten müsste, dann ginge nichts mehr. Dann hängt's. Das dauert. Das dauert ewig. Deswegen überlege ich mir aufgrund der begrenzten Zeit, die zur Verfügung steht, mit meinen Übungsleitern immer eine Lösung. Einmal habe ich ein Referat komplett ausformuliert, und eine Kommilitonin hat es für mich vorgelesen. Ein andermal habe ich nur die Einleitung gesprochen, und eine Kommilitonin hat den Rest übernommen.

Wenn ich länger rede, lässt irgendwann die Konzentration nach. Ich denke dann nicht mehr an meine Technik, sondern wieder an die Wörter und Buchstaben. Und wenn ich denke, da kommt jetzt der und der Buchstabe, an dem ich immer hängen bleibe, dann bleibe ich natürlich auch hängen.

Ich stottere fast gar nicht, wenn ich lese. Witzigerweise stottere ich - wie viele Stotterer - auch nicht, wenn ich mir die Nase oder die Ohren zuhalte oder einen Kopfstand mache.

Ich hatte sowohl im Studium als auch in der Schule nie Probleme wegen des Stotterns und wurde auch nie gehänselt. Einige Lehrer und Professoren haben mich sogar angesprochen und wollten mehr darüber wissen. Einer hat mir auch gesagt, dass er einen Stotterer in seinem Büro angestellt hat, was mich natürlich sehr gefreut hat.

Wenn ich weiß, wie mein Gegenüber über das Stottern denkt, dann bin ich viel entspannter. Wenn ich weiß, ihn stört es nicht, dann passt es einfach."

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