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Internet-Regulierung EU-Parlament stimmt über Web-Kontrolle ab

Raubkopiesperren, Datenschutz, mobiles Internet auf Fernsehfrequenzen: EU-Abgeordnete entscheiden am Mittwoch, wie die Europäische Union das Web regulieren könnte. SPIEGEL ONLINE erklärt die wichtigsten Themenblöcke.

Als Taschenbuch gedruckt würde es die geplante EU-Richtlinie zum Telekommunikationsmarkt mit allen Änderungsanträgen auf gut 300 Seiten bringen. Allerdings dürfte fast jedes Taschenbuch leichter zu lesen sein als dieser verschachtelte Gesetzestext.

Selbst Experten haben Probleme, den Inhalt der gut 560.000 Zeichen zu überblicken. In dieser Textwüste, über die das EU-Parlament am Mittwoch abstimmt, sind einige brisante Passagen versteckt. Kommen die durchs Parlament, könnte das Internet für EU-Bürger in einigen Jahren ganz anders aussehen als bisher.

Urheberrecht, Breitbandversorgung auf dem Land und Datenschutz - SPIEGEL ONLINE analysiert, wo das EU-Parlament das Web regulieren kann.

Raubkopiekontrollen und rechtmäßige Inhalte

So finden sich in den Änderungsanträgen zu den Gesetzesvorschlägen an einigen Stellen Formulierungen, die zur Basis einer stärkeren Filterung von Internet-Inhalten dienen könnten: In einigen Änderungsanträgen zur Universaldienstrichtlinie steht immer wieder die Formulierung "rechtmäßige Inhalte". Alle für die Internet-Nutzung formulierten Rechte sollen nur beim Abrufen und Verbreiten dieser "rechtmäßigen Inhalte" gelten.

Diese Unterscheidung der von Providern übermittelten Inhalte sehen Bürgerrechtler kritisch. Markus Beckedahl, Gründer des Blogs Netzpolitik  erklärt SPIEGEL ONLINE: "Bisher gab es eine strikte Trennung, dass EU-Telekommunikationsgesetzgebung nur Infrastrukturfragen regelt und keine Inhalte."

Anlassunabhängige Internet-K ontrolle

Sollte dieser Änderungsantrag Gesetz werden, sieht Beckedahl Internet-Provider in einer neuen Rolle: "Wie soll ein Provider feststellen, was rechtmäßige Inhalte sind? Um dies feststellen zu können, ist ein Eingriff in die Privatsphäre der Internet-Nutzer nötig."

Eine solche generelle, anlassunabhängige Kontrolle setzt ein anderer Änderungsantrag voraus, in dem empfohlen wird, Internetnutzer bei Urheberrechtsverstößen (zum Beispiel durch die Verbreitung urheberrechtlich geschützter Dateien über Peer-to-Peer-Netze) zu warnen. Europäische Datenschutzbeauftragte warnen die EU-Abgeordneten davor, solche Regelungen zu billigen.

Warum eine generelle Datenkontrolle problematisch ist, begründet Marit Hansen, stellvertretende Leiterin des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz in Schleswig-Holstein so: "Wer jederzeit damit rechnen muss, dass sein Verhalten analysiert wird, handelt nicht mehr frei."

Wie das EU-Parlament hier entscheidet, ist nicht abzusehen. Die EU-Abgeordnete Erika Mann (SPD), Mitglied im Industrieausschuss, erklärt: "Gerade zu diesen Urheberrechtsfragen sind sehr viele Änderungsanträge kurzfristig eingereicht worden. Die Lage ist unübersichtlich, ganz wird man dieses Thema aber nicht aus der Richtlinie verbannen können."

Mann hofft aber, mit einem Kompromiss eine generelle Vorabkontrolle abwenden zu können: "Möglich könnte es sein, dass die Provider allgemein, ohne Kontrolle des Datenverkehrs ihre Kunden über die Folgen von Urheberrechtsverletzungen informieren."

Vorratsdatenspeicherung und IP-Adressen

Der europäische Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx hat einige Änderungsanträge des Telekompakets in einer Stellungnahme Anfang September kritisiert : Ein Antrag formuliert, dass sogenannte Internet-Protokoll-Adressen in Zukunft nicht mehr per se als sogenannte personenbezogene und damit besonders schützenswerte Daten gelten sollen.

Über IP-Adressen lässt sich anhand der Datenbanken von Internet-Providern zuordnen, wann jemand von einem bestimmten Internet-Anschluss auf welche Internetdienste zugegriffen hat.

Datenschützerin Marit Hansen vom ULD kritisiert diesen Antrag scharf: "Heute werden über IP-Adressen regelmäßig Personen ermittelt und mit Konsequenzen konfrontiert - sowohl im Bereich der Strafverfolgung als auch beim zunehmenden One-to-One-Marketing."

Datenschützer: "Hier wirkt Lobbyarbeit"

Dass nun ein Vorschlag im Raum steht, IP-Adressen als nicht personenbezogen zu definieren, zeugt Hansen zufolge "allenfalls von der Anfälligkeit des EU-Prozesse für Lobbyarbeit etwa aus der Werbebranche", mit der Realität habe das "nichts zu tun".

Als problematisch stufen Datenschützer auch einen Änderungsantrag ein, der eine sehr ausgiebige Vorratsdatenspeicherung ermöglicht.

Dem Vorschlag nach dürfen EU-Mitgliedstaaten Internet-Provider dazu verpflichten, über eine "begrenzte Zeit" Protokolle zu speichern, wer welche Internet-Dienste wann genutzt hat, wenn das der Landesverteidigung, öffentlichen Sicherheit, Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten oder "des unzulässigen Gebrauchs von elektronischen Kommunikationssystemen" oder dem "Schutz der Rechte und Freiheiten anderer Personen" dient und verhältnismäßig ist.

Informationspflichten bei Datenschutzpannen

Datenschützer loben einen Gesetzesentwurf, der Unternehmen zu konkreten Datenschutzplänen verpflichten soll. Vorgesehen sind in dem entsprechenden Änderungsantrag die Pflichtmaßnahmen:

  • Geeignete technische und organisatorische Maßnahmen, um sicherzustellen, dass nur ermächtigte Personen für rechtlich zulässige Zwecke Zugang zu personenbezogenen Daten erhalten
  • Verfahren zur Ermittlung und Bewertung der nach vernünftigem Ermessen vorhersehbaren Schwachstellen
  • Verfahren zur Einleitung vorbeugender, korrektiver und schadensbegrenzender Maßnahmen

"Das geht in die richtige Richtung", urteilt Datenschützerin Marit Hansen vom ULD, bemängelt aber, dass der Gesetzesvorschlag vorsieht, dass von Datenschutzpannen Betroffene nur "bei gravierenden Verletzungen der Datensicherheit" informiert werden müssen.

Funk-Internet für Schmalbandregionen

In gut 2200 deutschen Gemeinden gibt es keinen DSL-Zugang, kein Breitband-Internet und somit keine moderne Infrastruktur. Das Verlegen neuer Kabel ist Telekommunikationsfirmen dort zu teuer, daher hoffen viele Betroffene auf das Funk-Internet. Denn die Umstellung von analogem Antennenfernsehen auf digital terrestrische Übertragung (DVB-T) spart Platz im Fernsehwellenspektrum. Wo früher ein analoger TV-Kanal hinpasste, ist jetzt Raum für bis zu vier digitale Kanäle.

Die frei werdenden Fernsehfrequenzen wären technisch ideale Kandidaten, um drahtlose Internet-Verbindungen aufs flache Land zu bringen.

Das Problem: Rundfunkanbieter wollen die Frequenzen nicht einfach so hergeben. Die EU-Kommission hat sich sehr stark dafür gemacht, diese Frequenzen für Datenverbindungen freizumachen. Ob dieser Vorschlag es durchs EU-Parlament schafft, daran zweifeln Experten.

Alexander Roßnagel, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Europäisches Medienrecht (EMR) beschreibt SPIEGEL ONLINE die Konfliktlinien so: "Die EU-Kommission will die analogen Rundfunkfrequenzen wie ein Wirtschaftsgut zum Handel freigeben, im Parlament stehen nun verschiedene Anträge zur Abstimmung. Der ursprüngliche Text räumt dem Rundfunk eine bevorzugte Rolle ein, aber hier gibt es Änderungsanträge gegen diese Sonderbehandlung." Auch wenn das Parlament hier nicht endgültig entscheidet, nennt Roßnagel die Abstimmung ein "wichtiges Signal".

Denn letzten Endes müssen Parlament und Rat sich einigen. Es ist aber durchaus möglich, dass die EU-Parlamentarier einem Antrag zustimmen, über die Aufteilung der sogenannten digitalen Dividende erst 2010 zu entscheiden.