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Frauen als Selbstmordattentäterinnen: Der Körper als Waffe

Foto: STRINGER/ REUTERS

Selbstmordattentäterinnen Verzweifelt, tödlich

Arin Mirkan hat sich in die Luft gesprengt - und IS-Kämpfer mit in den Tod gerissen. Die junge Frau starb, um ihre Heimat Kobane gegen die Islamisten zu verteidigen. Sie folgt einer langen Reihe von Selbstmordattentäterinnen.

Die Frau mit dem langen schwarzen Haar und dem offenen Lächeln ist das Gesicht des Widerstands von Kobane geworden. Es ist das Gesicht von Arin Mirkan. Sie hat sich am Sonntag vor den Toren der Stadt neben einer Stellung des "Islamischen Staats" in die Luft gesprengt. Nach Angaben der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), die den Kampf gegen den Ansturm der Dschihadisten koordinieren, soll sie angeblich Dutzende IS-Milizionäre getötet haben.

"Der Wille und die Entschlossenheit von Genossin Arin werden die Herzen all unserer Kämpfer beseelen", schreiben die YPG in einer Erklärung. "Wenn es sein muss, werden alle unsere Kämpfer wie Genossin Arin und sie werden nicht zulassen, dass die Söldner ihre Ziele erreichen - koste es, was es wolle." Nach kurdischen Angaben soll die Attentäterin zwei Kinder zurückgelassen haben.

Die YPG sind eine marxistisch-leninistische Guerrillagruppe. Arin Mirkan war nicht religiös und träumte keinesfalls von einem besseren Leben im Paradies. Ihr einziges Ziel war es, ihren Heimatort Kobane vor den anrückenden Dschihadisten zu verteidigen.

Die ersten Selbstmordattentäterinnen waren nicht religiös

Damit ähnelt sie der Frau, die sich vor knapp 30 Jahren als erste Selbstmordattentäterin im Nahen Osten in die Luft sprengte. Sanaa Mehaidli war 16 Jahre alt, als sie im April 1985 mit ihrem Peugeot im Südlibanon in einen israelischen Militärkonvoi raste und einen Sprengsatz zündete. Zwei Soldaten wurden getötet. Sie wolle ihre Heimat von den Besatzern befreien, sagte die junge Frau in einer Videobotschaft, die sie vor dem Attentat aufnahm.

Auch Mehaidli war keine religiöse Fanatikerin. Die griechisch-orthodoxe Christin hatte sich der Syrischen Sozial-Nationalistischen Partei (SSNP) angeschlossen, einer rechtsextremen, aber säkularen Bewegung, die sich am Widerstand gegen die israelischen Besatzer im Südlibanon beteiligt hatte. Von SSNP-Unterstützern wird Mehaidli für ihre Tat bis heute als "Braut des Südens" verherrlicht.

Lange Zeit waren es fast ausschließlich säkulare Gruppen, die Frauen für Selbstmordattentate rekrutierten. Die SSNP setzte nach Mehaidli noch mehrfach weibliche Anhänger für Angriffe gegen Israelis und deren Kollaborateure ein. In den neunziger Jahren begann die kurdische Arbeiterpartei PKK damit, die türkischen Sicherheitskräfte mit Selbstmordattentäterinnen anzugreifen. Mehrfach tarnten sich die Angreiferinnen als Schwangere, um keinen Verdacht zu erregen.

Ab 2002 folgten militante palästinensische Gruppen dem Beispiel und fingen an, Frauen mit Sprengsätzen in israelische Städte zu schicken. Innerhalb weniger Monate sprengten sich vier Attentäterinnen in Einkaufsstraßen und an Bushaltestellen in die Luft. Sie handelten im Auftrag der Aksa-Brigaden, der wichtigsten Untergrundgruppe der Fatah-Bewegung von Jassir Arafat. Anders als Arin Mirkan in Kobane ermordeten sie jedoch unbeteiligte Zivilisten, die einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren.

Welche Belohnung wartet im Jenseits?

Zwei Jahre später ging auch die islamistische Hamas dazu über, Selbstmordattentäterinnen einzusetzen. Im Januar 2004 tötete Rim al-Rijaschi vier Israelis am Grenzübergang Erez zum Gazastreifen. Sie hinterließ zwei Kleinkinder und einen Ehemann, der nichts von ihren Plänen gewusst hatte.

Die militanten Islamisten folgten dabei einem kühlen taktischen Kalkül: "Das ist eine neue Entwicklung im Widerstand gegen den Feind", erklärte Hamas-Gründer Ahmed Jassin nach dem Angriff. Männliche Attentäter würden bei ihren Missionen auf immer "größere Hürden" stoßen. Frauen seien hingegen weniger verdächtig, argumentierte Jassin.

In den Jahren nach dem Jahrtausendwechsel begannen islamistische Rebellen aus Tschetschenien damit, Frauen als Selbstmordattentäterinnen einzusetzen. Die Angreiferinnen wurden bald "Schwarze Witwen" genannt. Die ersten Attentäterinnen waren tatsächlich Ehefrauen von getöteten Kämpfern. Später schickten die tschetschenischen Separatisten aber auch Frauen in den Tod, die offenbar ahnungslos waren. Unter anderem drückten sie einem 15-jährigen Mädchen eine Sporttasche in die Hand. Sie ahnte nicht, dass darin eine Bombe lag, die bald darauf ferngezündet wurde.

Als sich die ersten muslimischen Selbstmordattentäterinnen in die Luft sprengten, musste eine wichtige Frage geklärt werden: Welche Belohnung erwartet die Frauen im Paradies? Nach gängiger Lehrmeinung kann sich ein männlicher Märtyrer im Jenseits mit 72 Jungfrauen vergnügen. Hingegen trifft der Koran keine Aussage darüber, wie Märtyrerinnen im Paradies belohnt werden. Einige frühislamische Gelehrte sagten, dass Frauen im Paradies wieder mit ihrem Ehemann vereint würden. Unverheiratete könnten sich sogar einen Partner aussuchen.