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Barack Obamas Blitzkarriere Mr. Change

Vom Niemand zum Präsidenten binnen vier Jahren - was Barack Obama geschafft hat, macht ihn schon vor seinem Amtsantritt zu einer historischen Person. Er ist der Aufsteiger 2008: weil er die Welt lehrte, den amerikanischen Traum neu zu denken.
Künftiger US-Präsident Obama: Steiler Aufstieg aus der Provinz

Künftiger US-Präsident Obama: Steiler Aufstieg aus der Provinz

Foto: Morry Gash/ AP

Washington - Barack Obama wird am 20. Januar 2009 als erster Afroamerikaner ins Weiße Haus einziehen. Jenes Gebäude also, das einst noch Sklaven erbauen halfen. Schwarze Eltern erzählen ihren Kindern heute, und das ist sein Verdienst, dass sie jeden Job haben können in den USA, wenn sie nur wollen.

Obama - die neue Galionsfigur des amerikanischen Traums.

Sein Aufstieg ist fast auf den Tag genau die Geschichte dieses vergangenen Jahres.

Er beginnt im klirrend kalten Iowa am Vorabend der ersten wichtigen Vorwahl im US-Präsidentschaftswahlkampf - und zwar im Lager der Gegnerin. Hillary Clinton. Damals ist sie noch haushoch Favoritin bei den Demokraten, hat ihre Anhänger am 2. Januar zur Abschlussveranstaltung in ein Museum in Des Moines geladen. Verstaubte Ausstellungsstücke am Rand des Saals, und auch die Bühne wirkt wie ein Politik-Museum: Madeleine Albright, greise Ex-Außenministerin, winkt eifrig, daneben Ex-Präsident Bill Clinton, Ex-General Wesley Clark. Die Regierungsveteranen rahmen Kandidatin Hillary ein. Alles soll schon ganz präsidial wirken, als ob die Schlüssel zum Weißen Haus einfach weitergereicht werden.

Doch Clinton und Co. sehen aus wie die Neunziger, sie reden wie in den Neunzigern. Und schlagartig wird dem Betrachter klar: So viel Energie wie bei Obamas Veranstaltungen herrscht hier nicht - wo die Leute "Yes, we can" schreien und HipHop-Musik dröhnt. Einen Tag später wird Favoritin Clinton bloß Dritte, Obama Erster. Der strahlende Sieger hält eine dieser Reden, bei denen die Zuhörer im Saal Gänsehaut bekommen. "Sie haben gesagt, dieser Tag werde nie kommen", heißt der erste Satz.

Obama triumphiert in Iowa. Die Begeisterung um ihn entpuppt sich nicht als kurzes Wintermärchen - wie vier Jahre vorher die Bewerbung von Kriegsgegner Howard Dean. Für den rannten zwar auch Brigaden bemützter Jugendlicher durch den Schnee Iowas, doch sie brachten einfach nicht genug Wähler zur wirklichen Abstimmung. Obamas Kampagne hingegen erweist sich spätestens jetzt als jene mächtige Politikmaschine, die nur den Clintons zugetraut worden war.

Das Prinzip des jungen Kandidaten: ein Neuanfang, ein Wechsel, kurz "Change" - gepaart mit jeder Menge Geld und Organisation.

Rasch beginnt das Internet zu einem gigantischen Spenden-Geldautomaten für Obama zu werden. Seine Strategen kalkulieren weit besser als das Team Hillary, welche Bundesstaaten es zu bestreiten gilt. Doch Clinton ist eine zähe Gegnerin: Die beiden Demokraten ringen über Monate miteinander - mit harten Bandagen. Clinton spottet über Obamas fehlende Erfahrung und dessen angeblich leere Rhetorik. Doch der Novize macht weniger Fehler als die Veteranin, er hat seine Truppen besser im Griff. Und er bleibt unerbittlich positiv. Im Juni lädt er Clinton nach deren Aufgabe souverän lächelnd zur Versöhnungsveranstaltung in einem Örtchen mit dem schönen Namen "Unity", Eintracht.

Denn Obama weiß: Der epische Vorwahlkampf hat ihn stärker gemacht. Er musste debattieren lernen, die ersten Skandale um kontroverse Ex-Pastoren und Kontakte zu Ex-Terroristen überstehen. Das hilft im Hauptwahlkampf gegen den Republikaner John McCain.

Der hat sich in seiner eigenen Partei gerade so zur Nominierung geschleppt. Die religiöse Rechte, die George W. Bush zweimal ins Weiße Haus trug, misstraut ihm. Moderate Republikaner haben den Senat-Veteranen zwar in den Vorwahlen unterstützt, liebäugeln aber auch mit Obama.

McCain will um beide Lager buhlen und verzettelt sich heillos. Er beruft Sarah Palin als Vize, die erzkonservative Republikaner begeistert, aber sonst vor allem ein Geschenk für die US-Komiker ist. Der einst so spontane Politikprofi McCain lässt sich von seinen Beratern fast zum Politik-Roboter ummodeln. So sehr, dass die Zeitungen schreiben: Wo ist der alte McCain? Obama hingegen macht kaum Fehler und bleibt ein politisches Glückskind: Rund einen Monat vor dem Wahlgang bricht die Finanzkrise aus.

McCain reagiert mit sprunghaftem Aktionismus, sein Rivale bleibt gelassen, fast kühl. Unter anderen Umständen wäre Obamas Haltung womöglich als Mangel an Leidenschaft vorgehalten worden wie früheren intellektuellen Kandidaten der Demokraten. Doch nach acht Jahren Bush-Anti-Intellektualismus scheinen sich die Amerikaner nach Reflektion zu sehnen. Am Ende siegt Obama so deutlich, dass auf McCains Wahlnacht-Party Berater und Anhänger schon am frühen Abend in der Hotellobby zu trinken beginnen.

Die Bush-Krisen werden schon bald zu Obama-Krisen

Nebenbei katapultiert sich der Aufsteiger des Jahres nicht einfach nur an die Spitze der USA. "Der Welt-Präsident" nennt ihn der SPIEGEL in der Woche nach der Wahl. Das Ausland hat an dieser Abstimmung Anteil genommen wie an wohl keiner US-Wahl zuvor. Deutsche Familien debattieren beim Abendessen, wie viele Superdelegierte Florida stellt und weshalb Ohio im Auge zu behalten ist. Ausdruck des ersten echten Internet-Wahlkampfs, in dem Blogs und Websites alle Landesgrenzen überschreiten. Aber auch Symbol einer tiefen Sehnsucht nach einem Neuanfang im transatlantischen Verhältnis. In deutschen Umfragen bekommt Obama 85 Prozent der Stimmen.

Doch das ist im US-Wahlkampf nach wie vor eher ein Handicap: Die Bilder von Obamas Berlin-Besuch, aufwendig in Szene gesetzt für schöne Werbebilder, tauchen schließlich nur in hämischen Spots des McCain-Lagers auf. Noch immer scheint es für US-Wahlkämpfer von Nachteil, beliebt im Ausland zu sein, gerade in Europa. Obama-Berater sagen besorgt vor dessen Rede an der Siegessäule: Er wird Präsident der USA sein, nicht der Welt.

Die ersten Linken grummeln schon

Ist das ein Vorgeschmack auf die Entzauberung des Barack Obama? Es ist in Transatlantikrunden schick geworden, an seinem Mythos zu kratzen. Wird auch der Demokrat martialisch Terroristen jagen, Bürger abhören, mehr deutsche Truppen in Afghanistan fordern? Und so die weltweite Begeisterung rasch verfliegen lassen? In den USA grummeln bereits die ersten Linken über seine moderaten Kabinettsernennungen. Manche Beobachter warnen, angesichts des Ausmaßes der Krise könne es für Obama nur noch bergab gehen.

Völlig kalt scheint das den Hoffnungsträger nicht zu lassen. Obamas Rede am Abend seines historischen Sieges ist zurückgenommen, fast nüchtern - als sei dem Hoffnungsträger auf einmal der ganze Ballast der Erwartungen klargeworden. Seine Berater wissen, dass die Bush-Krisen bald Obama-Krisen sein werden: Finanzkrise, Autokrise, Irak, Iran, Afghanistan, Nordkorea, Pakistan. Welch eine Liste!

2004 kannte ihn kaum jemand - den Lokalpolitiker aus Chicago mit dem seltsamen Namen Barack Hussein Obama. 2008 hat er alle Stufen der Karriereleiter auf einmal genommen. Zu seiner Amtseinführung werden an die vier Millionen Menschen nach Washington kommen, zur weltgrößten Party, und rund um den Globus sind Freudenfeste geplant. All das ist bereits ein Zeichen des Wandels, den er versprochen hat - ganz egal, wie es weitergeht für diesen Präsidenten.

Das kann Amerika niemand mehr nehmen, und dem Rest der Welt auch nicht.