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Abgewählter CSU-Politiker "Andere setzen sich unter 'ne Palme"

Vier Jahrzehnte lang machte Bernd Posselt Europapolitik, dann flog er aus dem EU-Parlament. Doch der CSU-Mann geht weiter zu Sitzungen und Besprechungen - ohne Mandat. Warum?
CSU-Politiker Posselt: Gekommen, um zu bleiben

CSU-Politiker Posselt: Gekommen, um zu bleiben

Foto: Andreas Gebert/ dpa

Für abgewählte Politiker gilt in Deutschland seit einigen Jahren offenbar ein ungeschriebenes Gesetz: Nach der Wahlniederlage folgt der traurige Absturz ins Nichts oder der umstrittene Wechsel in die Wirtschaft. Bernd Posselt hat diesen Mechanismus durchbrochen - nicht ganz freiwillig, aber mit äußerster Konsequenz: Trotz seiner Abwahl als Europaabgeordneter geht der CSU-Politiker im EU-Parlament weiter ein und aus.

Die Posselt-Posse, die der "Münchner Merkur" zuerst erzählt hat , begann im Mai 2014. Bei der Europawahl stürzten die Christsozialen in Bayern auf 40,5 Prozent ab und verloren einen ihrer sechs Sitze im Parlament. Es war der Sessel, auf dem Bernd Posselt zwei Jahrzehnte lang gesessen hatte. Ausgerechnet er, der seit 1979 im Parlament arbeitete, sollte aufhören.

Der 59-jährige Posselt gilt als gesellig und engagiert, allerdings nicht gerade als angepasster Parteisoldat. Er opponierte gegen die Kanzlerin und seinen Parteikollegen Peter Gauweiler, er inszenierte sich auf streitbaren Selfies und gehörte zu den Deutschen, denen Russlands Staatschef Putin in der Ukraine-Krise die Einreise verweigerte.

In Straßburg verweigerte sich Posselt, der im CSU-Vorstand sitzt, hingegen der dauerhaften Abreise. Hier sagt er, warum:

SPIEGEL ONLINE: Herr Posselt, was machen Sie eigentlich noch im EU-Parlament?

Bernd Posselt: Jeder ehemalige Abgeordnete hat das Recht, das Parlament zu betreten und sich dort mit Leuten zu treffen. Was bei mir das Besondere ist: Ich fahre mit dem Zug zu jeder Plenarsitzung in Straßburg, wo ich dann eine Woche pro Monat bleibe.

SPIEGEL ONLINE: Dabei haben Sie schon vor einem Jahr Ihr Mandat verloren.

Posselt: Ja, aber die europäische Einigung ist viel zu wichtig, um sie nur Berufspolitikern zu überlassen. Außerdem fahre ich auch als gelernter Journalist und als Präsident der Paneuropa-Union Deutschland nach Straßburg. Ich muss mich ja auf dem Laufenden halten.

SPIEGEL ONLINE: Wo arbeiten Sie dort, so ganz ohne Abgeordnetenbüro?

Posselt: Es gibt eine Organisation ehemaliger Abgeordneter , die in Straßburg ein Zimmerchen für ihre Mitglieder bereitstellt. Da gibt's zwei Schreibtische, zwei Telefone - und wenn beide Plätze besetzt sind, dann komm ich halt später wieder oder setze mich draußen auf den Gang. Das geht alles irgendwie.

SPIEGEL ONLINE: Sie arbeiten schon seit den Siebzigern für die EU. Haben Sie nicht Lust auf eine Pause?

Posselt: Nein, Europa ist für mich eine Lebensaufgabe. Ich bin außerdem erster Nachrücker der CSU für das Europaparlament und habe vor, bei der nächsten Wahl wieder zu kandidieren. Andere fahren nach Mallorca und setzen sich unter eine Palme, ich fahre eben auf eigene Kosten ins EU-Parlament. Dort bin ich quasi der erste ehrenamtliche Abgeordnete in Europa und kann frei entscheiden, was ich machen möchte. Als ordentlicher Abgeordneter müsste ich an bestimmten Sitzungen teilnehmen - jetzt kann ich mir selbst aussuchen, was mich interessiert. Das ist für mich eine neue Erfahrung.

SPIEGEL ONLINE: Warum wollen Sie sich dann überhaupt wiederwählen lassen?

Posselt: Naja, weil man als Abgeordneter viel mehr gestalten kann. Es ist natürlich schwieriger, Kollegen davon zu überzeugen, für eine gewisse Sache einzustehen, als es einfach selbst zu machen. Offengestanden ist es für mich auch schwer, dass ich im Plenum nicht mehr das Wort ergreifen darf: Ich glaube, dass ich als Redner viele Leute überzeugen kann.

SPIEGEL ONLINE: Welche Gremien besuchen Sie noch?

Posselt: Ziemlich viele. Ich gehe beispielsweise zu Sitzungen meiner Fraktion, zu interfraktionellen Arbeitsgruppen - und wenn da mein Rat als Experte für Außenpolitik gefragt ist, bringe ich mich gerne ein. Bei den Treffen der CSU-Europagruppe ist es üblich, dass reihum jeweils ein anderer Kollege eine Brotzeit mitbringt. Alle sechs Monate bin auch ich dran. Nachdem die anderen mich zu ihren Sitzungen einladen, will ich mich auch an dieser Tradition beteiligen.


Zusammengefasst: Der CSU-Politiker Bernd Posselt arbeitet trotz seiner Abwahl als EU-Abgeordneter weiter im Europaparlament. Dort trifft er Ex-Kollegen und besucht Gremien. Die Reisen zwischen München und Straßburg zahlt der 59-Jährige selbst, ein eigenes Büro als Abgeordneter hat er nicht mehr. Doch Posselt hofft auf seine Wiederwahl in vier Jahren.