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Kampf um Kongressmehrheit US-Demokraten werfen die Schmutzschleuder an

Sie schalten bissige TV-Spots, stellen Schmähschriften ins Web: Vor den US-Kongresswahlen suchen immer mehr verzweifelte Demokraten ihr Heil in Negativkampagnen - andere distanzieren sich öffentlich von der Regierung Obama. Den Siegeszug der Republikaner werden sie wohl trotzdem nicht stoppen.
Präsident Obama: "Republikaner kaprizieren sich auf seine angebliche Führungsschwäche"

Präsident Obama: "Republikaner kaprizieren sich auf seine angebliche Führungsschwäche"

Foto: LARRY DOWNING/ REUTERS

Gebrauchtwagenhändler müssen sich ja ohnehin oft des Vorurteils erwehren, ihre Kunden über den Tisch zu ziehen. Politiker, die früher mit Gebrauchtwagen handelten, haben es noch schwerer. Über Tom Ganley etwa, der für die US-Republikaner bei den Kongresswahlen in Ohio antritt, kursiert derzeit ein TV-Werbespot der Demokraten. Ganley sei in seinem Berufsleben "mehr als 400 Mal verklagt worden", heißt es darin. Wegen Betrugs, überteuerter Reparaturen und schlechter Sicherheitspolitik. "Sie kennen das Sprichwort", heißt es in dem Spot . "Kunde, sei wachsam."

Auch über Randy Hultgren, den republikanischen Kandidaten in Chicago, förderten die Demokraten Brisantes zutage - zum Beispiel, dass Hultgren Obamas Rettungspaket für den Finanzsektor (Tarp) öffentlich ablehnte, die Firma Performance Trust Investment Advisors aber, in der er Vizepräsident ist, Mittel daraus für die eigenen Geschäfte verwendet.

Chris Gibson, den republikanischen Kandidaten im Bundesstaat New York, attackierten die Demokraten dafür, dass er sich Wahlkampfgelder von einem Parteikollegen beschaffen lässt, gegen den der Staat wegen seiner engen Lobbykontakte bereits ermittelt hat. Den Washingtoner Kandidaten Dino Rossi stellen die Demokraten auf einer neuen Web-Seite  als eine Art George-W.-Bush-Klon dar.

Kongresswahl

Solch persönliche Angriffe nehmen derzeit zu. Rund vier Wochen vor der wichtigen startet in den USA die politische Schlammschlacht. Und derzeit sind es besonders oft die Demokraten, die die Dreckschleudern anwerfen. "Die Negativkampagne scheint dieses Jahr ihre übergeordnete Strategie zu sein", sagt Dennis Johnson von der George-Washington-Universität SPIEGEL ONLINE. Die Angriffe starteten dieses Mal ungewöhnlich früh, fügt der Wahlkampfexperte und langjährige Beobachter der Demokraten hinzu.

Auch die Republikaner, bei denen Schmutzkampagnen zum Standardrepertoire gehören, haben schon den ein oder anderen aggressiven Wahlwerbespot geschaltet. Im Moment aber gibt sich die Elefantenpartei betont seriös. Während sich die Demokraten auf Rufmord verlegten, unterstützten die Wähler die Republikaner, weil diese eine echte Alternative böten, sagte Pete Sessions, Vorsitzender des republikanischen Wahlkampfkomitees NRCC, kürzlich der "New York Times". Polit-Experte Johnson kauft ihm die neue Seriosität allerdings nur bedingt ab. "Die Republikaner mögen sich themenbetont geben", sagt er. "Sie kaprizieren sich aber definitiv auf die negativen Themen von Obamas Präsidentschaft - und auf seine angebliche Führungsschwäche."

"Dem Präsidenten wird nachgesagt, er sei wirtschaftsfeindlich"

NRCC-Boss Sessions dagegen demonstriert Gelassenheit. "Herzstück unserer Recherchearbeit sind die Wahlprognosen für die Demokraten", sagt er. Und die lesen sich aus Demokratensicht tatsächlich bedrohlich. 39 Sitze müssen die Republikaner erobern, um Obamas Mehrheit im Kongress zu brechen - aktuellen Umfragen zufolge ist das ein machbares Unterfangen. Laut einer Erhebung der "Washington Post" und des TV-Senders ABC liegen Demokraten und Republikaner bei der Frage, wer die großen Probleme des Landes lösen kann, gleichauf; vor drei Monaten hatten die Demokraten in dieser Frage noch einen Zwölf-Prozent-Vorsprung. 47 Prozent der Befragten gaben an, in ihrem Wahlkreis den republikanischen Kandidaten wählen zu wollen, 45 Prozent sprachen sich für den demokratischen aus. Laut einer Umfrage des TV-Senders CNN würden sogar 52 Prozent den republikanischen Kandidaten wählen - und 45 Prozent den demokratischen.

Präsidenten

Und noch eine Umfrage: NBC News und dem "Wall Street Journal" zufolge sind sechs von zehn Amerikanern mit Obamas Politik unzufrieden. Während die Konjunktur im Dümpelmodus und die Arbeitslosigkeit auf Rekordhoch sind, werfen die Bürger dem vor, seine Wirtschaftspolitik habe versagt. Und weniger als 40 Prozent unterstützen seine Politik der staatlichen Rettungspakete. "Dem Präsidenten wird mittlerweile nachgesagt, er sei wirtschaftsfeindlich", schrieb der "Economist" vergangene Woche. Seine Politik sei eine Abkehr vom uramerikanischen Wert der Selbstbestimmung.

Am 2. November könnte Obama dafür die Quittung bekommen - ebenso seine Partei. Manch demokratischer Abgeordneter distanziert sich bereits vom Präsidenten - aus Angst, den Wahlkampf in seiner Region zu verlieren. Obamas Gesundheitsreform habe ihn "frustriert", sagt Glenn Nye, Kongresskandidat im Bundesstaat Virginia.

"Die Demokraten haben bei den Kongresswahlen einen schweren Stand", konstatiert Polit-Experte Johnson. Die frühen negativen persönlichen Attacken auf die Republikaner seien ein Versuch, von der Kritik an der eigenen Politik abzulenken. "Die Demokraten haben es nicht geschafft, den Wählern ihre Politik nahezubringen", sagt er. "Jetzt versuchen sie, die Aufmerksamkeit auf Fehler der Republikaner zu lenken."

Eine CNN-Untersuchung bestätigt das: Allein seit September hätten Demokraten republikanischen Kandidaten zum Beispiel 26-mal vorgehalten, die Auslagerung von Jobs zu unterstützen, merkte Anchorman John King kürzlich an .

Zweifel an der Strategie

Laut "New York Times" starten die Demokraten ihre Schmutzkampagnen vorzugsweise dort, wo Republikaner zur Wahl antreten, die noch kein offizielles Amt innehatten. Zu diesen hätten die meisten Wähler nur eine schwache Verbindung, zitiert die Zeitung einen demokratischen Strategen. "Die Taktik ist bewährt", sagt Johnson. Sie habe schon oft funktioniert - auf beiden Seiten. Die Angriffe könnten aber auch verpuffen - wenn die Öffentlichkeit nur ein Protestsignal nach Washington senden will.

Bereits vergangene Woche berichtete die "NYT" daher, es gebe Überlegungen, noch schwerere Geschütze aufzufahren. "Wir müssen die Botschaft senden, dass es gefährlicher denn je ist, die Republikaner zu wählen", zitierte sie einen Strategen der Demokraten. Gefährlicher, weil erzkonservative Splittergruppen wie die Tea Party rasch an Einfluss gewinnen.

Kandidaten wie die Masturbationsgegnerin Christine O'Donnell kommen den Demokraten sehr gelegen, denn sie mindern die Siegeschancen der Republikaner. O'Donnell hatte sich bei den Vorwahlen gegen einen gemäßigten Republikaner durchgesetzt. In den Hauptwahlen tritt sie nun gegen arrivierte demokratische Kandidaten an - mit geringen Siegchancen.

Erste Vorbereitungen für die Wiederwahl

Doch auch der Wahlkampf der Demokraten wird überschattet - von bevorstehenden Personalwechseln. Bereits am Freitag könnte Obamas Stabschef Rahm Emanuel seinen Posten verlassen, um als Bürgermeister von Chicago zu kandidieren, berichten CNN und das "New York Magazine". Politische Beobachter vermuten, dass nach Emanuels Weggang weitere Rücktritte folgen. Ein potentieller Abschusskandidat ist Obamas Sicherheitsberater James Jones. Auch Innenminister Ken Salazar soll beim Präsidenten in Ungnade gefallen sein.

Frisches Personal würde es Obama ermöglichen, seine Regierung im zweiten Teil der Legislaturperiode neu auszurichten. Viele wichtige Gesetzesreformen hat der Präsident bereits abgearbeitet, in den kommenden zwei Jahren dürfte er seinen Fokus stärker darauf richten, seine Reformsiege zu verteidigen - und seine Wiederwahl zu sichern. Für die Zeit bis 2012 braucht Obama keinen neuen Wadenbeißer, der unbequeme Entwürfe durchs Parlament peitscht. Er braucht einen Konsenssucher, der seine Popularität erhöht.

Sollten die Republikaner die Mehrheit im Kongress erhalten, könnte das Obama letztlich sogar helfen: Wenn es mal wieder hakt, kann er dann ihnen die Schuld dafür geben - und muss sich nicht dafür rechtfertigen, dass seine eigene Partei ihm Probleme bereitet.

Doch auch die Republikaner rüsten sich schon für die Präsidentschaftswahl - mit Hilfe ihres alten Chefstrategen Carl Rove. Der spinnt aktuell ein Netzwerk aus Geldgebern, mit deren Mitteln die Demokraten in den kommenden zwei Jahren aus der Regierung gedrängt werden sollen.

Mit an Bord sind viele alte Bekannte, die auch schon in der George-W.-Bush-Ära behilflich waren: Milliardäre wie der Versicherungsunternehmer Carl Lindner und Harold C. Simmons, der unter anderem Anteile an einer riesigen Abfallentsorgungsfirma hält, die auch radioaktive Substanzen fortschafft.

Für die anstehende Kongresswahl plant Rove nach eigenen Angaben schon eine erste Großaktion, um die Wähler zu mobilisieren: Sie umfasst 40 Millionen E-Mails und 20 Millionen automatische Telefonanrufe - und Wahlkampfspots, die zehntausendfach ausgestrahlt werden sollen. Inwieweit die Kandidaten der Demokraten darin persönlich angegriffen werden sollen, sagte er nicht.