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Kims Onkel Chang Todesstrafe für Nordkoreas graue Eminenz

Er wurde gefeuert, gedemütigt und nun hingerichtet: Nordkoreas Diktator Kim Jong Un hat seinen Onkel und einstigen Mentor Chang Song Taek auf brutale Art und Weise aus dem Weg geräumt. Offenbar will der junge Machthaber damit einen Generationswechsel in der Führungsebene durchsetzen.
Kims Onkel Chang: Todesstrafe für Nordkoreas graue Eminenz

Kims Onkel Chang: Todesstrafe für Nordkoreas graue Eminenz

Foto: REUTERS/ Yonhap

Berlin/Pjöngjang - Als die KPdSU noch an der Macht war, beobachteten Kreml-Astrologen jedes Mal gespannt, in welcher Reihenfolge die Politbüromitglieder auf das Lenin-Mausoleum auf dem Roten Platz stiegen, um die traditionelle Oktoberparade abzunehmen. Wer kletterte als Zweiter hinter dem Generalsekretär die Stiegen hinauf, wer als Letzter? Daraus konnten Russen und ausländische Beobachter schließen, welcher Funktionär gerade besonders in der Gunst stand und wessen Stern sank.

Wer in den vergangenen Monaten die Zahl der gemeinsamen öffentlichen Auftritte nordkoreanischer Militärs und Politiker mit Herrscher Kim Jong Un beobachtete, konnte erahnen, dass Chang Song Taeks Position wackelte. Entgegen der Gewohnheit war er kaum noch gemeinsam mit seinem Neffen zu sehen. Zuletzt empfing er, allein, am 16. November eine japanische Sportdelegation und schaute sich ein Basketballspiel an.

Zuletzt ließ der junge Kim seinen Onkel in einer Sondersitzung des Politbüros von zwei Soldaten abführen, am Donnerstag wurde er laut einer Meldung der staatlichen Nachrichtenagentur KCNA hingerichtet. Die Liste der Vorwürfe war lang, sie reichte von Fraktionsbildung über Korruption, Ausverkauf von Rohstoffen des Landes an China bis hin zu Frauengeschichten - und die Welt zerbricht sich darüber den Kopf, warum genau Kim den noch von seinem Vater eingesetzten Chang zunächst feuerte, ihn dabei öffentlich demütigte und nun mit dem Tode bestrafte.

"Chang wurde zu arrogant und zu machthungrig"

Eine Erklärung liefert der russischstämmige Nordkorea-Kenner Andrej Lankov. Seine schlichte These: Kim wollte seinen Mentor loswerden, damit der ihm nicht mehr in die Alltagsgeschäfte hereinredete. "Es gibt kaum Zweifel, dass es eines der Ziele Kim Jong Uns ist, die Mannschaft seines Vaters nach und nach loszuwerden, um diese alten Leute mit einer neuen Generation von Funktionären zu ersetzen, die ihm im Alter und in ihren Ansichten näher stehen."

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Hinrichtung von Chang Song Taek: Schauprozess in Pjöngjang

Foto: AP/ Xinhua

Das erste Opfer war im Juli 2012 der Generalstabschef und Vizemarschall Ri Yong Ho, dessen Namen und Fotos die Propagandisten bereits aus allen Dokumenten gelöscht haben. Es folgten mindestens sechs andere hohe Funktionäre. Auch Chang, Vier-Sterne-General und Vizevorsitzender der Nationalen Verteidigungskommission, lässt Kim derzeit aus dem kollektiven Gedächtnis der Nordkoreaner radieren - George Orwell, der das verordnete Vergessen in seinem Roman "1984" beschrieb, lässt grüßen. Chang habe, so sagt Lankov, übersehen, dass der Mentor eines Königs wissen müsse, wann es Zeit ist zu gehen, um noch "mit einem hübschen Schloss auf dem Lande belohnt zu werden".

Chang, die graue Eminenz von Pjöngjang, wusste vor seiner öffentlichen Demontage vermutlich, was auf ihn zukommt. Seine zwei Stellvertreter wurden erschossen, ihn soll ein Spezialkommando der Armee bereits Mitte November unter Hausarrest gestellt haben, zwei Tage nach dem Basketballspiel. Zwei Verwandte Changs, der eine Botschafter in Malaysia, der andere in Kuba, sind inzwischen nach Hause beordert worden.

Hinter seinem Sturz könnten noch andere Gründe stehen: "Er wurde zu arrogant und zu machthungrig", vermutet Alexandre Mansourov, Nordkorea-Spezialist am US-Korea-Institut der Johns-Hopkins-Universität. "Chang wurde ein Über-General, der damit begann, sich eine innere Festung zu errichten" und eine Clique von Getreuen um sich zu scharen, meint er. Tatsächlich lautet der offizielle Vorwurf, er habe unter anderem Befehle missachtet und die Parteilinie verlassen. Es könnte sein, dass er sich gegen den überbordenden Personenkult der Kim-Dynastie wandte.

Womöglich sei aber auch einen Machtkampf mit einem anderen "Regenten" entbrannt, spekuliert Mansourov: Mit Vizemarschall Choe Ryong Hae. Beide mochten sich offensichtlich nicht, sie sollen sich darüber gestritten haben, wer wie viel Geld und Soldaten für die jeweils ihm nahestehenden Armee-Einheiten bekam.

Rache, Ranküne, Richtungskämpfe

Ein möglicher dritter Grund: Kim und Chang stritten sich über den künftigen Wirtschaftskurs des Landes. Der Onkel soll dafür plädiert haben, die chinesischen Reformen nachzuahmen und das ehrgeizige und vor allem teure Atomprogramm herunterzufahren. Nach Informationen des Experten Mansourov kontrollierte Chang Armeeunternehmen, die für Deviseneinkünfte sorgten. Dabei könnte er sich mit den Planungsbürokraten angelegt haben. Er habe die "staatliche Finanzverwaltung durcheinandergebracht", lautet eine der Anklagen.

Aber auch sein Privatleben könnte ihm zum Verhängnis geworden sein. Chang ist mit Kim Kyung Hee, der Schwester des im Dezember 2011 gestorbenen Kim Jong Il verheiratet, also mit der Tante des derzeitigen Machthabers. Sie ist ebenfalls Vier-Sterne-General und soll, wie einst ihr Mann, im Hintergrund die Fäden ziehen, um die Macht des Kim-Clans abzusichern. Das Verhältnis zu ihrem Mann soll in den letzten Jahren gespannt gewesen sein. Er habe "ungebührliche Verhältnisse zu mehreren Frauen" gehabt, sei in den "Hinterzimmern von Luxusrestaurants" festlich bewirtet worden und habe in Casinos Devisen "verschwendet", klagte das Politbüro.

Ob Rache, Ranküne oder Richtungskämpfe: Ungewöhnlich ist, dass Kim Jong Un grob gegen Verwandte vorgeht, obwohl in Nordkorea nach konfuzianischem Vorbild Familienbande sehr wichtig sind. Südkorea hat Changs Hinrichtung mit Sorge beobachtet: "Die Regierung ist zutiefst besorgt angesichts der jüngsten Entwicklungen in Nordkorea und beobachtet die Lage genau", erklärte das Vereinigungsministerium in Seoul am Freitag.

Es dürfte schon bald weitere Säuberungen im Machtapparat geben, vermuten Kenner. Aber wo steuert Kim hin? Fachmann Lankov: "Das erfahren wir später."