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Obamas Grundsatzrede Marshall ohne Plan

Barack Obama brauchte lange, um eine Antwort auf den Umbruch in der arabischen Welt zu finden. In seiner Grundsatzrede hat er nun eine Art Marshall-Plan für die Region angekündigt. Doch die Ziele bleiben weit hinter dem historischen Vorbild zurück.
Obamas Grundsatzrede: Marshall ohne Plan

Obamas Grundsatzrede: Marshall ohne Plan

Foto: Pablo Martinez Monsivais/ AP

Als Barack Obama am Donnerstag vor die Nation tritt, erinnert er an George Marshall - zumindest ein bisschen. Wie dem damaligen US-Außenminister geht es dem amtierenden Präsidenten um Grundsätzliches.

George Marshall stand im Juni 1947 auf den Stufen der Memorial Church in Harvard. Er redete kurz und schlicht darüber, dass Amerika Europa wieder auf die Beine helfen müsse, nach dem furchtbaren Zweiten Weltkrieg. Klare Zahlen und Vorgaben hatte er nicht mitgebracht, aber eine klare Vision. Und so begannen weniger als ein Jahr später schon die ersten Milliarden über den Atlantik zu fließen, 13 Milliarden Dollar schließlich, 120 Milliarden wären das nach heutiger Rechnung. Der Marshall-Plan, so diskret angekündigt, avancierte zu einem der größten Erfolge der Wirtschaftsgeschichte.

Barack Obama kann nicht so bescheiden auftreten, er ist immerhin Amerikas Präsident. Als er im US-Außenministerium seinen Vortrag beginnt, haben die Helfer bereits hohe Erwartungen geschürt, für eine neue Grundsatzrede an die arabische Welt, vielleicht gar für einen außenpolitischen Neustart seiner Präsidentschaft.

Und sie haben in Hintergrundgesprächen den Marshall-Plan zitiert, Amerika misst sich gerne an den Erfolgen seiner Vergangenheit. Obama will jetzt auch ein Marshall sein.

Auch er hat Geld mitgebracht. Allerdings nur zwei Milliarden Dollar, die nach Ägypten fließen sollen, einige Millionen sollen auch nach Tunesien gehen. Dafür kann Rhetoriker Obama mindestens so schön formulieren wie einst Marshall. "Nicht allein Politik hat die Demonstranten auf die Straße getrieben", sagt er. "Sie wurden auch angetrieben von der ständigen Sorge, für ihre Familie genug zu essen zu haben. Die größte nichtgenutzte Ressource im Nahen Osten und Afrika ist das Talent der Menschen dort."

Marshalls Plan wirkte ohne viel Getöse

Das soll sich dank Amerika nun ändern. Aber Obama kann, so sehr er das auch will, keinen Marshall-Plan für die arabische Welt präsentieren. Das liegt nicht an den Zahlen, auch nicht an den Zitaten.

Es liegt an den Zielen.

1947 wusste Amerika genau, was es wollte. Marshall sagte, der Nutzen einer funktionierenden Volkswirtschaft in Europa für die USA sei "jedem klar". Europa sollte wieder stark werden, damit Amerika stark bleibt. Deshalb wirkte Marshalls Plan auch ohne viel Getöse.

Doch was will Amerika nun im Nahen Osten? Selbst Obama musste lange überlegen, so dass er seine Rede erst jetzt halten kann, Monate nach dem Beginn des Arabischen Frühlings.

Das Unbehagen darüber versucht der Demokrat mit großer Rhetorik zu überspielen, er spricht von der "einmaligen Gelegenheit" für Wandel in der Region, gerade nach dem Tod des "Massenmörders" Osama Bin Laden. Der US-Präsident feiert den Tunesier Mohammed Bouazizi als Freiheitskämpfer, der mit seiner Selbstverbrennung im Dezember 2010 die Protestbewegung auslöste. Er vergleicht ihn mit Bürgerrechtsikonen wie Rosa Parks - der schwarzen Frau, die einst im Bus nicht mehr für Weiße aufstehen wollte. "Wir haben die Chance, zu zeigen, dass Amerika die Würde eines Straßenverkäufers in Tunesien mehr wert ist als die rohe Macht eines Diktators", verkündet der Präsident.

Aber steht Amerika nun endlich auf der richtigen Seite? Das kommt immer darauf an, wohin man schaut. In Ägypten wollte Washington schließlich keinen Diktator Husni Mubarak mehr. Es will aber auch nicht die Muslimbruderschaft an der Macht. In Syrien möchte es Präsident Baschar al-Assad gehen sehen, dessen Konten wurden bereits eingefroren. Aber direkt fordern will Obama den Regimewechsel in seiner Rede nicht. Und, klar, Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi soll endlich stürzen. Doch Bodentruppen werden die USA dafür nicht schicken.

Nur wenn sie das Risiko von Reformen eingingen, könnten sie weiter auf Unterstützung der Vereinigten Staaten hoffen, ruft Obama den Diktatoren der Region zu. Doch sagt er zugleich: "Wir werden unsere Verpflichtungen gegenüber Freunden und Partnern einhalten."

Kein Wort zu Saudi-Arabien

Also dürfen die Herrscher in Bahrain weiter knüppeln, schließlich ankert dort die 5. US-Flotte. Jordaniens autokratischer König Abdullah musste sich beim Washington-Besuch am Dienstag vielleicht ein paar mahnende Worte anhören. Doch er verließ das Weiße Haus auch mit der Zusage von einer Milliarde Dollar Kreditgarantie. Saudi-Arabien schließlich - weltgrößter Ölproduzent, aber auch autokratisches Regime - kommt mit keinem Wort in Obamas Rede vor.

Auch den Friedensprozess im Nahen Osten vernachlässigt er. Als Präsidentschaftskandidat nannte Obama den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern noch eine "ständige Wunde", in seiner Kairo-Rede 2009 rückte er ihn in den Mittelpunkt. Seither hat sich nichts bewegt, der Nahost-Vermittler des Präsidenten, George Mitchell, ist gerade zurückgetreten.

"Dauerhafter Frieden muss zwei Staaten für zwei Völker einschließen", sagt Obama nun. Er verlangt eine Lösung auf Grundlage der Grenzen vor dem Sechstagekrieg 1967, in dem Israel den Gaza-Streifen, das Westjordanland, die Golanhöhen sowie Ostjerusalem annektierte. Das erstaunt Diplomaten. Doch klare Worte zu einer neuen Nahost-Initiative meidet der Präsident.

Obama kann eigentlich auch nur verlieren. Fasst er die Israelis zu hart an, verärgert er treue jüdische Wähler daheim, die er beim Urnengang 2012 braucht. Aber weil er den harten Schnitt scheut, schwächt er sein Vorhaben vom Marshall-Plan für die arabische Welt.

Washington marschiert nicht mehr im Gleichschritt

Damals wusste Europa, dass es Amerika brauchte. Heute sehen viele Araber die USA nicht als Befreier - sondern als mitschuldig am Diktatoren-Leid der vergangenen Jahrzehnte. Schließlich bezogen viele von ihnen Finanzhilfe aus Washington. Und so ist ihnen Amerikas Hilfe nicht mehr so wichtig. "Der Arabische Frühling passiert mit den USA oder nicht", lautet die neue Maxime in der Region.

Einfach entschuldigen für die vergangene Politik kann Obama sich aber auch nicht. Dann geriete er daheim unter Feuer - als jemand, der nicht an Amerikas Vorrangstellung glaubt. Denn das ist der vielleicht wichtigste historische Unterschied: Zur Zeit des Marshall-Plans war Washington zwar auch gespalten. Demokraten herrschten im Weißen Haus, Republikaner im Kongress. Doch auf den außenpolitischen Sinn des Plans konnten sich die Parteien einigen.

Heute marschiert Washington selbst dann nicht mehr im Gleichschritt, wenn Amerikas Interessen betroffen sind. Der US-Kongress, von den Konservativen beherrscht und derzeit wegen des riesigen Staatsdefizits im Sparwahn, will für Obamas Projekte kein Geld mehr rausrücken, auch deswegen muss sich das Weiße Haus mit zwei Milliarden Dollar begnügen.

"Obama-Schocker", heißt es denn auch beim rechten TV-Sender Fox News sofort nach Obamas Rede. Dessen Forderungen an Israel seien einfach zu radikal gewesen. Und so kann Obama zwar den Marshall geben - doch ohne echten Plan.