Zum Inhalt springen

Raketenabwehr USA kündigen ABM-Vertrag

Die USA haben den ABM-Vertrag von 1972 formell gekündigt, um das Raketenabwehrsystem NMD installieren zu können. Das zwischen Washington und Moskau geschlossene Abkommen verbot die Aufstellung solcher Systeme

Washington - Nach Angaben der Regierung in Washington setzte der US-Botschafter in Moskau Russland davon offiziell in Kenntnis. Der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Tom Daschle, hatte den unmittelbar bevorstehenden Schritt bereits am Mittwoch angekündigt.

Die USA beriefen sich nach Angaben aus Regierungskreisen auf eine Klausel in dem Abkommen zum Verbot einer Raketenabwehr, nach der beide Seiten mit halbjähriger Kündigungsfrist aus dem Vertrag aussteigen können. Zuvor hatte es in Washington geheißen, der russische Präsident Wladimir Putin habe seinem amerikanischen Kollegen George W. Bush bei einem Besuch im Oktober signalisiert, dass die bilateralen Beziehungen von einer einseitigen Kündigung des ABM-Vertrags durch die USA nicht beschädigt würden. Russland hat jedoch vor einem neuen Wettrüsten gewarnt, sollten die USA aus dem Abkommen aussteigen.

Bush hatte seinen Willen zur Entwicklung der Raketenabwehr am Mittwoch noch einmal in einer Grundsatzrede zur nationalen Sicherheit in Charleston deutlich gemacht. Zum Wohle des Friedens müsse Washington sich über den ABM-Vertrag hinwegsetzen, der "in einer anderen Ära für einen anderen Feind" geschrieben worden sei, erklärte Bush in der Militärakademie Citadel. Washington müsse Amerika und seine Freunde gegen alle Formen des Terrors schützen, "einschließlich des Terrorismus, der mit einer Rakete ankommen könnte".

Die russische Führung sieht der Entwicklung unterdessen gelassen entgegen. Russland "dramatisiert die Situation nicht und verfolgt die Entwicklung der Ereignisse aufmerksam", sagte ein namentlich nicht genannter verantwortlicher Diplomat des Außenministeriums in Moskau am Mittwoch, dem russischen Verfassungs-Feiertag, der Agentur Interfax.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte in den vergangenen Monaten mehrfach mit einer atomaren Wiederaufrüstung gedroht, falls die USA den ABM-Vertrag einseitig kündigten. Zuletzt hatte die russische Führung aber ein deutliches Entgegenkommen in den Gesprächen mit Washington über eine Abrüstung der atomaren Arsenale beider Länder gezeigt.

In Washington wird die Entscheidung für die Raketenabwehr als Sieg der Kräfte um Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und dessen Stellvertreter Paul Wolfowitz über den eher gemäßigten Außenminister Colin Powell bewertet.

Aus Regierungskreisen verlautete, Bushs Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice habe zunächst zwischen beiden Seiten vermitteln wollen, dann aber die Haltung von Rumsfeld unterstützt.

Auch im US-Kongress stößt das Vorhaben der amerikanischen Regierung auf Kritik: Der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Tom Daschle, erklärte im Fernsehsender CNN, er sei gegen den Ausstieg aus dem Abkommen. Das sei ein Schlag ins Gesicht vieler Leute, die sich Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte für Rüstungskontrolle eingesetzt hätten, sagte er.

Der zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion abgeschlossene ABM-Vertrag verbietet praktisch die Aufstellung von Raketenabwehrsystemen, mit denen die Strategie der Abschreckung zwischen den Großmächten untergraben würde.