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Sarah Palins Memoiren Abrechnung einer Abgekanzelten

Ihre Memoiren sorgen bereits für Furore, bevor sie überhaupt im Handel sind: Sarah Palin, Ex-Kandidatin für die US-Vizepräsidentschaft, beschwert sich darin bitter über ihre Gegner - und über das eigene Wahlkampfteam.
Sarah Palin: "Den Wölfen zum Fraß vorgeworfen"

Sarah Palin: "Den Wölfen zum Fraß vorgeworfen"

Foto: Al Grillo/ AP

Wäre es nach ihr gegangen, wäre alles anders gelaufen. "Es mag für die Berater namhafter Kandidaten nicht ungewöhnlich sein, dass sie sich darüber streiten, wer das Sagen hat", schreibt Sarah Palin. "Aber es ist unerhört, dass Wahlkampfhelfer einen Kandidaten auf so unverschämte Weise mit schäbigen, anonymen Aussagen den Wölfen zum Fraß vorwerfen."

Sarah Palin

John McCain

will eine Rechnung begleichen. Besser gesagt: eine ganze Menge Rechnungen. Mit Präsident Barack Obama, mit den Demokraten, mit den Medien, mit CBS-Anchorfrau Katie Couric, mit der TV-Sendung "Saturday Night Live". Vor allem aber mit dem eigenen Wahlkampfteam: "Um diesen Job zu machen", so resümiert sie ihre Erfahrung als "running mate" des republikanischen Präsidentschaftskandidaten 2008 bitter, "musst du entweder reich sein oder korrupt."

Sie bleibt ihrem Ruf treu. Zwar kommen sie erst am Dienstag auf den Markt, die Memoiren der früheren Vizepräsidentschaftskandidatin der US-Republikaner, die der Wahlkampf für einige Zeit zu einer der bekanntesten - und polarisierendsten - Frauen der Welt machte. Doch schon jetzt sorgen die 432 Seiten für Furore.

Also schoss "Going Rogue" ("Im Alleingang") übers Wochenende auf Platz eins der Bestell-Bestsellerlisten. In den Auszügen präsentiert es sich als eine einzige, beißende Abrechnung - und Auftakt eines Comebacks. Das zeigt allein die populistische Widmung: "An alle Patrioten, die meine Liebe für die Vereinigten Staaten von Amerika teilen."

Ansonsten ist das alles typisch Palin: Schuldzuweisungen, Rechtfertigungen, Seitenhiebe. Nicht nur auf die Widersacher, sondern am meisten aufs eigene Lager - die Wahlstrategen McCains, die Pressesprecher, die Image-Consultants, die Stylisten. Wenn jemand fürs Scheitern ihrer Ambitionen 2008 verantwortlich sei - dann die. Nur ihre eigene Person sieht Palin als über jede Kritik erhaben.

Minutiöse Pläne, minutiös durchkreuzt

Wie immer in solchen Fällen war die Präsentation dieser "Erinnerungen" minutiös geplant - und wurde sodann ebenso minutiös durchkreuzt. Offizieller Anpfiff soll am Montag ein Interview mit Talk-Queen Oprah Winfrey sein, einen Tag, bevor "Going Rogue" in die Buchläden kommt.

Tags darauf wird Palin auf Lesereise durch die US-Provinz gehen - eine Tour, deren Etappen eher an einen Wahlkampf erinnern. Flankiert wird das PR-Spektakel von weiteren Interviews. Etwa mit Plauderlegende Barbara Walters und dreimal mit dem TV-Sender Fox News, der wie auch Palins Verlag HarperCollins dem Medienmogul Rupert Murdoch gehört.

Doch dann stöberte schon Ende voriger Woche erst die Agentur AP ein verfrühtes Exemplar auf. Dem folgten die "New York Times" und das Murdoch-Blatt "Wall Street Journal", und schließlich schien jeder Blogger eins zu haben. HarperCollins war das nur recht: Die erste Auflage (1,5 Millionen) ist bereits ausverkauft, der Verlag druckt inzwischen die zweite.

Fünf Millionen Dollar soll Palin dafür bekommen haben. Die teilt sie sich mit Co-Autorin Lynn Vincent, einer Redakteurin des christlichen Magazins "World", die knallharte Ansichten ebenfalls nicht scheut - etwa, dass Abtreibung "Genozid" sei und Homosexualität "abartig".

Nur vier Monate haben die zwei gebraucht, ein Husaren- oder Hauruckstück, je nachdem. Das Ergebnis ist den Rezensionen zufolge "fahrig" ("New York Times"), wahlweise "nuanciert" ("Wall Street Journal") - eine von Verzerrungen und schiefen Metaphern durchsetzte Mischung aus Autobiografie, patriotischen Platitüden und unversöhnlichem Rachefeldzug. Dessen Hauptangriffsziel: McCains engster Zirkel.

Barack Obama

Verstimmung hatte es bereits nach der Wahl gegeben, als eine Reihe McCain-Berater Palin die Mitschuld an der Niederlage gaben. Nun schlägt sie zurück: McCains Wahlkampf sei desorganisiert, zynisch, zerstritten und lethargisch gewesen, habe den demokratischen Kontrahenten zu schonend angepackt und die wichtigste Frage des Wahlkampfes, die Wirtschaft, verschlafen.

Erste Reaktionen: Linke höhnen, Rechte jubeln

So hätten ihr die Strategen strikt untersagt, Obamas "Connection" zum umstrittenen Pastor Jeremiah Wright zu thematisieren, beklagt sich Palin auf Seite 307. "Ich werde auf immer in Frage stellen, warum die Wahlkampfleitung die Diskussion solcher Verbindungen verbot." Zumal Obama seine damals "sorgsam getarnten" Ansichten jetzt "mittels seiner Amtshandlungen" als Präsident offenbart habe.

McCains Team, petzt Palin weiter, habe ihr nur "lauwarme Unterstützung" gewährt und sie regelmäßig untergraben. So hätten die Berater, als kurz vor dem Wahlparteitag in St. Paul die Schwangerschaft ihrer minderjährigen Tochter Bristol ans Licht kam, eine Erklärung verfasst, die die Situation "verherrlicht" habe und die sie entsetzt umgeschrieben habe. Veröffentlicht worden sei der Originaltext.

Introspektion kennt Palin nicht. Etwa bei den TV-Debatten gegen ihren demokratischen Gegenspieler Joe Biden: Zur Vorbereitung habe sie "Stapel von Karteikarten bekommen", auf der einen Seite Fragen, auf der anderen "politische Nichtantworten". Zu denen habe sie sich aber "nicht zwingen" können und eigene Antworten gegeben. Prompt habe ein McCain-Berater sie vor der Presse angeschwärzt: Palin übe den "Alleingang" - ergo der Buchtitel.

Überhaupt sei sie von den Medien ferngehalten worden. Selbst harmlose Journalistenfragen wie "Wie geht es Ihnen?" habe sie nicht beantworten dürfen - sehr gegen ihren Willen.

In klassischer Palin-Manier macht sie sich dann aber zugleich über jene Reporter her. Wie die sie behandelt hätten, sei "jämmerlich" gewesen: Die "Mainstream"-Medien seien "als Quelle sachlicher Informationen wertlos". Als besonders "lausig" beschrieb sie das Interview des TV-Senders KTUU, in dessen Hintergrund ein Truthahn geschlachtet wurde - eine "absichtliche" Falle des Kameramanns.

Selbstlose Interviews

Speziellen Groll hebt sie sich für Katie Couric auf, deren entlarvende Interviews Palin zur globalen Lachnummer machten. Courics Fragen seien "voreingenommen" gewesen, ihre eigenen, "substantiellen Antworten" dagegen systematisch zu "Zehn-Sekunden-Soundbites" gestutzt worden. Überhaupt habe sie Couric die Interviews nur gegeben, weil sie "Mitleid" mit ihr gehabt habe: Couric - die im TV-Quotenkampf hinterherhinkte - habe nach den Worten von McCains Beraterin Nicolle Wallace "ein geringes Selbstwertgefühl" gehabt und dringend einen Karriereschub gebraucht.

Auch ließ sich Palin über die Komödiantin Tina Fey aus, die sie in der Sketchshow "Saturday Night Live" brillant persiflierte und mit der sie am Ende gemeinsam auftrat. Fey sei zwar "liebenswürdig" gewesen, doch die "SNL"-Witze habe sie als "unschmeichelhaft" und "derb" empfunden. Die Idee, bei "SNL" aufzutreten, habe sie außerdem selbst gehabt - eine Darstellung, die McCains Strategen am Wochenende umgehend dementierten: Palin sei davon gar "nicht begeistert" gewesen.

Das McCain-Lager widersprach auch anderen Behauptungen Palins. Zum Beispiel, dass sie die Kosten der Sicherheitsüberprüfung ihrer Kandidatur (50.000 Dollar) habe tragen müssen. "Das Wahlkampfteam hat sie nicht ersucht, diesbezügliche Ausgaben zu zahlen", beharrte Trevor Potter, McCains damaliger Finanzjurist, in der Zeitung "USA Today".

Die ersten Reaktionen auf "Going Rogue" waren vorhersehbar: Die Linken verhöhnen es, die Rechten umjubeln es. Fest steht, dass Palin in den USA wieder Gesprächsthema Nummer eins ist. Selbst Oprah Winfrey, Obamas Wahlkampfgefährtin, ist angetan: "Es gab nichts, über das wir nicht gesprochen hätten", strahlte sie nach der Aufzeichnung des TV-Interviews.

Palin selbst genießt den Wirbel. "Lest das Buch", ruft sie ihren Fans auf ihrer Facebook-Page zu. "Habt Spaß!" Ihre geplante "book tour"  wird sie in ländliche Staaten führen, in denen sie schon 2008 gefeiert wurde und die auch bei den nächsten Wahlkämpfen wieder entscheidend sein dürften: Michigan, Indiana, Ohio, Pennsylvania, Virginia, North Carolina, Florida. Termine gibt sie über ihr Twitter-Konto bekannt. Dessen Name: SarahPalinUSA - da braucht keiner zwischen den Zeilen zu lesen.