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CDU-Chef Merz, Wahlverlierer Hans Einer gibt sich unbeirrt, der andere steht vor dem Aus

Drohen der CDU nach dem Saar-Desaster weitere Pleiten in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen? Friedrich Merz macht auf optimistisch – dem gescheiterten Ministerpräsidenten Tobias Hans gelingt das nicht mehr.
CDU-Chef Merz, Noch-Ministerpräsident Hans

CDU-Chef Merz, Noch-Ministerpräsident Hans

Foto: Michael Sohn / AP

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Am frühen Montagnachmittag ist im Foyer des Konrad-Adenauer-Hauses ein merkwürdiges Nebeneinander zu erleben. Nicht nur, weil Friedrich Merz, der CDU-Bundesvorsitzende, leibhaftig am Rednerpult steht, während der saarländische Vorsitzende Tobias Hans an seiner Seite nur über einen großen Bildschirm zugeschaltet ist; er sitzt aus Termingründen in der Landesgeschäftsstelle seiner Partei in Saarbrücken.

Zu erleben sind hier auch zwei Politiker, deren Karrierekurven sich seit dem Abend zuvor diametral auseinanderentwickeln. Jedenfalls, wenn es nach Merz geht.

Hans ist im Saarland als Ministerpräsident abgewählt worden, geschlagen von seiner bisherigen Vizeregierungschefin Anke Rehlinger von der SPD – und zwar mit absoluter Mehrheit: Hans hat seine Partei nicht einmal mehr in eine Koalition mit den Sozialdemokraten retten können.

Die CDU sitzt künftig auch im Saarland in der Opposition, ihr bisheriger Juniorpartner regiert dann allein.

Wahlverlierer Hans, den Tränen nahe, bei der CDU-Party mit Ehefrau Tanja und dem Saarbrücker Kreisvorsitzenden Peter Strobel

Wahlverlierer Hans, den Tränen nahe, bei der CDU-Party mit Ehefrau Tanja und dem Saarbrücker Kreisvorsitzenden Peter Strobel

Foto: Uwe Anspach / picture alliance/dpa

Der Absturz von Hans ist mindestens so brutal wie das Wahlergebnis seiner Partei mit einem Minus von gut zwölf Prozentpunkten: Eben noch galt Hans als CDU-Hoffnungsträger, auch auf Bundesebene – nun steht er mit 44 Jahren vor dem politischen Nichts.

Er werde »Verantwortung übernehmen und auch Konsequenzen ziehen«, sagt Hans.

Der 66-jährige Merz dagegen ist angetreten, seine Partei nach dem Debakel bei der Bundestagswahl im vergangenen Herbst wiederzubeleben und die Union zu alter Stärke zurückzuführen.

An diesem Montagmorgen lässt Merz erkennen, dass die Saarland-Schlappe, so bitter sie für die Partei ist, für ihn höchstens ein kleiner Dämpfer ist.

Er sieht seine Truppe und sich, neuerdings unangefochtener Oppositionsführer als CDU-Vorsitzender und Chef der Unions-Bundestagsfraktion, auf einem guten Weg. »Wir haben den Turnaround hinbekommen«, sagt Merz.

In Kiel und Düsseldorf muss die CDU nun liefern

Dieser vermeintliche Turnaround, das weiß auch er, sollte sich allerdings am besten auch in Wahlsiegen abbilden: Da der Start in eine Art Super-Landtagswahljahr nun im Saarland komplett misslungen ist, muss es für seine Partei zunächst am 8. Mai in Schleswig-Holstein und dann eine Woche später in Nordrhein-Westfalen besser laufen.

Das klare Ziel: Die dortigen CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther und Hendrik Wüst sollen ihre Staatskanzleien verteidigen.

Einen Trend nach der Saar-Wahl, nein, davon will Merz jedenfalls nichts wissen. »Ich sehe da kein Präjudiz«, sagt er, es gebe doch sehr saarspezifische Gründe für die Pleite dort.

Manchem Parteifreund ist dennoch bange vor der umgekehrten Wiederholung der Geschichte: 2017 verteidigte die damalige CDU-Ministerpräsidentin im Saarland, Annegret Kramp-Karrenbauer, überraschend deutlich ihr Amt gegen die lange siegesgewisse SPD – und prompt eroberten die Christdemokraten anschließend auch die Staatskanzleien in Kiel und Düsseldorf.

Die CDU gehe »mit wirklicher Zuversicht in diese Wahlen«, sagt Merz nun. Trotz der Enttäuschung über die Saar-Wahl starte man »jetzt nicht depressiv in den Rest des Jahres 2022 – ganz im Gegenteil: Dieses Wahlergebnis gestern, das spornt uns noch einmal an.«

So soll, ist aus den Gremien zu hören, auch die Stimmung in Präsidium und Bundesvorstand gewesen sein, die am Vormittag tagten. Kritik an Merz übte demnach niemand. Es scheint bemerkenswert, wie unangefochten der Bundesvorsitzende ist.

Was nicht passt, redet Merz an diesem Montag einfach weg:

  • Der Vorwurf der mangelnden Unterstützung der Bundespartei für die Saar-CDU? Da müsse sich niemand einen Vorwurf machen. »Wir haben die saarländische CDU in der Tat wirklich nach Kräften unterstützt«, sagt er.

  • Und die Tatsache, dass die Union im Bund nach einem Zwischenhoch in aktuellen Umfragen nur noch gleichauf oder knapp hinter der SPD liegt? Merz spricht dennoch davon, CDU und CSU lägen demoskopisch vor den Sozialdemokraten. Den Aufwärtstrend will er sich so rasch nicht ausreden lassen.

Aber er räumt ein, dass es noch viel zu tun gibt. »Wir machen hier eine mühsame Aufbauarbeit der CDU Deutschlands nach einer schweren Wahlniederlage bei der Bundestagswahl 2021«, sagt er. Dabei stören ihn auch strukturelle Defizite – beispielsweise, dass es nach dem Rücktritt von Julia Klöckner als CDU-Chefin in Rheinland-Pfalz nur noch männliche Landesvorsitzende seiner Partei gibt, dazu kommt genau eine Landtagsfraktionschefin. Merz gibt sich fest entschlossen, dies zu ändern. Aber: »Das ist mühsam, das geht nicht über Nacht.«

Merz: Es geht nicht nur um rasche Erfolge

Dazu kämen Themen, mit denen noch im vergangenen Jahr niemand rechnen konnte: Was er meint, ist der russische Angriff auf die Ukraine mit all seinen Konsequenzen für die deutsche Politik. »Auch für uns ist das, was wir in Deutschland zurzeit erleben, eine Zeitenwende.«

Deshalb gehe es nicht nur um rasche Erfolge. »Wir sind hier nicht auf einem Kurzstreckenlauf – sondern wir sind hier auf einem Marathonlauf«, sagt er. Dabei sei das Ziel vor allem die Europawahl im Sommer 2024. »Darauf richten wir auch unsere strategisch-inhaltliche Arbeit aus.«

Aber vorher sind da nun mal die Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Wegen der Größe des Landes ist vor allem letztere wichtig für die CDU – und weil Merz selbst aus NRW kommt. An der Bedeutung dieses Termins Ende Mai lässt er keinen Zweifel: »Ja, und das wird dann auch für die Bundespartei ein wichtiges Datum.«

Von Tobias Hans, dem großen Verlierer dieses Wahlsonntags, wird dann schon niemand mehr sprechen. Aber noch sitzt er eben da an seinem Schreibtisch in Saarbrücken, wobei irgendwann in der Pressekonferenz in der CDU-Zentrale nicht einmal mehr ein Bild von Hans zu sehen ist, man hört nur noch seine Stimme.

Wie konnte das alles nur so in die Binsen gehen?

Als die damalige Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer den Fraktionschef Hans zu ihrem Nachfolger erkor, weil sie als CDU-Generalsekretärin nach Berlin wechselte, da galt das auch im Land als Überraschung – erst recht aber außerhalb.

Hans, gerade 40 geworden, war seinerzeit zwar bereits Chef der CDU-Fraktion im Landtag, aber das auch erst drei Jahre lang. Regierungserfahrung hatte er gar keine, dennoch zog ihn Kramp-Karrenbauer dem eigentlichen Favoriten Stephan Toscani, damals Finanzminister, vor. Dass Hans sein Studium der Wirtschaftsinformatik, Informationswissenschaft und Anglistik nicht beendet hat, sorgte zwar seinerzeit für ein bisschen Aufregung, war aber rasch wieder vergessen.

Lange Zeit schien Hans zu bestätigen, was Kramp-Karrenbauer in ihm gesehen hatte: Bundespolitisch überzeugte er durch sein smartes Auftreten, war bald ein gern gesehener Interviewgast, auch bei den Saarländern kam der junge Ministerpräsident zunächst gut an. Wenige Monate nach seiner Wahl zum Regierungschef wurde Hans Vater von Zwillingen, im Januar 2021 bekam seine Frau ihr drittes Kind. Die Familie lebt mit einigen Pferden auf einem Hof in Neunkirchen-Münchwies – eine Art Ministerpräsidenten-Idylle.

Noch im Sommer 2021 stand die Saar-CDU glänzend da

Was sollte also schon schiefgehen bei der anstehenden Landtagswahl? Noch im Sommer 2021 zeigten Umfragen einen deutlichen Vorsprung der CDU gegenüber der SPD, Hans machte sich damals zwar Sorgen um seine Partei bei der nahenden Bundestagswahl – nicht aber um seine Zukunft als saarländischer Ministerpräsident. Und im Bund wurde Hans, gemeinsam mit dem schleswig-holsteinischen Regierungschef Günther und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, zur Führungsreserve gezählt.

Doch spätestens mit der CDU-Niederlage bei der Bundestagswahl scheint auch im Saarland die Stimmung gekippt zu sein, gleichzeitig verschlechterten sich die persönlichen Werte des Ministerpräsidenten.

Lag es daran, dass Hans in der Coronapolitik, nachdem er lange Zeit einen sehr strengen Kurs gefahren hatte, zwischenzeitlich mit Lockerungen vorgeprescht war?

Hängt es damit zusammen, dass Hans gern von Innovationen sprach und vom notwendigen Gendern, während seine Wirtschaftsministerin und SPD-Herausfordererin Rehlinger sich um Jobs in den Ford-Werken des Landes kümmerte?

Stieß den Saarländern irgendwann doch auf, dass sie nun von einem regiert wurden, der deutlich weniger volkstümlich als Kramp-Karrenbauer und deren CDU-Vorgänger Peter Müller wirkt – die sozialdemokratische Vizeministerpräsidentin Rehlinger dafür umso mehr?

Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Rehlinger und ihre Partei profitierten massiv von der Schwäche der Grünen und insbesondere der implodierten saarländischen Linken, deren langjährige Führungsfigur Oskar Lafontaine erst vor wenigen Tagen die Partei verlassen hatte.

Aber etwas ist auch kaputtgegangen zwischen Tobias Hans und den Saarländern in den vergangenen Monaten. Dass er nach Ausbruch des Ukrainekriegs ein selbst gedrehtes Wutvideo zum Benzinpreis über seine Social-Media-Kanäle versendete, wirkte dann schon leicht panisch. Am Ende kam auch noch Pech dazu, als Hans im Wahlkampffinale eine Coronainfektion in die häusliche Isolation zwang.

Das Ministerpräsidentenamt ist weg, den CDU-Vorsitz wird er wohl abgeben, es bleibt noch das Landtagsmandat. So hart ist seit Stefan Mappus, der in Baden-Württemberg 2011 nach gut einem Jahr als Ministerpräsident abgewählt wurde, kein christdemokratischer Regierungschef mehr abgestürzt. Kein Wunder, dass Hans am Sonntagabend mit den Tränen zu kämpfen hatte, als er seine Niederlage auf der CDU-Wahlparty in Saarbrücken einräumte.

Die politische Karriere von Hans dürfte nach diesem Wahlsonntag fürs Erste vorbei sein. Für seinen Bundesvorsitzenden Merz dagegen soll das Saar-Desaster nur ein kleiner Umweg auf einer längeren Strecke gewesen sein.

Anmerkung: In einer früheren Version hieß es, Tobias Hans habe sein Jurastudium nicht abgeschlossen – tatsächlich studierte er Wirtschaftsinformatik, Informationswissenschaft und Anglistik, ohne dieses Studium abzuschließen. Wir haben den Fehler korrigiert.