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Grüne und Atomenergie Wer querdenkt, wird abgekanzelt

Am Zeitplan für den Atomausstieg wird nicht gerüttelt, so lautet die Devise der Grünen. Die Partei straft den ab, der Widerstand leistet - so ist es Hubert Kleinert widerfahren. Ein typischer Reflex, sagt der frühere Abgeordnete: In keiner anderen Partei werde so viel diffamiert.

Einmal mehr wird in Deutschland derzeit über Energiepolitik gestritten. Die anhaltende Klimadebatte, die Explosion der Energiepreise, der G-8-Gipfel, der Wiedereinstieg in die Atomkraft in anderen Ländern - all das liefert den Hintergrund einer vielstimmigen öffentlichen Diskussion.

Der SPD-Vordenker Erhard Eppler will über Laufzeitverlängerungen für Atomreaktoren reden, wenn im Gegenzug der Atomausstieg ins Grundgesetz kommt. Der Umweltminister trommelt für den Neubau von Kohlekraftwerken, begrüßt aber die Eppler-Initiative. Die Union will das nicht und spricht von der Atomkraft als Ökoenergie. Ihr früherer Umweltminister Klaus Töpfer wiederum sieht das kritisch, hält eine Zukunft ohne Atom für möglich, räumt aber ein, dass die Umwidmung von Milliardengewinnen aus abgeschriebenen Anlagen zur Förderung alternativer Energien und zur Milderung sozialer Härten bei den Energiepreisen ein Argument für eine Verlängerung von Restlaufzeiten bei modernen Atomkraftwerken sein könne.

Kurz: Es ist Bewegung in der Diskussion. Es werden Vorschläge und Gegenvorschläge gemacht. Mehr oder weniger ausgereift. Wie das eben so ist, wenn diskutiert wird.

Nur die Grünen schweigen. Sie - früher die wichtigsten Protagonisten jeder Energiedebatte - haben sich hinter einer Mauer von Selbstgewissheiten verschanzt. Deren wichtigste lautet: Am Zeitplan für den Atomausstieg wird nicht gerüttelt. Und: Der Ausstieg ist machbar, ohne dass Klimaschutzziele verfehlt werden.

Nun mehrt sich die Zahl der Fachleute, die darauf hinweisen, dass mit ehrgeizigen Klimakonzepten allein die Versorgungslücken nicht zu schließen seien, die durch das baldige Abschalten aller Atomanlagen zu erwarten seien. Der Ausbau der regenerierbaren Energien ist zwar beachtlich, aber reicht mittelfristig nicht aus, um hier Kompensation zu schaffen. Also müssen entweder neue Kohlekraftwerke her oder über Restlaufzeiten von Atomreaktoren müsste noch mal neu geredet werden. Oder von beidem ein bisschen. Zweifellos ein sachliches, kein ideologisches Problem. Sicher eines, das der "Atomlobby" nicht ungelegen kommt; aber doch keines, das sie erfunden hätte. Die Deutsche Energieagentur etwa spricht von einer Stromversorgungslücke beim Atomausstieg.

Inquisitorische Posen der Grünen

Vor dem Hintergrund dieser Problematik hat es der Verfasser gewagt, die Frage aufzuwerfen, ob es wirklich richtig ist, den Ausstiegsfahrplan wie eine heilige Kuh zu behandeln - und in der Konsequenz mögliche Versorgungsengpässe durch den Neubau Dutzender von Kohlekraftwerken mit den entsprechenden Emissionseffekten zu schließen. Und ob der seit Wochen herumgeisternden Fonds-Idee auch aus Sicht von gestandenen Atomkraftgegnern nicht etwas abzugewinnen sei. Eine naheliegende Überlegung eigentlich, die sich von der Sache her geradezu aufdrängt.

Nicht so für die Grünen. "Naiv", urteilt barsch Grünen-Fraktionschefin Renate Künast über solche unbotmäßigen Gedankengänge und bezweifelt gleich noch die Sachkompetenz des Verfassers. Und die Grüne Jugend sieht nicht nur die "Honorigkeit" des Autors beschmutzt, sondern macht ihn gleich noch für einen "schweren Schaden" verantwortlich, den er mit seinen "erschreckenden" Äußerungen auf die Partei geladen habe.

Es reicht also nicht, inhaltlich Widerspruch anzumelden, Argumente zu nennen und Auffassungen zu widerlegen. Nein, wer mal als Grüner eine öffentliche Rolle gespielt hat und sich derart äußert, begeht selbst dann noch eine Art Gesinnungsstraftat, die mit moralischen Verwerfungsurteilen zu sanktionieren ist, wenn am Ziel eines Verzichts auf Atom gar nicht gerüttelt werden soll. Man hat nicht einfach bloß Unrecht, nein: Entweder man hat keine Ahnung, man ist naiv oder man hat schwere Schuld auf sich geladen.

Dass solche Formen der Auseinandersetzung wenig mit zivilisierten Formen des persönlichen Umgangs zu tun haben – geschenkt. Viel wichtiger ist, was derlei inquisitorischen Posen über die politische Kultur bei den Grünen verraten.

Einmal beweisen gerade diese Reaktionen, wie sehr zutrifft, was das Hauptmotiv für das Interview war: Die gesinnungsmäßige Auf- und Überladung des Atomthemas. Wie in einer Gemeinschaft der Rechtgläubigen wird vormodern Abweichung moralisch stigmatisiert. Und das sogar da noch, wo es gar nicht um den zentralen Glaubenssatz selbst geht, sondern nur um einzelne Auslegungsfragen.

Die Reinheit der Lehre gegen das böse Ketzertum

Diese Praxis steht in einer unheiligen Tradition, die die Geschichte dieser Partei mehr noch durchzieht als die Geschichte ihrer politischen Konkurrenten. In fast allen Grundsatzkonflikten der Grünen seit den frühen achtziger Jahren ist es geradezu die Regel gewesen, nicht nur über verschiedene Auffassungen zu streiten, sondern immer auch mit moralischen Kategorien der Verwerfung, nicht selten auch mit offener Diffamierung zu operieren.

Immer wieder wimmelte es nur so von Verrätern: Erst waren es die Realos, die für ein Linsengericht der Machtbeteiligung die im Besitz der Amtskirche befindlichen Grundwerte verrieten. Als sie das dann erfolgreich getan hatten, griffen alsbald auch die gern nach den Pfründen, die eben noch ins Verratsgeschrei eingestimmt hatten. War man eben noch als "durchgeknallt" eingestuft worden, weil man die "ökologische Reform des Kapitalismus" gefordert hatte, war das dann plötzlich allgemeiner Konsens. Dann kam der Pazifismusstreit – und wieder stand Licht gegen Finsternis, die Reinheit der Lehre gegen das böse Ketzertum.

Erst werden die Ketzer verbannt, dann wird fleißig gesündigt

Am Ende aber stand dasselbe Ergebnis: Als es ans Regieren ging, waren auch die überzeugungsstarken Pazifisten von gestern alsbald bereit, sich mit den außenpolitischen Realitäten zu arrangieren und galten die Kollateralschäden bei der Bombardierung serbischer Großstädte als hinzunehmende Übel. Und so weiter und so weiter.

Immer dasselbe Grundmuster: Erst werden die Ketzer verbrannt und hinterher wird fleißig gesündigt. Erstaunlich eigentlich, wie gut die Grünen damit immer wieder durchkommen.

Wer wie ich als ehemaliger Parteipolitiker so oft bei den Ketzern war und sich zurückerinnert, wird es jedenfalls erstaunlich finden müssen, wie viele immer wieder so rasch und so leicht ihren Frieden mit dem machen konnten, was eben noch mit der großen Pose des moralischen Verdammungsurteils in den Senkel gestellt worden war. Aber vielleicht ist der Verrat wirklich nur "eine Frage des Zeitpunkts", wie Talleyrand das schon vor mehr als 200 Jahren genannt hat.

Dabei soll nicht bestritten werden, dass alle Parteien etwas von Glaubensgemeinschaften haben. Auch die Gesinnungsethik gehört zum Wesen des Politischen und aus dem Aushalten der Spannung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik erwächst erst der "Beruf zur Politik", wie Max Weber das vor neunzig Jahren unübertreffbar festgestellt hat. Aber diese Art des "postmodernen" Changierens zwischen moralischer Selbstgewissheit und ganz gewöhnlichem Machtpragmatismus ist schon eine besondere Eigenart der deutschen Grünen. Darin sind sie nicht zu übertreffen. Sympathisch freilich wird man das nicht finden müssen.

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