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Kriselndes Gesundheitssystem Rösler will Arzneikosten gesundschrumpfen

Philipp Rösler ist von allen Seiten unter Druck - und reagiert: Wegen der prekären Finanzlage der Krankenkassen will der Gesundheitsminister noch in diesem Jahr die Kostenexplosion drosseln. Im SPIEGEL-Interview kündigt er an, sich dabei vor allem die Arzneipreise vorzuknöpfen.
FDP-Gesundheitsminister Rösler: "Die Ausgabenseite sehr genau anschauen"

FDP-Gesundheitsminister Rösler: "Die Ausgabenseite sehr genau anschauen"

Foto: Sean Gallup/ Getty Images

Berlin - Bislang galt er als Freund der Pharmaindustrie, nun profiliert sich Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) angesichts der prekären Finanzlage der gesetzlichen Krankenkassen als Sparer. Noch in diesem Jahr will er im deutschen Gesundheitssystem Maßnahmen zur Kostensenkung auf den Weg bringen. "Wir werden uns die Ausgabenseite sehr genau anschauen", sagte Rösler dem SPIEGEL.

Handlungsbedarf sieht er unter anderem bei den Arzneimittelpreisen. "Es ist meine Aufgabe, darauf zu achten, dass Beitragsgelder effizient verwaltet werden, und in diesem Bereich ist das nicht immer so", sagte er. "Künftig muss bei jedem Medikament genauestens überprüft werden, ob Kosten und Nutzen in einem angemessenen Verhältnis stehen." Die Stellung des zuständigen Kölner Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) solle gestärkt werden, sagte Rösler.

Finanzministerium erwägt Gesundheits-Soli

Das erstaunt, denn bisher war Rösler der Pharmaindustrie durchaus wohlgesonnen: So erhielt diese Woche der Chef des IQWiG, Peter Sawicki, seine Kündigung - wegen seiner kritischen Haltung zur Pharmaindustrie. Gleichzeitig holte sich Rösler ausgerechnet einen der findigsten Lobbyisten der privaten Krankenkassen ins Gesundheitsministerium, um sich um die Gesundheitsreform zu kümmern. Kritiker werfen Rösler knallharte Klientelpolitik vor.

Offenbar hinterlässt die Empörung, die Röslers erste Amtshandlungen auslösten, Wirkung - zumal die geplante Umstellung auf die von der FDP favorisierte Kopfpauschale teuer werden dürfte. Das Bundesfinanzministerium hält die einheitliche Gesundheitsprämie nach SPIEGEL-Informationen nur dann für umsetzbar, wenn die dann fällig werdenden staatlichen Zahlungen für den Sozialausgleich über gesetzliche Steuereinnahmen finanziert werden.

In der Finanzplanung des Bundes sei der Mehrbedarf von bis zu 35 Milliarden Euro bislang nicht eingeplant, heißt es im Bundesfinanzministerium. Um das erforderliche Geld aufzutreiben, sei ein zweckbegründeter Zuschlag etwa auf Einkommen- und Körperschaftsteuer erforderlich, also eine Art Gesundheits-Soli.

"Das wird Millionen Mitglieder betreffen"

Noch ist allerdings unklar, ob und wann es zu einem solch radikalen Systemwechsel kommt. In jedem Fall aber müssen sich die Versicherten der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) schon jetzt auf Zusatzkosten einstellen: Auch der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung rechnet damit, dass bald weitere Kassen Zusatzbeiträge verlangen. "Es werden sicherlich viele Kassen nachziehen, wenn sich die ersten mit Zusatzbeitrag gemeldet haben", sagte die Vorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer, der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Das wird Millionen Mitglieder betreffen." Bis zum Jahresende werde die Mehrzahl der Kassen einen Zusatzbeitrag eingeführt oder angekündigt haben. "Da bin ich ganz sicher", sagte Pfeiffer weiter.

Die Vorsitzende des Bundestagsgesundheitsausschusses warf Rösler deshalb schwere Versäumnisse vor. Rösler trage die Verantwortung für die Zusatzbeiträge von Millionen Versicherten, weil er absolut nichts tue, um die Ausgaben im Gesundheitswesen zu begrenzen, sagte Carola Reimann (SPD) der "Braunschweiger Zeitung". Einsparmöglichkeiten gebe es vor allem im Arzneimittelbereich, wo die Ausgaben besonders stiegen - doch habe der Minister nicht den Mut, der Pharmaindustrie auf die Füße zu treten.

Der Vizepräsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, forderte einen Prioritätenkatalog bei den Leistungen, um Zusatzbeiträge zu vermeiden: "Ein Gesundheitssystem, das allen immer alles verspricht, wird zwangsläufig immer teurer", sagte er der "Thüringer Allgemeinen". Politik, Wissenschaft und Medizin müssten sich festlegen, welche Leistungen für welche Patientengruppen unabdingbar seien und immer und sofort bezahlt werden müssten. "Daneben gäbe es dann Behandlungen, die nicht ganz so wichtig sind und welche, auf die verzichtet werden kann."

"Ulla Schmidt für Bürokratiemonster verantwortlich"

Die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP, Ulrike Flach, machte derweil Röslers Vorgängerin Ulla Schmidt (SPD) für die zu erwartenden Zusatzbeiträge verantwortlich. Die Zusatzbeiträge seien die zwangsläufige Folge des von Schmidt konstruierten Gesundheitsfonds. Schon bei dessen Einführung sei klar gewesen, dass "dieses Bürokratiemonster weder den Versicherten noch den Kassen irgendeinen Vorteil bringen wird", erklärte Flach in Berlin.

Am Montag wollen mehrere Krankenkassen auf einer gemeinsamen Pressekonferenz bekanntgeben, dass sie demnächst Zusatzbeiträge erheben müssen. Das ist aus dem Umfeld der Beteiligten, darunter Ersatz- und Betriebskrankenkassen, zu hören - und auch, dass der Zusatzbeitrag bei acht Euro monatlich liegen dürfte. Auf jeden Beitragszahler kommt damit ein Ausgabenplus von rund hundert Euro pro Jahr zu. Bisher verlangt nur eine kleine Versicherung, die Gemeinsame BKK Köln (GBK), den monatlichen Obolus von ihren Versicherten.

sam/AFP