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Philipp Laage

Zwischen Leistungssportlerinnen und Influencern Diese Typen treffen Sie an jedem Berg

Philipp Laage
Die Bergkolumne von Philipp Laage
Ob Ausrüstungsfetischist, Laberbacke oder Insta-Queen: Unser Autor ist allen begegnet. Sieben Kurzporträts – erkennen Sie sich selbst auch wieder?
In der Gruppe wandern ist eine Freude – auch ohne teure Ausrüstung

In der Gruppe wandern ist eine Freude – auch ohne teure Ausrüstung

Foto: Petar Chernaev / Getty Images

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Zwei legendäre Sätze waren es, mit denen der Hüttenwirt mich als den Deppen dastehen ließ, der ich war.

Am späten Nachmittag war ich zur Höllentalangerhütte aufgestiegen, um von dort in der Früh auf die Zugspitze zu steigen, und brauchte ein Nachtlager. Drinnen im Eingangsbereich wartete ich auf den Wirt, der eilig an mir vorbeilief, weil die Hütte ziemlich voll war. Als ich ihn das nächste Mal sah, warf ich ihm einen genervten Blick zu, weil ich nicht mehr herumstehen, sondern meinen Platz im Matratzenlager beziehen wollte. Da trat der Wirt auf mich zu und sagte: »Mein Junge: Ich habe dreißig Jahre lang auf dich gewartet. Jetzt musst du fünf Minuten auf mich warten.«

Ich war bloßgestellt. Und schämte mich. Typen wie mich hatte der gute Mann schon oft getroffen – gehetzte Städter, die sofort bedient werden wollten, denen es an Ruhe und Gelassenheit mangelte. Ich habe aus dieser Erfahrung gelernt: Du hast in aller Regel mehr Zeit als der Wirt, also lass ihn seine Sachen machen, bevor du ihm auf die Nerven gehst. Eile ist in den Bergen unnötig (sofern man nicht einem heraufziehenden Gewitter entgehen muss).

Wir sind häufiger laufende Klischees, als uns lieb ist. Bestimmte Typen trifft man in den Bergen immer wieder. Hier kommen sieben Charaktere, nach denen Sie auf der nächsten Tour Ausschau halten können – oder denen Sie besser aus dem Weg gehen.

1. Die Perfektionisten

Top ausgerüstet, aber wenig Erfahrung? Keine optimale Kombination.

Top ausgerüstet, aber wenig Erfahrung? Keine optimale Kombination.

Foto: Getty Images

Der Perfektionist weiß um die Unberechenbarkeit des Gebirges. Und ist vorbereitet. Steigeisenfeste Alpinstiefel: 300 Euro. Funktionsjacke mit Goretex: 400 Euro. Die ultraleichte Kompressions-Daunenjacke: 500 Euro. Vielleicht noch Gamaschen? Sicher ist sicher. Namhafte Marken garantieren Qualität. Die Hightech-Ausrüstung soll oft einen Mangel an praktischen Kenntnissen kompensieren. Der Perfektionist ist ein Freund der Theorie und hat sich viel angelesen. Er weiß auf den Meter genau, in welcher Höhe die noch zu überschreitende Scharte liegt, hat sich für die mehrtägige Hüttentour aber lieber einer geführten Wandergruppe angeschlossen. Spricht man mit Bergführern über alpine Notfälle, hört man: Schlechte Ausrüstung ist nicht die Ursache, sondern unzureichende Erfahrung und falsche Selbsteinschätzung. Da ist es nicht verkehrt, sich im Zweifel einem Guide anzuschließen. Aber muss es wirklich ein Outfit für 1500 Euro sein?

Merkmale: Mammut-Vollmontur, eine gewisse Übervorsicht.

Wo anzutreffen: Auf einem der bekannten Höhenwege der Alpen wie dem E5, direkt hinter dem Wanderführer.

Gesprächsthemen: Daten und Fakten zur Alpingeschichte, körperliche Wehwehchen, das Globetrotter-Sortiment.

Warum in den Bergen? Damit sich all die teuren Anschaffungen gelohnt haben.

2. Die Leistungssportler

Manche praktizieren in den Bergen Leistungssport – dabei gibt es so viel zu sehen, wenn man mal stehenbleibt

Manche praktizieren in den Bergen Leistungssport – dabei gibt es so viel zu sehen, wenn man mal stehenbleibt

Foto: Srdjan Pavlovic / Getty Images

Der Leistungsfreak geht nicht ins Gebirge, um die Natur zu genießen oder sich an einer schönen Aussicht zu erfreuen. Sondern um die Berge möglichst schnell hinauf und hinab zu rennen. Was für Normalsterbliche eine anstrengende Halbtageswanderung darstellt, ist für den ambitionierten Trailrunner allenfalls eine schnelle Trainingseinheit vor dem Frühstück, als Vorbereitung auf den Zermatt-Bergmarathon oder gleich den Ultra-Trail du Mont Blanc.

Erstaunlich geschickt sausen Bergläufer über die Steine und schauen nicht nach links und rechts, sonst könnten sie stürzen. Sie zeichnen sich durch eine gewisse Härte gegenüber sich selbst aus, aber leider auch gegenüber ihren Mitmenschen. Die Belohnung ist ein sehr geringer Körperfettanteil. Motto: No pain, no gain. Schmerz ist nur Schwäche, die den Körper verlässt. Die Frauen stehen den Männern in Sachen Verbissenheit in nichts nach.

Merkmale: Trinksystem mit Schlauch, Pulsuhr, perfekt ausdefinierte Waden.

Wo anzutreffen: Auf dem steilen Pfad direkt hinter Ihnen, weil Sie nicht schnell genug Platz gemacht haben.

Gesprächsthemen: Brauchen Sie nicht. Gehen Sie einfach aus dem Weg, Sie Schnecke!

Warum in den Bergen? Um die persönliche Marathon-Bestzeit zu verbessern.

3. Die Geschichtenerzähler

In den Bergen werden manche Menschen wehmütig – und redselig

In den Bergen werden manche Menschen wehmütig – und redselig

Foto: Anastasiia Shavshyna / Getty Images

Dieser Typ ist gefährlich, denn er raubt Ihnen etwas Wertvolles: Urlaubszeit. Überall dort, wo Wanderer gemütlich zusammenkommen, sucht er sich ein argloses Opfer und beginnt zunächst einen scheinbar harmlosen Plausch. Man ahnt noch nichts. Doch dann gerät der Geschichtenerzähler ins Schwärmen. Er berichtet ohne Pause von seinen tollsten Touren, seinem persönlichen Werdegang, biegt vollends ins Biografische ab, wird väterlich. Irgendwann sagt er Sätze wie: »Sie müssen unbedingt einmal auf den Kilimandscharo.« Dabei leuchten seine Augen.

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Philipp Laage

Gipfelrausch

Verlag: Reisedepeschen
Seitenzahl: 304
Für 19,50 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

05.05.2024 12.40 Uhr

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Man sieht ihm plötzlich an, dass er sich dort unten in Afrika, hoch über der heißen Savanne, für einen Moment seines sonst so normierten Lebens wirklich frei gefühlt hat. Und hat ein wenig Mitleid. Man möchte ja niemandem den emotionalen Wert der eigenen Erinnerungen absprechen. Das Problem ist: Ein echtes Gespräch ist unmöglich. Was Sie zu sagen haben, ist nicht von Interesse. Sie sind zum Zuhören verdammt. Ich verpasse es in solchen Situationen immer, rechtzeitig zu gehen. Aber genau das wäre mein Rat.

Übrigens: Diese Spezies ist mir bislang ausschließlich in ihrer männlichen Ausprägung begegnet.

Merkmale: Ergrautes Haar, nach einem Viertel Wein ein leicht glasiger Blick.

Wo anzutreffen: Dort, wo Sie nicht wegkönnen, zum Beispiel in der engen Sitzecke einer Hütte.

Gesprächsthemen: Exotische Fernreiseziele, wie die Tochter erfolgreiche Beraterin wurde.

Warum in den Bergen? Aus Nostalgie.

4. Die Influencer

Mit Sportschuhen ohne Profilsohle in die Berge? Schlechte Idee.

Mit Sportschuhen ohne Profilsohle in die Berge? Schlechte Idee.

Foto: swissmediavision / Getty Images

Im Nationalpark Berchtesgaden haben sie dazu beigetragen, dass der Königsbach-Wasserfall über dem Königssee gesperrt werden musste, wegen zu vieler Besucher: Influencerinnen und Influencer erobern jetzt auch die Berge, um sie als Kulisse für ihr großartiges Leben zu nutzen. Auf die Natur wird dabei selten Rücksicht genommen. Willkommen ist touristische Infrastruktur wie Seilbahnen, die es einfach macht, ohne Mühen schöne Flecken zu erreichen. Für diese Spezies wurden in den vergangenen Jahren überall in den Alpen sogenannte Skywalks und andere Selfie-Spots errichtet. So hat zum Beispiel die Olperer Hütte im Zillertal, wo ich als Kind oft war, eine Panoramabrücke bekommen. Dort machen dann alle das gleiche einzigartige Foto vor dem Schlegeis-Stausee.

Merkmale: Neon-Sneaker mit weißen Sportsocken, Radlerhose (w), Tanktop (m) – und hoffentlich irgendwo noch ein warmer Pulli.

Wo anzutreffen: An spektakulären Aussichtspunkten, teils bedenklich nah an der Abbruchkante.

Gesprächsthemen: Diese Menschen sind in der Regel zu cool, um sich mit Ihnen zu unterhalten.

Warum in den Bergen? Wegen der hammer Kulisse. #nofilter

5. Das Pärchen

Das wandernde Paar trägt gerne Partnerlook

Das wandernde Paar trägt gerne Partnerlook

Foto: Anna Berkut / iStockphoto / Getty Images

Das junge Paar hat sich dazu entschieden, seinen Urlaub in den Bergen zu verbringen. Nun laufen beide jeden Tag schweigend und mit stoischer Miene mehrere Stunden hintereinander her, um sich abends auf der Hütte auch nicht viel zu sagen. Dieses Pärchen, das man als funktionierend bezeichnen darf, ist eine hermetisch abgeriegelte soziale Einheit. Kommunikation mit anderen Menschen wird selten gesucht und kommt nie über Small Talk hinaus. Man ist sich selbst genug. Hat sich hier das Ideal der romantischen Beziehung verwirklicht, in der sich beide weitgehend ohne Worte verstehen? Dagegen spricht, dass immer wieder passiv-aggressive Spitzen zu hören sind, wenn die zwei abends über der Wanderkarte sitzen, um den nächsten Tag zu planen (»Ich weiß echt nicht, ob das eine gute Idee ist, aber wenn du meinst...«).

Merkmale: Farblich aufeinander abgestimmte Wanderoutfits, Wir-Sätze und Allgemeinplätze.

Wo anzutreffen: An einem Zweiertisch in der Stube, still Karten spielend.

Gesprächsthemen: Arbeit und Hobbys, Geheimtipps für Skandinavien.

Warum in den Bergen? Das frage ich mich auch jedes Mal.

6. Die Gemütlichen

Bloß nicht übertreiben: Bergwandern geht auch gemütlich

Bloß nicht übertreiben: Bergwandern geht auch gemütlich

Foto: Matt Porteous / Getty Images

Dieser Wanderer ist entspannt und gerne in größeren Gruppen unterwegs. Geselligkeit zählt. Sportliche Herausforderungen oder Antworten auf die großen Fragen des Lebens sucht der gemütliche Typ auf den Bergen nicht. Hoch hinaus geht es sowieso selten. Ist es nicht viel schöner, das Alpenpanorama von einer Aussichtsterrasse zu bestaunen? Wird doch mal eine Tour geplant, orientiert sich die Route an den Einkehrmöglichkeiten entlang des Weges.

Merkmale: Kariertes Hemd, Schweißtuch, Plauze, Frohsinn.

Wo anzutreffen: Auf der Terrasse einer Alm, beim dritten frisch Gezapften.

Gesprächsthemen: Après-Ski-Anekdoten, Kulinarisches.

Warum in den Bergen? Um die Illusion zu nähren, etwas für die Gesundheit zu tun.

7. Die Allrounder

Darf es zur Abwechslung mal Mountainbiken sein? Der Allrounder kann alles.

Darf es zur Abwechslung mal Mountainbiken sein? Der Allrounder kann alles.

Foto: Ziga Plahutar / Getty Images

Die Allrounderin und der Allrounder sind Kinder des Gebirges. Sie sind tatsächlich in den Bergen oder zumindest in direkter Nähe dazu aufgewachsen, im Gegensatz zu all den Touristen. So hatten sie genug Zeit, um verschiedenste Sportarten zu erlernen. Ob Hochtour oder Klettersteig im Sommer, Freeriden oder Tourengehen im Winter, Mountainbiken oder Paragliding für zwischendurch – der Allrounder kann alles, und das ziemlich gut. Auf jeden Fall besser, als Sie jemals sein werden. Dieser Mensch kann Sie um vier Uhr früh aus dem Zelt holen, und er wird Ihnen mit verbundenen Augen einen stabilen T-Anker bauen. Der Allrounder ist im Gegensatz zum Perfektionisten aber nicht verbissen, sondern tiefenentspannt. Er weiß immer, wo noch eine Party steigt.

Merkmale: Gewinnendes Lächeln, hohe Expertise in allen Disziplinen des Bergsports.

Wo anzutreffen: In der Bar unten im Ort – am Berg ist er nämlich dort, wo Sie garantiert nicht sind.

Gesprächsthemen: Berge und Aktivitäten, denen man in den Bergen nachgehen kann.

Warum in den Bergen? Er versteht die Frage nicht.