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Aufstieg von Darmstadt 98 "Das ist ein Weltwunder"

Wenig Geld, marodes Stadion, kaum Personal - und trotzdem aufgestiegen. Darmstadts Erfolg ist ein Fußball-Märchen. Ganz eng hängt das mit Trainer Dirk Schuster zusammen. Die Bundesligisten werden sich gewaltig wundern.
Von Ronny Zimmermann

Als der Abpfiff ertönte, waren Darmstadts Spieler chancenlos. Von allen Seiten stürmten die Fans auf sie zu. Eine schnelle Flucht in Richtung Spielertunnel war unmöglich. In wenigen Sekunden färbte sich der Rasen in blau-weißen Aufstiegsjubel - und mittendrin die Spieler.

Nach 33 Jahren gelingt dem SV Darmstadt die Rückkehr in die Bundesliga. Durch den 1:0-Sieg gegen den FC St. Pauli haben sie den zweiten Tabellenplatz in der zweiten Liga verteidigt. Trotz eines Mini-Etats von nicht einmal sechs Millionen Euro. Trotz eines maroden Stadions. Trotz mangelnder Trainingsbedingungen. Darmstadts Aufstieg ist ein Fußball-Märchen.

"Ich habe noch nie so einen Teamgeist erlebt. In den letzten Minuten hatte ich ein paar Freudentränen in den Augen", sagte Mittelfeldspieler Marco Sailer: "Unser Aufstieg ist das achte Weltwunder." Als er die nächste Frage beantworten wollte, überraschte ihn Marcel Heller mit einer Bierdusche. "Für die erste Liga, Junge!", brüllte er zu seinem Mitspieler. Im Hintergrund lachte sich Christian Mathenia schlapp. "Ich glaube, wir werden heute einen Alkoholpegel von 3,5 Promille erreichen", sagte der Torwart.

Nur 26 Gegentreffer kassierten er und seine Defensive in 34 Spielen. Liga-Bestwert und ein weiterer Grund für den Aufstieg. In der Kabine hüpfte das Team zu Schlagermusik - und feierte vor allem seinen Trainer: Dirk Schuster.

Trainer wettete gegen seine Spieler

Der gebürtige Chemnitzer schaffte mit dem Verein 2012/2013 mit Glück den Klassenerhalt in der dritten Liga, der Klub profitierte vom Lizenzentzug für Kickers Offenbach. In der anschließenden Sommerpause formte er aus gescheiterten Spielern allmählich ein Team. Sein Motto: Mentalität schlägt Qualität. Erst vor zwölf Monaten ging es in letzter Minute herauf in die zweite Liga, und nun gleich noch eine Etage höher in die Bundesliga.

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Darmstadt steigt auf: Ein Tor für den Durchmarsch in die Bundesliga

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"Das ist das zweite Wunder innerhalb eines Jahres", sagte Schuster. Sein weißes T-Shirt klebte vollgeschwitzt am Körper. In den Haaren hing noch etwas Bierschaum. "Was diese Mannschaft geleistet hat, ist der Wahnsinn: Sie kann selbst im roten Bereich noch eine Schippe drauflegen." Sie kann das aber vor allem auch, weil Schuster sie immer wieder dazu anstachelt.

Mit seinen Spielern schloss er während der Saison einige Wetten ab. Etwa, dass die Abwehrspieler unter einer bestimmten Anzahl an erzielten Toren bleiben werden. Oder, dass Heller eine bestimmte Marke an Vorlagen nicht überschreiten wird. Schuster hat all diese Wetten verloren, aber die Erstklassigkeit gewonnen.

Das Darmstädter Spiel ist geprägt von Einsatz und Leidenschaft. Von langen Bällen in die Spitze und einer immens hohen Laufbereitschaft. Darmstadt nervt seine Gegner förmlich. "Wir wollen die Faktoren beeinflussen, die wir beeinflussen können", erklärte Schuster. Er schätzt realistisch ein, was seine Elf kann. Und was nicht. Aber reicht das für die Bundesliga?

Die Väter der Trainer sind die einzigen Scouts

Die Experten sind skeptisch. Wenn Paderborn schon ein krasser Außenseiter war - was ist dann Darmstadt? Der Klub hat nur zwei Scouts - die Väter von Trainer Schuster und von Co-Trainer Sascha Franz. In der Geschäftsstelle arbeiten lediglich ein Dutzend Festangestellte. Nur weil rund 120 Ehrenamtliche mit anpacken, ist Profifußball in Darmstadt überhaupt möglich. Noch kurioser ist die Spielstätte.

Über das "Böllenfalltor" wird erzählt: Das einzig Neue ist die Sauna - sie ist 20 Jahre alt. Im Pufferblock zwischen Heim- und Gästefans wuchert das Unkraut zwischen den Steinstufen. Ist das nun Kult oder einfach nur bundesligauntauglich?

Mittelfeldspieler Sailer ist das egal: "Guardiola, Robben und Neuer werden sich wundern, wenn sie in unsere Gästekabine kommen." Der schmale Trakt ist renovierungsbedürftig. Er stammt noch aus den Siebzigerjahren. Durch die Wände kann jedes lautere Wort verstanden werden.

Herzlich willkommen in Darmstadt, dem ganz besonderen Bundesligisten.