Zum Inhalt springen
Fotostrecke

DFL-Geschäftsführer Rettig: Zwei-Säulen-Strategie der Liga

Foto: Lars Baron/ Bongarts/Getty Images

DFL-Chef Rettig über die Hooligan-Krawalle "Wir schwadronieren immer von Zivilcourage"

Die Hooligan-Krawalle von Köln haben Entsetzen ausgelöst. Hier spricht DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig darüber, dass der Fußball beim Kampf gegen Rechts auf Hilfe angewiesen ist. Und über Versäumnisse des DFB und der Liga.
ZUR PERSON

Andreas Rettig, Jahrgang 1963, ist seit 2013 einer von zwei Geschäftsführern der DFL, dem Zusammenschluss der deutschen Profi-Fußballvereine. Zuvor war Rettig als Manager bei verschiedenen Bundesligisten aktiv. Von 2006 bis 2012 arbeitete er beim FC Augsburg, zuvor war er von 2002 bis 2005 Manager des 1. FC Köln und von 1998 bis 2002 in Freiburg.

SPIEGEL ONLINE: Herr Rettig, lassen sie uns über den vergangenen Sonntag sprechen.

Rettig: Ich würde lieber mit dem Politik- als mit dem Sport-Ressortleiter sprechen. Das am Sonntag in Köln war ein Neonazi-Aufmarsch, keine Fußballveranstaltung.

SPIEGEL ONLINE: Ausgangspunkt der Demonstration war der Aufruf von Hooligangruppen. Auch wenn es Ihnen nicht gefällt: Die gibt es in Stadien genauso wie Rechtsradikale. Leider.

Rettig: Der Fußball ist eben ein Spiegelbild der Gesellschaft, mit schwarzen und weißen Schafen. Zu einem Problem wird es, wenn es zu viele schwarze Schafe werden.

SPIEGEL ONLINE: Wie wollen Sie gegen die schwarzen Schafe vorgehen? Oder sollen die friedlichen Fans den Job erledigen?

Rettig: In unseren Kurven sieht es leider oft so aus: Da steht der Zwei-Meter-Mann und ruft Dinge, die wir nicht hören wollen. Wir schwadronieren immer alle von Zivilcourage, aber was soll denn der Fan, der vielleicht sogar Zivilcourage hat, in so einem Fall machen? Dem Störer auf die Schulter tippen und ihm sagen: "Schleich' Dich"? Das kann nicht funktionieren. Hier dürfen wir den Fan nicht allein lassen.

SPIEGEL ONLINE: Dann verraten Sie uns ihre Pläne.

Rettig: Uns beschäftigt das Thema schon länger. Wir haben unsere Maßnahmen gegen Rechts wie das Programm "Pfiff" ja nicht am Sonntagabend erfunden, als wir die Bilder aus Köln gesehen haben. Wir lassen uns beispielsweise durch Experten des Neonazi-Aussteigerprogramms Exit beraten. So werden wir unserer Verantwortung gerecht: Nicht zu glauben, wir können alles selbst und besser, sondern uns zu fragen, wer uns bei diesen Problemen helfen kann.

SPIEGEL ONLINE: Wie sollen die Maßnahmen gegen Rechts konkret aussehen?

Rettig: Wir müssen uns um den Nachwuchs kümmern. Hier muss erreicht werden, dass Rechtsradikale und Hooligans eben diesen nicht in unseren Stadien rekrutieren können. Dabei verfolgen wir eine Zwei-Säulen-Strategie. Die eine Säule heißt Prävention. Durch Aufklärung erzielt man keine Erfolge auf Knopfdruck, aber sicher perspektivisch. Dumpfe Parolen verhallen in klugen Köpfen. Und eines muss man deutlich sagen: Das sind keine reinen Fußballprojekte, das sind soziale Projekte, die auch Städte und Kommunen bei ihrer Sozialarbeit unterstützen.

SPIEGEL ONLINE: Und die zweite Säule?

Rettig: Die weißen sind von den schwarzen Schafen zu trennen. Das fängt bei sicheren Einlassmethoden an und endet bei einer modernen Kameraüberwachung zur Identifizierung von Einzeltätern. Wir wollen weg von Kollektivstrafen, hin zur täterorientierten Bestrafung.

SPIEGEL ONLINE: Eine weitere Säule könnte sein, tolerante Ultragruppen, die sich gegen Diskriminierung einsetzen, öffentlich zu stärken, statt sie wegen jedes Bengalos zu kriminalisieren.

Rettig: Wir haben Ultras nicht pauschal kriminalisiert. Im Gegenteil: Gerade hat eine Münchner Ultragruppe den Julius-Hirsch-Preis bekommen. Wir müssen die Ultras nicht stärken, schließlich haben wir sie vorher auch nicht geschwächt. Wir sind immer für eine differenzierte Betrachtung eingetreten.

SPIEGEL ONLINE: Das kann man so oder so sehen. Es gab keine Statements der DFL, als Rechtsradikale in Aachen linksgerichtete Ultras aus dem Stadion gedrängt haben oder als rechtsradikale Braunschweiger Hooligans eine Ultragruppe aus dem Stadion geprügelt hat.

Rettig: Natürlich haben wir mit diesen Vereinen gesprochen. Aber das ist eine komplizierte Gemengelage. Und letztlich sind unsere Vereine näher an ihren Fans dran als wir.

SPIEGEL ONLINE: Was ist mit den Sicherheitsdiensten? Als sich Anfang Oktober mehrere Dutzend Hooligans aus Kaiserslautern und Karlsruhe nach dem Spiel auf der Tribüne verprügelten, standen überforderte Ordner hilflos im Pulk. Zu denen wird kaum ein Fan gehen, wenn er Ärger mit dem von Ihnen beschriebenen Zwei-Meter-Mann hat. In Dortmund waren Mitglieder des Ordnungsdienstes aus der rechten Szene. Da muss man sich dann auch nicht wundern, wenn gewisse Leute ins Stadion gelangen, die da eigentlich gar nicht mehr sein dürften.

Rettig: Vereinen und Verbänden ist nicht verborgen geblieben, dass an der Qualität der Sicherheitsdienste in den Stadien gearbeitet werden muss. Auf Initiative von DFB und DFL werden sich fünf Vereine einer Zertifizierung des Sicherheitsmanagements unterwerfen, unter anderem zwei Bundesligisten.

SPIEGEL ONLINE: Der DFB hat in diesem Jahr zweimal für Aufregung gesorgt, als er Anti-Diskriminierungsplakate abkleben ließ. Das macht Kampagnen gegen Rechts nicht gerade glaubwürdiger.

Rettig: Das war keine Böswilligkeit, sondern ein Fehler, für den sich der DFB-Präsident umgehend entschuldigt hat. Mehr kann man nicht tun. Die Glaubwürdigkeit des DFB infrage zu stellen, ist absurd.

SPIEGEL ONLINE: Was können die Fans beziehungsweise die Ultras tun?

Rettig: Die Ultra-Bewegung hat viel Positives gebracht. Aber die Ablehnung gegen alles, was Uniform trägt, ist kontraproduktiv. Wenn die Ultras ihre Aversion gegen die Polizei höher bewerten als den gemeinsamen Kampf gegen Rechts, dann sind wir auf dem Holzweg. Wie eindrucksvoll Fußballfans demonstrieren können, haben wir an der 12:12-Bewegung gesehen. Das war herausragend. Da ist keine einzige Faust geflogen.

SPIEGEL ONLINE: Der Politologe Richard Gebhardt hat am Montag in einem "Zeit"-Interview gesagt, die Hooligans seien der missratene Teil der Fußballfamilie.

Rettig: Das mag so sein. Aber eine intakte Familie schmeißt solche Mitglieder früher oder später raus.