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Abfahrt der Frauen: Zweimal Gold

Foto: Richard Heathcote/ Getty Images

Abfahrts-Doppelgold Das unglaubliche Gleichzeit-Gleichnis

Die Abfahrtsläuferinnen Dominique Gisin und Tina Maze fuhren exakt die gleiche Zeit - bis auf die Hundertstelsekunde. Das kommt extrem selten vor. Die beiden Olympiasiegerinnen erlebten es jedoch nicht zum ersten Mal.

Die Hundertstelsekunde ist für Skifahrer schon immer eine stete Begleiterin gewesen, "wir leben mit der Hundertstel", sagt Dominique Gisin. Mal wird die Hundertstel zur Freundin, mal zur Feindin, ein Dazwischen gibt es eigentlich nicht, zu unwahrscheinlich ist es, dass sich die Hundertstel nach drei Kilometern Abfahrtsstrecke nicht für eine Seite entscheiden kann.

In Krasnaja Poljana kam es zu einem dieser seltenen Momente, und dass es ausgerechnet die Siegerinnen traf, machte es nur noch ungewöhnlicher. 1:41,57 Minuten brauchten sowohl Tina Maze aus Slowenien und die Schweizerin Gisin für die 2713 Meter lange Strecke. 0:00,0 Sekunden Abstand leuchteten auf der Anzeigetafel, die Olympischen Spiele 2014 hatten zwei Olympiasiegerinnen. Einmalig.

Faszinierende Geschichte, glauben Sie? Dabei geht sie gerade erst los.

Denn es stellte sich bald heraus, dass beide Siegerinnen das alles schon einmal erlebt hatten, Tina Maze sogar in noch unwahrscheinlicherer Konstellation. "Beim Riesenslalom in Sölden habe ich mit Nicole Hosp und Andrine Flemmen gewonnen, wir hatten die gleiche Zeit nach zwei Läufen", erzählte Maze später bei der Pressekonferenz. 2002 war das, es war Mazes erster Weltcupsieg. "Wenn man so will, bin ich es gewohnt, Dominique ja auch."

Und tatsächlich: Um das unglaubliche Gleichzeit-Gleichnis perfekt zu machen, konnte auch Dominique Gisin von einer Medaillenteilung in ihrer Karriere berichten. "Mit Anja Pärson", sagte sie. Und wer hätte es gedacht: Auch für die Schweizerin war der Erfolg (2009 bei der Abfahrt in Zauchensee) ihr allererster Weltcup-Triumph überhaupt! Irre.

Das Gleichnis könnte die Geschichte dieses Doppeltriumphes sein, wenn, ja wenn die Siegerinnen nicht so verschieden wären. Die Wege der beiden zu Gold hätten unterschiedlicher nämlich nicht sein können. Eine kam von ganz oben, die andere von unten.

Tina Maze, 30, wäre vor einem Jahr die Top-Favoritin auf die Goldmedaille gewesen. In jedem Rennen. In wirklich jedem. Die Slowenin fuhr im Weltcup 2012/2013 in ihrer eigenen Galaxie, den Gesamtweltcup gewann sie mit 2414 Punkten, mehr als je ein Skifahrer zuvor gesammelt hatte. Mehr sogar als der vorherige Rekordhalter Hermann Maier. 24 Mal stand Maze auf dem Podium, nichts konnte sie aufhalten. Leider war es nicht der Olympiawinter.

"Manchmal muss man etwas riskieren"

Der begann für Maze, die frühere Riesenslalom-Spezialistin, die immer mehr zu einer Allrounderin à la Maria Höfl-Riesch wurde, schwach. Und er wurde nicht besser. Als Hauptgrund machte die Slowenin den Abschied ihres langjährigen italienischen Trainers Livio Magoni aus, der aus persönlichen Gründen in seine Heimat zurückkehrte. Er war ersetzt worden durch Walter Ronconi, doch zur Mitte der Saison reagierte Maze erneut. "Wir mussten einige Veränderungen vornehmen, es war sehr riskant, aber manchmal muss man etwas riskieren, um etwas zu erreichen", sagt sie.

Die Veränderung hatte einen Namen: Mauro Pini. Der Schweizer war mal Cheftrainer der Alpinen in seiner Heimat, bevor er 2012 gehen musste. Vor allem aber hatte er eine gewisse Lara Gut zu einer der besten Skifahrerinnen der Welt gemacht. Gut wurde in Krasnaja Poljana Dritte. Tina Maze gewann, die Frau, die endlich zeigen konnte, dass sie die Form aus dem größten Winter ihres Lebens doch wiederfinden konnte. "Ich wollte hierher kommen um Gold zu gewinnen, jetzt habe ich mein Ziel erreicht. Ein perfekter Tag", sagte Maze.

Dominique Gisin träumte nicht von Gold vor den Spielen, sie wusste ja nicht mal, ob sie überhaupt dabei sein würde.

Vor zwei Jahren verletzte sie sich ohne Sturz in Cortina d'Ampezzo, danach war nichts mehr wie vorher. Die hochtalentierte Gisin musste zum neunten Mal im rechten Knie operiert werden. In der Folge wurde sie zu einer Sicherheitsfahrerin, die sich nicht mehr traute zu attackieren, die bei Sprüngen "zu früh aufmachte", die Schwünge lieber konservativ fuhr statt aggressiv. "So gewinnt man eben keine Rennen", erzählt Gisin, die seither nie wieder auf dem Podium stand. Bis heute.

Es fehlte nicht viel, und die Abfahrts-Olympiasiegerin wäre gar nicht angetreten, sie musste sich im starken Schweizer Team erst für diesen Wettbewerb qualifizieren. "Eine verrückte Woche", sagt Gisin, die sich jetzt wieder "wie eine Athletin fühlt" und in Krasnaja Poljana endlich so attackierte, wie man es tun muss für einen Sieg. Die Zeit heilt eben alle Wunden. Und wenn es nur eine Hundertstel ist.