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Rezessions-Essen in den USA Die fette Krise

Arbeitslosigkeit, Pleitewellen, ganze Stadtviertel verfallen - und damit nicht genug. Neue Studien zeigen, dass sich US-Bürger in der Krise auch noch billiger und fetter ernähren. Der größte Profiteur: McDonald's.

New York - Bill Briggs weiß noch genau, wann er in der Rezession gelandet ist. Die Wahrheit ereilte ihn in Form einer Zahl. Sie hatte allerdings nichts mit seinem Bankkonto zu tun, seinem Aktien-Portfolio oder dem schrumpfenden Wert seines Hauses - nein, sie kam "direkt aus meinem Arztbefund".

Szene am Strand in Florida: Forscher sprechen von "Rezessions-Pfunden"

Szene am Strand in Florida: Forscher sprechen von "Rezessions-Pfunden"

Foto: Joe Raedle/ Getty Images

Briggs Cholesterinspiegel ist binnen eines Jahres um 46 Punkte gestiegen. Denn der freie Autor versuchte "Geld zu sparen, indem ich auf die billige Tour aß", berichtet er der Website des US-Senders NBC. "Ich habe mein Essensbudget halbiert, indem ich mich mit einem schmackhaften Menü aus Hot Dogs, Grilled-Cheese-Sandwichs, Fischstäbchen und dem gelegentlichen Fast-Food-Monstermahl für 2,89 Dollar durchschlug."

Ergebnis: Briggs' LDL-Cholesterinspiegel ist von 180 auf 226 Milligramm hochgeschossen - in die kardiovaskuläre Gefahrenzone. "Für jede 95 Punkte, die der Dow Jones seit Anfang 2008 abgesackt ist, hat mein Cholesterinwert einen Punkt zugelegt." Die Diagnose seiner Ärztin: "Du hast in den kommenden zehn Jahren eine fünfprozentige Chance eines Herzinfarkts. Du solltest auf dein Fett achten."

"Fast Food mit viel Kohlenhydraten und viel Zucker"

Mit dem Problem ist Briggs nicht allein. Wie Millionen anderer Amerikaner hat er angefangen, bei der Ernährung zu sparen. Die Rezession führt zu Arbeitslosigkeit, Pleitewellen und dem Niedergang ganzer Stadtviertel - und Gesundheits- und Fitnessproblemen der US-Bürger. Erste Studien zeigen, dass die Krise immer mehr Leute zu billigerem, damit meist ungesünderem und fettigerem Essen führt. Und das in einer ohnehin fettsüchtigen, zuckerkranken Nation.

Die Rechnung ist einfach: Ein doppelter Cheeseburger ist schlicht billiger als ein Karton Biomüsli oder ein Kopfsalat ohne Pestizide. Soziologieprofessor Kenneth Land von der Duke University in North Carolina beschreibt das neue Krisen-Essen so: "Fast Food mit viel Kohlenhydraten und viel Zucker". Er prognostiziert einen Anstieg der Fettsuchtraten bei Kindern und Erwachsenen. "Die Konsequenzen der aktuelle Rezession werden dramatisch sein."

Experte Land führt einen "Kinder-Wohlbefinden-Index", dessen jüngste Entwicklung erschreckend ist: Die erfolgreichen Versuche in den vergangenen Jahrzehnten, um Gesundheit und Ernährung von Kindern zu verbessern, seien null und nichtig. Bis zum erwarteten Ende der Krise würden US-Kinder auf die schlechtesten Gesundheitswerte seit 35 Jahren abrutschen.

Je nach Stadtviertel gibt es Unterschiede

Und den Erwachsenen geht es kaum besser. Eine weitere Studie sagt voraus, dass ein zehnprozentiger Anstieg der Armut mit einem sechsprozentigen Anstieg der Fettsucht einhergehen wird. Das knackige Schlagwort der Forscher und Ökonomen heißt: "Rezessionspfunde".

Nach Angaben der US-Gesundheitsbehörde CDC waren schon vor der Krise 34 Prozent der erwachsenen US-Bürger - mehr als 72 Millionen Menschen - und 16 Prozent der Kinder übergewichtig. Konkrete Zahlen für die Rezessionsmonate wird es zwar frühestens 2010 geben, doch Experten haben keine Zweifel, dass der Trend nach oben zeigt.

"Um zu sparen, essen die Leute mehr leere Kalorien", sagte Ernährungswissenschaftler Adam Drewnowski von der University of Washington in Seattle kürzlich in einem Interview. "Fettsucht ist das toxische Resultat eines sich verschlechternden Wirtschaftsumfelds." Wie eindeutig dieser Zusammenhang ist, zeigte der Experte mit einigen Kollegen am Beispiel Seattle: "Je nach Stadtviertel gibt es Unterschiede in den Fettsuchtraten, die fünfmal so hoch sind. Viertel mit niedrigen Einkommen haben einen viel höheren Anteil an stark übergewichtigen Bewohnern." Kein Wunder, dass die Fettsuchtraten gerade bei Schwarzen und Latinos höher sind als bei Weißen - sie sind im Schnitt ärmer.

McDonald's profitiert

Doch auch anderswo macht sich das Phänomen der Rezessionspfunde bemerkbar: an der New York Stock Exchange. Nur zwei der 30 US-Konzerne aus dem Dow-Jones-Index überstanden dort das Krisenjahr 2008 mit positivem Ergebnis, der Billig-Einzelhändler Wal-Mart - und McDonald's.

Die Aktie der größten US-Hamburgerkette schloss 2008 mit 4,5 Prozent im Plus ab. Und der Erfolg geht weiter: Im Mai meldete McDonald's einen weltweiten Umsatzanstieg von 5,1 Prozent. Im ersten Quartal 2009 wuchs der Gewinn im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 946 Millionen Dollar auf fast 980 Millionen Dollar - mehr als Analysten erwartet hatten.

Zum Vergleich: Whole Foods, der größte Biosupermarktkonzern der USA, muss in diesen Monaten um jeden Cent der Kunden kämpfen. Im ersten Quartal sackte der Gewinn um 32 Prozent ab, der Umsatz fiel von 40 auf 27 Millionen Dollar.

Jetzt rächt sich eine Entwicklung, die lange vor der Rezession begann. Gesunde Lebensmittel werden seit Jahrzehnten immer teurer - und ungesunde immer billiger. Statistiken des US-Arbeitsministeriums zufolge sind Limonaden wie Coca-Cola heute um 33 Prozent billiger als 1978. Butter: 29 Prozent. Bier: 15 Prozent. Gemüse dagegen ist 41 Prozent teurer. Und Obst 46 Prozent.

Zwar bietet auch McDonald's seit einiger Zeit Salate an und Kalorienangaben auf seiner Website. Aber ein Big-Mac-Menü ist einfach kein Biohühnchen mit Naturreis. Und alle Versuche der US-Politik, den Trend zum Fast Food zu korrigieren, sind in der Bevölkerung in den vergangenen Jahren auf Widerstand gestoßen. Sie werden als unziemliche Einmischung des Staates in die Privatsphäre verstanden.

"Brausesteuer" als letztes Mittel

Inzwischen kursiert im Kongress ein neuer Vorschlag, die Sucht nach Süßem einzudämmen. Mit einer "Brausesteuer" auf Zuckergetränke wie Coke, Pepsi, Gatorade und Red Bull will man eine Krisen-Profitquelle erschließen - unter anderem, um die sündhaftteure Gesundheitsreform mitzufinanzieren. Zurück geht die Idee einer "Soda Tax" auf einen Artikel im "New England Journal of Medicine". Autoren: der prominente Fettsuchtforscher Kelly Brownell und New Yorks scheidender Gesundheitsdirektor Tom Frieden.

Letzterer ist als Gesundheitsvorkämpfer bei den Lebensmittelkonzernen berüchtigt. Er hat unter anderem ein städtisches Verbot von Transfettsäuren durchgedrückt. Außerdem müssen in New York neuerdings alle Schnellimbissspeisekarten um Kalorienangaben ergänzt werden. Nicht umsonst hat US-Präsident Barack Obama Frieden kürzlich zum neuen Chef der Gesundheitsbehörde CDC ernannt. Das "New York Magazine" kommentierte: "Fettfresser und Raucher, seht Euch vor!"

Neu ist die Idee einer Krankmachersteuer nicht. Schon der schottische Philosoph Adam Smith, der Begründer der Volkswirtschaftslehre, schlug 1776 in seinem Standardwerk "Der Wohlstand der Nationen" eine pauschale Abgabe auf "Zucker, Rum und Tabak" als "extrem angemessen" vor.

Die Obamas tun das ihre, um die rezessionsbedingte Verfettung einzudämmen. First Lady Michelle Obama hat vor Monaten einen eigenen Gemüsegarten fürs Weiße Haus angelegt, der mittlerweile einen Großteil der Zutaten für das tägliche Präsidentenmenü bereitstellt.

Einer Umfrage des Pew Research Centers zufolge wollen immerhin 21 Prozent der US-Bürger ihrem Beispiel folgen, um die Krise zu überstehen.