Zum Inhalt springen
Fotostrecke

Konjunkturprogramme: Wachstum auf Pump

Foto: Arnulf Stoffel/ picture alliance / dpa

Ruf nach Konjunkturhilfen Wachstum auf Pump - geht das?

Erst die Institute, nun die Regierung: Alle korrigieren ihre Konjunkturprognosen nach unten. Soll der Staat nun Investitionsprogramme auflegen wie in der letzten Krise? Was wirklich hilft - der Überblick.

Berlin - Fast wirkte es, als wolle sich der Bundeswirtschaftsminister wenigstens ein bisschen von den Forschungsinstituten abgrenzen: Führende deutsche Ökonomen hatten in der vergangenen Woche für dieses Jahr ein Wachstum von 1,3 Prozent vorhergesagt und für 2015 eines von 1,2 Prozent. Sigmar Gabriel (SPD) verkündete am Dienstag dieselben Zahlen - aber in umgekehrter Reihenfolge.

Die Botschaft war in beiden Fällen die gleiche: Die konjunkturellen Aussichten verdüstern sich, die Frühjahrsprognosen sind überholt. Die deutsche Wirtschaft sei in einem "außenwirtschaftlich schwierigen Fahrwasser", so Gabriel.

Zwar betonte der Minister, Deutschland befinde sich dennoch auf Wachstumskurs. Beschäftigung und Löhne stiegen, die Arbeitslosigkeit gehe weiter zurück. Es gebe deshalb keinerlei Grund, wie die Institute die "berühmte schwarze Null" infrage zu stellen - also das Ziel eines Haushalts ohne Neuverschuldung.

Gabriels Genossen sehen das zum Teil jedoch ganz anders. Parteivize Ralf Stegner forderte bereits, die schwarze Null zugunsten höherer Investitionen aufzugeben. Schützenhilfe erhielt er unter anderem vom Finanzexperten Carsten Schneider, der im Fall einer weiteren Verschlechterung für ein "groß angelegtes kommunales Investitionsprogramm" plädierte.

Klingt irgendwie vertraut? Kein Wunder, schließlich ist es noch nicht allzu lange her, dass in Deutschland Wachstumsprogramme aufgelegt wurden. Im Kampf gegen die Finanzkrise schnürte die Große Koalition zwischen 2008 und 2009 zwei Konjunkturpakete im Umfang von insgesamt 62 Milliarden Euro. Angesichts eines Wachstumseinbruchs um fünf Prozent stießen die Maßnahmen damals auf viel Zuspruch. Unumstritten ist auch, dass sie den Absturz zumindest abfederten. Eine mögliche Neuauflage sehen Ökonomen dennoch skeptisch - und das nicht nur wegen der bislang deutlich weniger dramatischen Lage.

Die Investitionen wirkten langsam

"Die Erfahrungen mit solchen Instrumenten sind sehr gemischt, weil sie oft zu Verzerrungen führen", sagt Henning Vöpel, Direktor des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts. So habe zum Beispiel die Abwrackprämie 2009 zu einem spürbaren Nachfrageschub bei Kleinwagen geführt, der den Einbruch während der Finanzkrise wirksam ausgeglichen habe. Das Geld habe den Käufern dann aber für andere Anschaffungen gefehlt.

Positiver sieht Vöpel staatliche Investitionen in die Infrastruktur. "Es gibt gute Gründe, die Möglichkeiten, die der Haushalt bietet, auszuschöpfen." Von Straßen, Datennetzen oder Stromtrassen würden schließlich auch künftige Generationen profitieren. Deutschland könne sich deshalb ruhig in einem gesunden Maße verschulden, wenn damit wachstumswirksame Investitionen angestoßen würden.

Nach Berechnungen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) halfen in der vergangenen Krise jedoch vor allem kurzfristige Impulse wie die Abwrackprämie oder die Senkung der Einkommensteuer. "Die Investitionsprogramme wirkten größtenteils erst 2011, als es mit der Wirtschaft schon wieder aufwärts ging", sagt RWI-Konjunkturchef Roland Döhrn, der zu den Autoren des Herbstgutachtens gehört.

Vorhaben wie die Instandsetzung der maroden Rheinbrücke bei Leverkusen (siehe Fotostrecke) lassen sich nun mal nicht so schnell umsetzen wie ein Autokauf. "Selbst wenn man sich sofort einigen würde, ist das ein Projekt, das Jahre dauert", sagt Döhrn. Zudem seien auch nicht alle Mittel aus den letzten Konjunkturpaketen in sinnvolle Bauvorhaben geflossen. "Da wurde beispielsweise auch das Gemeindehaus mit einer neuen Kegelbahn ausgestattet."

Im Herbstgutachten plädieren Döhrn und seine Kollegen vor allem dafür, die Wirtschaft durch steuerliche Anreize anzukurbeln. Der RWI-Wissenschaftler schlägt unter anderem den Abbau der sogenannten kalten Progression und die Wiedereinführung der degressiven Abschreibung für Unternehmen vor. "Das sind Schritte, die keinen großen Vorlauf brauchen und schnell wirken."

Kurzarbeitergeld steht bereits

Als wirksam erwies sich in der letzten Krise auch das Kurzarbeitergeld. Zeitweise erhielten 1,4 Millionen Beschäftigte den staatlichen Zuschuss, der einen Teil der Einkommensverluste infolge reduzierter Arbeitszeiten ausgleicht. "Augenblicklich sind alle Indikatoren zur Kurzarbeit unauffällig", heißt es zwar bei der Bundesagentur für Arbeit. Sollte sich die Lage aber verschlechtern, wäre man gewappnet: Die im Zuge der letzten Krise auf zeitweise 24 und dann 12 Monate erhöhte Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes soll offenbar für 2015 verlängert werden.

Solche Schritte dürften dem Wirtschaftsminister besonders sympathisch sein, da sie zumindest vorerst nichts kosten. "Hektischen Rufen" nach einer veränderten Finanzpolitik erteilte Gabriel am Dienstag dagegen eine Absage. Ein ausgeglichener Haushalt sei auch nach den neuen Prognosen möglich.

Unterstützung kam vom baden-württembergischen Finanzminister Nils Schmid (SPD). Der bezeichnete die aktuelle Diskussion als "völligen Unsinn" und nutzte sie für ein Eigenlob. "Wer glaubt, dass sich Zukunftsinvestitionen und schuldenfreie Haushalte ausschließen, sollte nach Baden-Württemberg schauen", so Schmid. "Hier beweisen Sozialdemokraten das Gegenteil."

Mitarbeit: Yasmin El-Sharif und Veit Medick