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Nach Volksentscheid in Berlin Werden die Wohnungskonzerne jetzt wirklich enteignet?

Geht es nach den Berliner Bürgerinnen und Bürgern, sollten Immobilienkonzerne mit mehr als 3000 Wohnungen vergesellschaftet werden. Was nun auf Mieter und Konzerne zukommen könnte.
Demonstranten in Berlin (Archivbild)

Demonstranten in Berlin (Archivbild)

Foto: Stefan Boness / IMAGO / IPON

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Die Berliner Bevölkerung hat sich mit einem klaren Ja hinter die Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« gestellt. 56,4 Prozent der Wähler stimmten dafür, 39 Prozent dagegen.

Konkret geht es bei dem in Deutschland bisher einmaligen Vorhaben um Unternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen in Berlin, soweit sie eine »Gewinnerzielungsabsicht« verfolgen. Diese sollen vergesellschaftet, also gegen Entschädigung enteignet und in eine Anstalt öffentlichen Rechts überführt werden. Betroffen wären rund 240.000 Wohnungen, etwa 15 Prozent des Berliner Bestands an Mietwohnungen.

Als sich das Ergebnis am Sonntagabend abzeichnete, feierten Aktivistinnen und Aktivisten der Initiative ausgelassen. Menschen lagen sich in den Armen. Einige zündeten Rauchfackeln, andere schwenkten lila-gelbe Fahnen. So zeigen es Videos auf dem Instagram-Account der Initiative.

Aber wird es wirklich zu Enteignungen kommen? Oder ist die Partystimmung der Aktivisten verfrüht? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Muss der Berliner Senat jetzt Enteignungen auf den Weg bringen?

Nein. Da der Volksentscheid kein konkretes Gesetz oder eine Verfassungsänderung zum Inhalt hat, ist das Ergebnis nicht bindend. Auch über den Volksentscheid zum Weiterbetrieb des Flughafens Tegel, der 2017 eine Mehrheit fand, setzte sich die damalige rot-rot-grüne Landesregierung hinweg.

Franziska Giffey, SPD-Spitzenkandidatin in Berlin, bekräftigte an diesem Montag ihre ablehnende Haltung. »Ich bin immer noch der Auffassung, dass Enteignungen nicht dazu beitragen, auch nur eine einzige neue Wohnung zu schaffen und auch die große Frage des bezahlbaren Wohnens zu lösen«, sagt sie in der ARD.

Sind die Berliner wirklich für eine Enteignung?

Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag des Vereins »Neue Wege für Berlin« zeigte im Vorfeld des Volksentscheids, dass nur 23 Prozent der Befragten Enteignungen für ein geeignetes Instrument halten, um die Situation für Mieterinnen und Mieter und Wohnungssuchende in Berlin zu verbessern. 68 Prozent halten den Neubau bezahlbarer Wohnungen für das beste Instrument.

Solche Umfrageergebnisse könnten darauf hindeuten, dass viele Menschen Enteignungen kritischer gegenüberstehen, als das jetzige Votum vermuten lässt. Womöglich nutzten viele Menschen die Gelegenheit, ihrem Ärger über steigende Mieten Luft zu machen.

Wären Enteignungen überhaupt umsetzbar?

Daran gibt es erhebliche Zweifel.

Die Initiative »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« verweist zwar auf Artikel 15 des Grundgesetzes, der vorsieht, dass »Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel« in Gemeineigentum überführt werden können. Allerdings kam der Artikel in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie zur Anwendung. Und die Umsetzung dürfte nur möglich sein, wenn das angestrebte Wohl der Allgemeinheit nicht auf anderem – weniger einschneidendem – Weg erreicht werden kann. So ließe sich das Wohnraumproblem zum Beispiel auch mit mehr Wohnungsbau lösen.

Ein weiterer Haken: Die Verfassung von Berlin sieht im Gegensatz zum Grundgesetz überhaupt keine Vergesellschaftung vor. Experten leiten daraus ab, dass die rechtlichen Schutzwälle gegen einen Angriff auf das Eigentum in Berlin noch einmal höher sind.

Staatsrechtler Ulrich Battis hatte zudem für den der Immobilienbranche nahestehenden Verein »Neue Wege für Berlin« festgestellt, dass Enteignungen gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen würden, weil nur Wohnungsbestände ab einer Schwelle von 3000 Wohnungen vergesellschaftet werden sollen. All diese juristischen Fallstricke sprechen dafür, dass auf eine Umsetzung jahrelange Rechtsstreitigkeiten folgen könnten.

Auch SPD-Spitzenkandidatin Giffey warnte bereits: Berlin dürfe sich kein weiteres negatives Urteil beim Bundesverfassungsgericht holen. Im Frühjahr war der Berliner Mietendeckel der rot-rot-grünen Regierung dort spektakulär einkassiert worden.

Was würden die Enteignungen kosten?

Die Einschätzungen dazu gehen erheblich auseinander. Einen ersten Hinweis auf die Kosten liefert der Mitte September abgeschlossene Kaufvertrag der beiden großen Wohnungskonzerne Vonovia und Deutsche Wohnen mit der Stadt Berlin über 14.750 Wohnungen. Der Kaufpreis dafür betrug knapp 2,5 Milliarden Euro bei einem durchschnittlichen Quadratmeterpreis von 2400 Euro.

Einen weiteres Indiz könnte der derzeitige Börsenwert der Deutsche Wohnen sein: Der Konzern, der in ganz Deutschland mehr als 155.000 Wohnungen besitzt, kommt auf eine Unternehmensbewertung von 20 Milliarden Euro. Da von einer Enteignung rund 240.000 Wohnungen betroffen wären, ginge die gesamte Entschädigungssumme für alle Konzerne also womöglich noch darüber hinaus.

Im September 2020 rechnete der Berliner Senat von reinen Entschädigungskosten zwischen 28,8 und 36 Milliarden Euro. Das wäre mehr als der gesamte Jahreshaushalt Berlins.

Die Initiative »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« rechnet hingegen mit Kosten in Höhe von 7,3 bis 13,7 Milliarden Euro, weil man die betroffenen Unternehmen »deutlich unter Marktwert« entschädigen könne. Ihr Modell sieht vor, die Immobilienunternehmen mithilfe von Krediten oder Schuldverschreibungen zu bezahlen. Die Wertpapiere soll den Plänen zufolge eine Anstalt des öffentlichen Rechts ausstellen – praktisch am Haushalt vorbei. Die Tilgungsraten und Zinskosten sollen aus den Mieteinnahmen bestritten werden.

Allerdings wäre bei einer Entschädigung unter Marktwert mit Klagen der Konzerne zu rechnen.

Was wird die Politik jetzt tun?

Schon jetzt gilt als ausgeschlossen, dass die Regierenden den Volksentscheid einfach ignorieren werden. Der Unmut der Bevölkerung wäre wohl immens. Am Montag kündigte Giffey einen Gesetzentwurf an. Doch sie schränkte ein: »Wir müssen uns sehr genau anschauen, was möglich ist.«

Auch Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch kündigte bereits an, das Thema in die Koalitionsverhandlungen aufnehmen zu wollen. Die Politik müsse prüfen, ob eine Umsetzung des Bürgervotums machbar sei. »Es gibt für ein solches Gesetz aber noch viele rechtliche und praktische Fragen zu klären.«

Die Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« will die bevorstehenden Koalitionsverhandlungen genau verfolgen: »Wir akzeptieren weder Hinhaltestrategien noch Abfangversuche. Wir kennen alle Tricks«, warnte Kalle Kunkel, ein Sprecher der Initiative. »Wir lassen nicht locker, bis die Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen umgesetzt ist.«

Auch die Berliner Linke, die als einzige Partei geschlossen hinter der Initiative steckt, macht Druck: »Daran kann man nicht vorbeigehen«, sagte die Landesvorsitzende Katina Schubert der Nachrichtenagentur dpa über das Votum. »Da muss man jetzt die allerbesten Juristinnen und Juristen dransetzen, um ein Gesetz zu erarbeiten, welches rechtssicher funktioniert. Das ist der Auftrag für den neuen Senat.«

Was sind die Alternativen?

Am Ende könnten sich die Regierenden auch darauf einigen, das Problem steigender Mieten auf andere Weise zu lösen, um sich nicht erneut eine Klatsche vor dem Bundesverfassungsgericht einzufangen. Die Berliner Grünen fordern etwa einen Mieterschutzschirm – eine Selbstverpflichtung für Wohnungseigentümer, Mieten für fünf Jahre einzufrieren und sich dem Gemeinwohl zu verpflichten.

Im Rahmen des »Zukunfts- und Sozialpakt Wohnen« hatten die beiden Konzerne Vonovia und Deutsche Wohnen bereits im Frühjahr zugesagt, ihre regulären Mieterhöhungen über ihren Berliner Bestand insgesamt in den nächsten drei Jahren auf höchstens ein Prozent jährlich und in den beiden nachfolgenden Jahren auf den Inflationsausgleich zu begrenzen.

Wie reagieren die Unternehmen?

Investorinnen und Investoren reagierten an diesem Montag mehr als gelassen. Die Aktienkurse von Vonovia und Deutsche Wohnen stiegen sogar leicht. Vermutlich einerseits, weil es unwahrscheinlich ist, dass es tatsächlich zu Enteignungen kommt. Andererseits könnte das Nicht-Zustandekommen einer rot-rot-grünen Bundesregierung für eine eher gemäßigte Mietenpolitik auf Bundesebene sprechen.

Unbeeindruckt vom Ergebnis des jüngsten Volksentscheids zur Enteignung großer Wohnungskonzerne übernahm der aus Schweden stammende Immobilienkonzern Heimstaden rund 14.000 Wohnungen in der Hauptstadt vom Konkurrenten Akelius. Das Unternehmen setzt seinen Expansionskurs damit wie geplant fort.

Analysten erwarten, dass der Boom in Berlin andauern dürfte, weil sich die Stadt zu einer globalen Metropole entwickelt. Und verglichen mit anderen internationalen Großstädten ist Berlin immer noch sehr günstig.

Mit Material von dpa und Reuters