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Wirtschaftsgeschichte Exotische Lakaien für Europas Adelspaläste

Einer musste den Job ja machen! In den bizarren Tätigkeiten vergangener Jahrhunderte spiegelt sich der Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft. Die Autorin Michaela Vieser und die Illustratorin Irmela Schautz porträtieren ausgestorbene Berufe - wie etwa Kammertürken, Hofmohren, und Inselindianer.
Kammertürke, Hofmohr und Inselindianer: Superbe Entourage eines europäischen Fürsten

Kammertürke, Hofmohr und Inselindianer: Superbe Entourage eines europäischen Fürsten

Foto: Irmela Schautz

Kammertürken, Hofmohren, Inselindianer, aber auch Riesen und Zwerge gehörten zur Entourage der barocken Fürstenhäuser Europas, zu den "müßigen um die Person des Regenten laufenden Leuten… die zum bloßen Überfluß gehörten".

Berufsexot wäre die genauere Bezeichnung. Ihre Biografien aber sind je nach Klassifikation verschieden; damals ein Phänomen ganz nach dem Geschmack der Zeit - heute sehr schwer zu verdauen.

Erkennungszeichen:

Des Kammertürken: auffallend türkische Kleidung, Lippenbart
Des Hofmohren: dunkle Hautfarbe, buntes Kostüm
Des Inselindianers: lebte auf einer Insel, trug indianische Tracht

Aktive Zeit: Barock

Die Kammertürken waren meist sogenannte "Beutetürken", osmanische Soldaten und ihr Anhang, die bei den Schlachten um Wien, Belgrad und Budapest im ausgehenden 17. Jahrhundert von den europäischen Kriegsherren gefangen genommen und verschleppt wurden. Mittlerweile weiß man von mehr als sechshundert Türken, die damals allein in Deutschland ankamen "thail lustig, traurig und krank". Davon waren die Hälfte Kinder, ein Viertel waren Frauen und ein Viertel meist hübsche, starke Männer. Sie alle wurden nach Ankunft als einmalige Trophäe im eigenen Haus untergebracht oder als "superbes" Souvenir verschenkt. Wenn man bedenkt, dass zur gleichen Zeit auf der Leipziger Messe Türkenköpfe körbeweise angeboten wurden, kann man verstehen, dass die Gefangenen sich ihrem Schicksal fügten und nicht versuchten zu fliehen. Waren sie erst einmal in Deutschland angekommen, ging es ihnen - den Umständen entsprechend - sogar ganz gut. Es ist nur ein Fall bekannt, bei dem ein Türke nach Ankunft versuchte, sich umzubringen.

Die verschleppten Frauen ereilte nicht selten ein Schicksal als Mätresse. Alexandre Dumas, der Vater des Romanciers, berichtete von einem Besuch des Rastatter Schlosses, in dem die Beute des Türkenlouis zu bewundern war:

"Ein dritter Raum enthält eine nicht minder merkwürdige Trophäe: Es sind vier Bildnisse in natürlicher Größe von den vier Frauen des Paschas, die der Sieger gefangen nach Rastatt verbracht hat. Man versichert, die Markgräfin habe diesen Teil der Beute am allerwenigsten zu schätzen gewusst."

Manche Mätresse wurde später weiterverheiratet wie Fatima, die Mutter eines der Söhne August des Starken, oder Gräfin Maria Anna Augusta Fatma Cölestina zu Castell-Remlingen, die im hohen Alter sogar in ein Kloster eintrat. Andere, vielleicht weniger anmutige, Frauen arbeiteten zunächst in den Waschküchen der Fürsten oder in deren Backstuben und heirateten später deutsche Männer mit handwerklich-mittelständischen Berufen wie Müller, Böttcher oder Schuhmacher und gründeten ganz normal Familien.

Auch gegenüber den "Heidenkerlen", den Osmanen, die man nach Deutschland brachte, zeigt sich in den Chroniken eine bemerkenswerte Toleranz. Sie wurden zunächst eingestellt als Lakaien, als Diener bei Hofe - und je hübscher und stattlicher sie waren, desto öffentlicher war ihr Amt. Es stand ein eigenes Budget zur Verfügung, um sie türkisch auszustaffieren, mit Pluderhosen, Kaftan und Schnurrbart. Für die Kammertürken gehörten das Sieden von Kaffee, das Bedienen bei Tisch, Botengänge und Reinigungsarbeiten zu den Hauptarbeitsfeldern. Sie konnten auch aufsteigen und zu einer Vertrauensperson des Fürsten werden: Dazu gehörte "die Begleitung des Fürsten auf Reisen, die Sicherheit der persönlichen Gemächer garantieren, die Gelder für kleine Wareneinkäufe verwalten und die Einkäufe zu tätigen, die kostbare Garderobe und Juwelen zu verwahren, Bittschriften abzuweisen oder weiterzuleiten, andere Lakaien zu beaufsichtigen, über die Beleuchtung zu wachen und die Luxusgüter Tee, Kaffee, Schokolade und Zucker zu verwalten". Wenn der Regent einen Ausflug machte, so liefen die Kammerdiener hinter ihm her, die Taschen voller Geld, und verteilten es an das Volk. Als Königin Sophie Charlotte zu Brandenburg starb, soll ihr letzter Gruß ihren beiden Berufsexoten gegolten haben: "Adieu, Aly! Adieu, Hassan!" Ob die beiden konvertiert waren und nun eigentlich Gottlieb, Johann oder so ähnlich hießen, ihres Exoten-Status wegen aber ihre türkischen Namen beibehielten, ist denkbar. Man durfte sich als Beutetürke Zeit lassen mit dem Konvertieren. Der Fall eines alten Kammertürken ist bekannt, der sich erst nach siebenunddreißig Jahren taufen ließ und, als er starb, jedem Trauergast fünf Kreuzer versprach, worauf neunhundertfünfundzwanzig Trauernde erschienen.

Ausgestopft und zur Schau gestellt

Die Hofmohren waren entweder dunkelhäutige "Beutetürken" oder von Sklavenhändlern verschleppte afrikanische Kinder, die wegen auffallender Schönheit, angenehmen Charakters oder vielleicht sogar aus einem Anflug von christlichem Mitgefühl vom europäischen Zwischenhändler abgefangen und weiterverschenkt wurden. Immerhin blieb ihnen auf diese Weise ein Schicksal auf den Baumwollplantagen Amerikas erspart.

Da die meisten der so in Europa endenden Kinder schreckliche Torturen mitgemacht hatten und es keinen Weg zurück mehr gab, muss sie der zwar verdrehte, aber doch menschliche Umgang, der sie hier erwartete, dankbar gestimmt haben.

Wie man die Afrikaner an den Höfen Europas wahrnahm, zeigt ein Singballett von 1681, das am Hof von Durlach in Baden aufgeführt wurde und das niemand Geringerer als Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel selbst geschrieben hatte:

"Hier aus Africa die Mohren
Sind gebohren
Wo sich schwellt des Nilus Fluth
Ihr Gesicht ist von der Sonnen
Zwar entbronnen
Dennoch ist das Herze gut. (…)

Bey Entrée der Mohren:
Wie braun und schwartz wir sind an Farb und an Geblüth
So sind wir doch schneeweiß an Hertz und an Gemüth;
Es liegt nicht jederzeit an euserlichem Schein
Die Muscheln schließen auch die weißen Perlen ein."

Es war ein naives Bild, das der Herzog und viele Regenten hegten: das des gutmütigen Mohren mit dem reinen Herzen. Und man fand sich an jedem "vorzüglichen" Fürstenhof Europas darin bestätigt. Auf zahlreichen zeitgenössischen Gemälden sind sie abgebildet, die bunt gekleideten Lakaien mit ihrer kakaobraunen Haut.

Angelo Soliman (1721 bis 1796) war vielleicht der berühmteste Hofmohr Wiens. Soliman war der "hochfürstliche Mohr" und "Cammerdiener" des Fürsten von Liechtenstein und begleitete diesen auf Audienzen und Feldzügen. Er soll sogar mit einer "Art von Aufsicht über die Erziehung seines Sohnes" betraut worden sein und erhielt für alle seine Dienste ein entsprechendes Gehalt, das ausreichte, um die Witwe eines gräflichen Sekretärs zu heiraten und mit ihr Kinder zu zeugen. Er sprach neben seiner unbekannten Muttersprache auch Deutsch, Italienisch, Französisch, Englisch, Latein und Tschechisch und hatte ein so angenehmes Auftreten, dass der Sohn Kaiser Josephs II. mit ihm Arm in Arm spazieren ging. Soliman wurde 1781 sogar in die elitäre Wiener Freimaurer-Loge "Zur wahren Eintracht" aufgenommen, zu deren Mitgliedern unter anderem Mozart und Haydn gehörten. Zwei Jahre später war er in der Loge schon der Vertreter des Zeremonienmeisters. Dennoch: Als Soliman starb, wurde er auf Wunsch des Kaisers ausgestopft und ins Naturalienkabinett gepackt.

Von Hawaii nach Swinemünde

Von der Kategorie der "Inselindianer" ist nur ein Berufsexot bekannt. Es handelte sich hierbei um den Hawaiianer Henry Wilhelm Maitey, der 1824 in Berlin ankam. Er war auf ein deutsches Schiff geklettert und hatte sich erst nach Ablegen bemerkbar gemacht: Der sechzehnjährige angebliche Waise wollte fort von der Insel. Maitey entpuppte sich als ein schwieriger Fall. Äußerlich sah er, von seinen Tätowierungen abgesehen, nicht fremd genug aus, um sich als "Berufsexot" zu qualifizieren: "Die Menschenrasse, von der er stammt, gehört nicht zu den Negern, steht ihnen jedoch durch die schwärzliche Hautfarbe und etwas platte Nase ziemlich nah, unterscheidet sich jedoch durch wohlgebildete Lippen und glattes langwachsendes Haar; sein Teint scheint etwas brouilliert, am Arm und im Gesicht ist er tätowiert. Er ist sehr gelehrig, freundlich, munter, arbeitsam." Andere offensichtliche Qualitäten besaß er keine. Nicht einmal sein Singen konnte die fernen Sphären der Südsee heraufbeschwören. "Wenn er zum Singen eingeladen wird, ziert er sich fast eben so sehr wie unsere jungen Damen, und hat auch die andere böse Gewohnheit, dass man ihm, wenn er erst angefangen hat zu singen, gute Worte geben muss, ehe er aufhört."

Maitey war also in Swinemünde gelandet, nach Berlin gebracht worden, und keiner wollte ihn. Briefe an den König, geschrieben vom preußischen Finanzminister und Präsidenten der Seehandlung Rother, auf dessen Schiff Maitey an Bord gegangen war, blieben unbeantwortet, und Rother blieb nichts anderes übrig, als Maitey in seinem Haus als Tischdiener einzustellen. Das ging gut, bis Maitey nach einem Diner zu viel vom Wein kostete und mit einem anderen Tischdiener so in Streit geriet, dass Rother als Herr des Hauses sich einmischen musste. Daraufhin musste Maitey das Haus verlassen und im "Erziehungshaus am Halleschen Tor" fortan Sprache und Christentum lernen, was 1830 mit seiner Taufe quasi abgeschlossen wurde.

Wieder versuchte man, ihn am Hof unterzubringen, doch wurde Maitey dort abgelehnt. Der stellvertretende Hofrat hatte eine bessere Idee: Als Insulaner passte Maitey doch auf die Pfaueninsel! Dort gab es ja auch das otaheitische Kabinett, dass dem Inneren einer Südseehütte nachgebaut war - denn mittlerweile war es an den Fürstenhäusern Europas in Mode gekommen, sich mit Requisiten aus der Südsee zu schmücken. Auf der Pfaueninsel gab es neben den Pfauen hawaiianische Enten und eine Zwergin. Maitey passte da wunderbar rein. Es waren Jahre des Glücks für ihn, und er fand seine große Liebe, die Tochter des Tierwärtergehilfen. Heute nimmt man an, dass Maitey in dieser Zeit viele Elfenbeinschnitzereien anfertigte, die inzwischen in Potsdam ausgestellt sind. Auch soll er einige Figuren geschnitzt haben, mit denen die Kinder von Königin Louise spielten. Maitey selbst hatte drei Kinder, von denen nur eines ihn überlebte.

Als er starb, wurde er wie jeder, der länger als fünfzehn Jahre im Arkadien Preußens gearbeitet hatte, auf dem kleinsten Friedhof Berlins auf Nikolskoe begraben. Auf seinem Grabstein, der heute der besterhaltene Grabstein eines Hawaiianers außerhalb Hawaiis ist, steht in goldenen Lettern: "Hier ruht in Gott der Sandwichinsulaner Maitey 1872."

Dieser Text ist ein gekürzter Auszug aus dem Buch von Michaela Vieser "Von Kaffeeriechern, Abtrittanbietern und Fischbeinreissern", illustriert von Irmela Schautz; erschienen im C. Bertelsmann Verlag.